Berlin. Vorwurf an die griechische Grenzpolizei: Sie nutzen Geflüchtete, um andere Migranten in die Türkei zurückzudrängen. Grüne fordern Sanktionen.

Nachts fuhren sie an der Grenze, direkt an das Ufer des Evros, der Griechenland von der Türkei trennt. Bassel M. hat dann ein Schlauchboot aufpusten müssen, mit dem kleinen Boot fuhr er auf die andere Seite, die türkische. Dort befestigte er ein Seil, um sich daran entlangzuhangeln.

Dann ging es los: Immer wieder eskortierte der Syrer M. andere Geflüchtete zurück in die Türkei. Manchmal 150 in einer Nacht. Die griechischen Grenzbeamten hätten zugeschaut. Eine Schwimmweste gab es nicht.

Lesen Sie auch: Flüchtlinge aus Griechenland – deutsche Behörden legen Tausende Verfahren auf Eis

So berichtet Bassel M. es dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und weiteren deutschen und internationalen Medien sowie Nichtregierungsorganisationen wie „Lighthouse Reports“ und „Consolidated Rescue Group“. Bassel M. soll einer der Flüchtlinge sein, die griechische Polizei als Helfer bei illegalen „Pushbacks“ an der EU-Außengrenze einsetzt. Mehrere Flüchtlinge sind demnach zu gewaltsamen Zurückweisungen von Menschen in die Türkei gedrängt worden.

Immer wieder steht die griechische Regierung in der Kritik im Umgang mit Geflüchteten

Die griechischen Behörden haben den Berichten zufolge Menschen wie Bassel M. erpresst. Würde er für die Polizei an der Grenze bei den „Pushbacks“ mithelfen, bekäme er im Gegenzug eine Aufenthaltserlaubnis über 30 Tage. Und die griechische Justiz würde auf eine Anklage wegen angeblichen Menschenhandels verzichten.

Griechenland, Samos: Ein Wachmann vor Containern im neu eingerichteten Flüchtlingslager auf der Insel Samos.
Griechenland, Samos: Ein Wachmann vor Containern im neu eingerichteten Flüchtlingslager auf der Insel Samos. © dpa | Socrates Baltagiannis

Immer wieder steht Athen in der Kritik. Der Vorwurf: Sie schiebt gewaltsam Schutzsuchende aus der Türkei an der griechischen Grenze wieder zurück – ohne dass die Behörden die Menschen aufnehmen und ihnen eine Chance geben, Asyl zu beantragen. Staatliche „Pushbacks“ nutzen die Abgeschlossenheit von Grenzen zwischen Wäldern, Meeren und Flüssen aus – und sie verstoßen gegen das Verbot der Kollektivausweisung. Es ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt.

Lesen Sie auch: Wie Geflüchtete in Griechenland obdachlos auf der Straße leben

Die Reporterinnen und Reporter haben mit sechs Geflüchteten gesprochen, die von ihrer Aufgabe als „Abschiebe-Helfer“ für die griechische Polizei berichten. Die Angaben konnten die Redaktion mit Hilfe von Zeugenaussagen, Satellitenbildern, Fotos und offiziellen griechischen Behördendokumenten überprüfen.

„Die Europäische Gemeinschaft darf die Augen nicht verschließen“

Flüchtlinge, die illegal zu Handlangern der griechischen Polizei gemacht werden – es ist ein Skandal, der auch die deutsche Politik umtreibt. Die Vizepräsidentin des Bundestages, Katrin Göring-Eckardt, hat im Gespräch mit unserer Redaktion sogar europäische Sanktionen gegen Athen ins Gespräch gebracht.

„Geflüchtete in der Not als Helfer für illegale Pushbacks zu benutzen, ist zutiefst unmenschlich und verstößt gegen jede Rechtsstaatlichkeit“, sagte die Grünen-Politikerin. „Die Europäische Gemeinschaft darf die Augen vor dem brutalen Vorgehen Griechenlands nicht verschließen. Es braucht eine unabhängige Untersuchung und auch mögliche Sanktionen gegen Griechenland müssen diskutiert werden.“

Unterstützung kam von Grünen-Chef Omid Nouripour: „Die Berichte über den Einsatz von Geflüchteten für illegale Pushbacks durch griechische Behörden sind verstörend. Diese Vorgänge müssen nun durch eine unabhängige Untersuchung der Europäischen Union aufgeklärt werden“, sagte er dieser Redaktion.

Trotz Kritik fordern einige EU-Staaten immer wieder rigidere Kontrollen

Mehrfach schon gab es konkrete Hinweise auf illegale staatliche „Pushbacks“ – nicht nur in Griechenland. Unserer Redaktion konnte bei Recherchen etwa an der Grenze von Bosnien-Herzegowina zu Kroatien mehrfach mit Geflüchteten sprechen, die davon berichteten, wie sie nachts von kroatischen Grenzpolizisten zurückgedrängt worden seien. Manche zeigten ihre zerschlagenen Handys, andere die blauen Flecken und Schwellungen von den Schlägen, die mutmaßlich durch die Grenzschützer verursacht waren.

Proteste für die Rechte von geflüchteten Kindern in Griechenland: Eine gigantische Puppe als Symbol für Kinder auf der Flucht.
Proteste für die Rechte von geflüchteten Kindern in Griechenland: Eine gigantische Puppe als Symbol für Kinder auf der Flucht. © Getty Images | Ayman Oghanna

Auch an der polnischen Grenze zu Belarus soll es gewaltsame „Pushbacks“ gegeben haben. Wie Griechenland sind auch Polen und Kroatien verantwortlich für den Schutz der EU-Außengrenze. Die griechische Regierung hat die Vorwürfe in der Vergangenheit zurückgewiesen. Die Beamten würden „See- und Landesgrenzen klar unter der Achtung des Völkerrechts“ respektieren, hieß es in Stellungnahmen. Ähnlich ist es im Fall Polen. Kroatien hat immerhin Untersuchungen angekündigt und nach Vorfällen drei Beamte suspendiert.

Trotz Kritik werden immer wieder innerhalb der EU-Staaten Forderungen nach rigideren Grenzregimen, Kontrollen und dem Bau von Mauern und anderen physischen Hindernissen für Geflüchtete laut.

Die Mithilfe von Geflüchteten bei den „Pushbacks“ sind offenbar heimliche Aktionen. Laut den Medien erzählen jedoch Bauern und Fischer in der Region am Fluss Evros von diesen Fällen. Sie beobachteten demnach, wie die Grenzpolizisten Menschen wie den Syrer Bassel M. als illegale Gehilfen eingesetzt haben sollen. Sogar drei griechische Polizeibeamte bestätigten den Reportern die Praxis.