Washington. Knapp 70.000 Menschen sind in den USA am Coronavirus gestorben. Für Donald Trump gilt: Für die Wirtschaft müssen Opfer gebracht werden.

Dass Donald Trum keine der weißen Mundschutzmasken trug, obwohl er doch bewusst eine Fabrik besuchte, die eben diese herstellt – geschenkt.

Dass im Hintergrund des sorgsam kalibrierten Medien-Auftritts in einem Land, in dem binnen nicht einmal drei Monaten über 71.000 Menschen an den Folgen von Corona gestorben sind, tatsächlich „Live and let Die” von Guns n` Roses aus den Boxen dröhnte – geschenkt.

Dass er ohne rot zu werden behauptete, niemand nehme die Tragödie, die das Virus in den Vereinigten Staaten angerichtet hat, „schwerer als ich” - geschenkt.

Donald Trump: Die Wirtschaft geht ihm über Menschenleben

Bei Donald Trump ist man Fehltritte, Taktlosigkeiten und Heucheleien gewöhnt.

Aber diese Ungeheuerlichkeit ist neu: Nach seinem ersten Gastspiel außerhalb des Weißen Hauses in über sechs Wochen ließ Amerikas Präsident am Dienstag in Arizona in brutaler Offenheit eine Kehrtwende erkennen, deren Folgen bitter sein werden. Rund 70.000 Corona-Tote in den USA – Lesen Sie das Wichtigste in unserem USA-Newsblog

Es geht ihm nicht mehr um die Bewältigung der Epidemie, sprich: Eindämmung der Ansteckungsgefahr via Abstandhalten, möglichst flächendeckende Testung der Bevölkerung, Nachverfolgung von Infektionswegen – und zwar solange, bis ein wirksames Therapeutikum, besser: ein Impfstoff, vorhanden ist.

Coronavirus in den USA: Trump will Lockerungen – um jeden Preis

Abenteuerlich unempathische Äußerungen in einem Fernsehinterview (“Werden einige Menschen von dem Virus betroffen sein? Ja. Werden einige Menschen schwer betroffen sein? Ja. Aber wir müssen unser Land öffnen, und wir müssen es bald öffnen.”) belegen, was sich seit Wochen angedeutet hat.

Donald Trump glaubt angesichts desaströser Umfragewerte, dass er seine Wiederwahl am 3. November vergessen kann, wenn der durch Ausgehsperren und andere Restriktionen ausgelöste Sinkflug der US-Wirtschaft nicht sofort beendet wird.

Hintergrund: Corona-Virus in den USA -- Was man wissen muss

Das erfordert möglichst flächendeckende Lockerungen im staatlichen Arsenal der Verbote und Einschränkungen, die nach Überzeugung der meisten Experten in der Wissenschaft in kurzer Zeit zu einem deutlichen Anstieg bei Infektionen und Toten führen werden; inklusive einer Überlastung des ohnehin lückenhaften Gesundheitswesens.

Donald Trump will eine zweite Amtszeit – der Rest ist unwichtig

Trump glaubt, dass er diese rücksichtslose Kalkulation für sich entscheiden kann.

Hintergrund: USA vs. China – Die Frage nach dem Ursprung des Virus

US-Korespondent Dirk Hautkapp berichtet aus Washington.
US-Korespondent Dirk Hautkapp berichtet aus Washington. © PrivaT

Dass er im Fahrwasser eines Virus, das durch eklatante Versäumnisse seiner Regierung in den USA so wütet wie sonst nirgends, eine zweite Amtszeit bekommen kann.

Dass es für ihn genügend Wähler gibt, die eine weit über das bisher angenommene Maß hinausgehende Todesopfer-Zahl tolerieren, wenn ihnen ihm Gegenzug neben dem Einkommen ein paar persönliche Freiheiten zurückgegeben werden.

Mit anderen Worten: Donald Trump, der Spieler, der einst in Atlantic City mehrere Casinos vor die Wand gefahren hat, setzt sechs Monate vor der Wahl alles auf eine Karte. Sein Einsatz: das Leben Tausender Amerikaner.

So gesehen war „Live and let Die” schon die passend zynische Begleitmusik.