Riesa. Auf dem Parteitag will die rechte Partei mit „Geschlossenheit“ aus der Krise kommen. Doch am Ende zerstritt sie sich erbittert.

Die AfD hat ihren Bundesparteitag nach einem erbitterten Streit um eine Europa-Resolution vorzeitig beendet. Für den Abbruch stimmten am späten Sonntagnachmittag im sächsischen Riesa 55,65 Prozent der Delegierten, 44,35 Prozent waren dagegen. Ko-Parteichef Tino Chrupalla sprach von einem „sehr kontroversen Tag“. Er hoffe dennoch, dass die AfD nach der Neuwahl ihrer Spitze ein „Aufbruchssignal“ nach außen tragen könne.

Der Streit hatte sich an einer EU-kritischen Resolution unter dem Titel „Europa neu denken“ entzündet. Besonders scharf wurde vor allem von Delegierten aus dem Westen kritisiert, dass der Antrag eine Annäherung an Russland fordert, ohne den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu erwähnen. In der Vorlage war lediglich von einem „Ukraine-Konflikt“ die Rede.

Tino Chrupalla neuer, alter AfD-Parteichef

Zuvor hatte der Parteitag den neuen, alten Parteichef gewählt: Tino Chrupalla. Auf dem Parteitag in Riesa stimmten knapp 300 Delegierte für ihn.

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Chrupalla hatte nur einen Konkurrenten: den Brandenburger Lehrer und AfD-Fraktionsvize im Bundestag, Norbert Kleinwächter. Er kam auf 36 Prozent. Als das Ergebnis auf den Monitoren aufflackert, jubeln viele Abgeordnete. Und doch ist das Ergebnis knapp – und noch einmal knapper als 2019, als Chrupalla mit 54 Prozent der Stimmen zum Bundessprecher gewählt wurde.

Tino Chrupalla nennt die AfD in seiner Bewerbungsrede für den Chefposten die „einzig wahre Oppositionskraft in Deutschland“. Die Rechtsaußen-Partei sei die „letzte Alternative“. Chrupalla sprach sich gegen „Krieg, offene Grenzen und Impfzwang“ aus, nannte die Energiepolitik vom grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck „autoritär und abgehoben“.

Chrupalla spricht sich gegen Sanktionen gegen Russland aus

Chrupalla inszeniert sich als „Bundessprecher der Basis“, seine Forderungen zielen darauf ab, den angeblich „Abgehängten“ eine Stimme zu geben. Wenig sind es alte Parolen der Partei zu Asylpolitik oder Euro-Politik, vielmehr spricht er über soziale Fragen in Zeiten der Inflation, über seinen Kurs in der Russland-Politik. Putins Armee führt einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine. Chrupalla sagt, die AfD verurteile den „russischen Angriff“ – im selben Atemzug spricht er sich gegen Sanktionen gegen Russland aus, gegen Waffenlieferungen an die Ukraine.

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Tino Chrupalla sichtlich gelöst nach seiner Wiederwahl zum Bundessprecher der AfD.
Tino Chrupalla sichtlich gelöst nach seiner Wiederwahl zum Bundessprecher der AfD. © dpa | Sebastian Kahnert

Mehrfach war Chrupalla im Vorfeld des Parteitags in Riesa für seine pro-russische Haltung aus den Reihen der eigenen Partei kritisiert worden. Nur wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffs dankte er „Moskau“ für die „Verdienste“ bei der Einigung Deutschlands. Viele werteten diese Aussage als klares Signal, wo er im Krieg in der Ukraine steht.

Alice Weidel wird Co-Bundessprecherin der AfD, will „Erfolge besser verkaufen“

Als Co-Sprecherin wählt die Partei in Riesa die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel. Chrupalla und Weidel stehen gleichberechtigt nebeneinander. Weidel bediente in ihrer Rede vor allem die jahrelang eingeübte Darstellung der AfD als „das notwendige korrektiv in der verkrusteten Parteienlandschaft“. Auch Weidel übt deutliche Kritik an den innerparteilichen Streitereien der vergangenen Zeit. „Wir müssen unsere Erfolge besser verkaufen.“

Schon vor dem Parteitag galten Chrupalla und Weidel als Favoriten. Konkurrent Kleinwächter konnte keine Mehrheit für sich gewinnen. Der Lehrer aus Brandenburg kritisierte in seiner Rede die internen Rangeleien: „Deutschland retten wir nicht, wenn wir das andere Lager bekämpfen. Deutschland retten wir, wenn wir unsere Gegner bekämpfen. Und dafür trete ich an.“

Einziger Gegenkandidat zu Tino Chrupalla: der Brandenburger Norbert Kleinwächter.
Einziger Gegenkandidat zu Tino Chrupalla: der Brandenburger Norbert Kleinwächter. © dpa | Sebastian Kahnert

Kleinwächter gilt als vergleichsweise gemäßigt, und doch schlägt er auf dem Treffen scharfe Töne an, warnt „Hunderten Merkel-Migranten“, die täglich ihre Einbürgerung bekämen. Er wettert, dass der „Euro uns arm“ mache und die Sanktionen gegen den russischen Angriffskrieg „mehr Deutschland als Russland schaden“ würden.

Für seine Rede bekam Kleinwächter Applaus, eher mittellaut, einzelne Delegierte jubeln. Doch er bleibt der Außenseiter – und verliert die Wahl gegen Chrupalla.

Die Erfolgsjahre der AfD sind vorbei, die Partei steckt in einer schweren Krise

15 Jahre lang hat Chrupalla als Malermeister gearbeitet. In seiner Studienzeit war er Mitglied der Jungen Union, der Jugendorganisation der CDU und CSU. 2017 holte Chrupalla bei der Bundestagswahl einen Erfolg in Sachsen, zog ins Parlament ein.

Doch die Erfolgsjahre der AfD sind vorbei, die Partei steckt knapp zehn Jahre nach ihrer Gründung in einer schweren Krise. Viele in der Partei geben Chrupalla daran Mitschuld. Seit dem Abgang des westdeutschen Co-Sprechers Jörg Meuthen, der in der Partei „totalitäre Anklänge“ ausmachte, führt Chrupalla die AfD allein – und muss eine Niederlage nach der nächsten erklären: Bei neun Landtagswahlen verlor die Partei an Stimmen.

In Schleswig-Holstein flog sie Anfang Mai erstmals wieder aus einem Parlament heraus. Und sogar in ihrer Hochburg Sachsen schnitt die AfD unlängst bei den Kommunalwahlen weiter unter den Erwartungen ab.

AfD-Misere: Von der Corona-Pandemie konnte die Partei nicht profitieren

Inhaltlich dringt die Partei in den Debatten schon länger nicht mehr durch. Von der Corona-Pandemie und der scharfen Rhetorik gegen die staatlich verordneten Schutzmaßnahmen konnte die AfD nicht profitieren. Auch die pro-russischen Provokationen angesichts der Invasion in der Ukraine helfen offenbar nicht beim Stimmenfang.

Womit sie in die Schlagzeilen kam, waren vor allem: Machtkämpfe, öffentlich ausgetragene Fehden, Zerrissenheit. Die Partei gilt als gespalten zwischen den radikalen Landesverbänden im Osten und den eher gemäßigt geltenden Verbänden im Westen. Das zeigt auch das Wahlergebnis von Chrupalla – gerade einmal knapp mehr als die Hälfte.

Chrupalla will nach eigenen Angaben die „Flügel“ der Partei zusammenbringen. Er selbst hat sich nie von extrem rechten Akteuren wie Björn Höcke in Thüringen distanziert. Im Gegenteil: Chrupalla will Höcke einbinden – und damit auch die völkisch-nationalistischen Strömungen der Partei. Als gemäßigt geltende Mitglieder im Bundesvorstand werfen ihm die mangelnde Distanz zum extremen Flügel der Partei vor.

AfD in der Krise: „Wir müssen die Partei auf neue, breite Beine stellen.“

Was der Partei fehle, könne wohl auch der Bundesparteitag und ein neu gewähltes Spitzenduo nicht sofort ändern. „Wer jetzt meint, mit einem neu gewählten Vorstand, wird alles ein Selbstläufer, der täuscht sich. Wir haben viel Arbeit vor uns, müssen das Image der Partei verbessern“, sagt ein AfD-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen unserer Redaktion. Lesen Sie auch: Gründung, Mitglieder, Fakten – Der Steckbrief der AfD

Ein anderer sagt: „Wir müssen die Partei auf neue, breite Beine stellen.“ Dabei brauche es „parteiintern mehr Disziplin“. Zu viele AfDler würden „querschießen“.

Mischt sich immer wieder ein – und kandidiert doch nicht für den Chefposten: der völkisch-nationalistische Thüringer Landeschef Björn Höcke
Mischt sich immer wieder ein – und kandidiert doch nicht für den Chefposten: der völkisch-nationalistische Thüringer Landeschef Björn Höcke © dpa | Sebastian Kahnert

In den Wochen vor dem Parteitag war spekuliert worden, ob der radikale Thüringer Landeschef Höcke selbst für den Chefposten kandidieren wird. Die AfD habe „den Geist des Aufbruchs verloren“, sagt er noch zu Beginn in Riesa. „Erst das Land, dann die Partei und zum Schluss die Person, diesen Dreiklang sollten wir uns zu Herzen nehmen.“

Doch manche in der Partei beklagen, dass Höcke selbst zwar immer wieder aus seinem mächtigen Landesverband querschieße – aber selbst nie den Mut für den Sprung an die Spitze der Bundes-AfD wage. Und auch diesmal kandidiert Höcke nicht. Und dennoch mischt er sich auf dem Parteitag in Riesa immer wieder in die Debatten ein – mal mit Erfolg, mal scheitert er. Kommentar: AfD – Das Urteil gegen Merkel ist richtig

Künftig kann die AfD auch von einer Einerspitze geführt werden

Höcke bringt einen Antrag durch, der den Weg in der AfD mittelfristig freimacht für eine einzige Bundesspitze, statt einer Co-Sprecher-Konstellation. Die Partei sei „von Narzissten im Bundesvorstand ausgebremst“ worden. Ein Delegierter kommentiert dagegen: „Es gibt nicht diesen einen Heilsbringer in der Partei. Herr Höcke möge sich gerne so sehen, aber er ist es nicht.“ Ein AfDler warnte vor einem „Merkelismus“ im Fall einer Einerspitze. Und doch bekommt Höcke für den Antrag eine Mehrheit.

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Zum anderen nahmen die Delegierten in Riesa einen Antrag von der Tagesordnung, der aus dem Höcke-Lager kommt: Es geht um den extrem rechten Ex-AfD-Politiker Andreas Kalbitz aus Brandenburg. Der Landesverband von Kalbitz wollte mit einer Resolution gegen das Auftrittsverbot des aus der Partei ausgeschlossenen Andreas Kalbitz vorgehen. Das sollte rückgängig gemacht werden. Doch 54 Prozent, eine knappe Mehrheit, sprach sich dagegen aus – und damit für Verbot für Auftritte von Kalbitz bei AfD-Veranstaltungen.

Die Partei ist aufgerieben im Streit mit dem Verfassungsschutz

Eine Abstimmung, die durchaus als kleiner Erfolg der vergleichsweise gemäßigt geltenden Landesverbände gegen die radikalen Thüringer und Brandenburger. Auch deshalb dürfte Höcke gemerkt haben, dass er nicht den Rückhalt für einen Posten an der Spitze der AfD haben dürfte.

Immer wieder fallen AfD-Politiker mit islamfeindlicher Hetze, mit Verschwörungsideologien und populistischen Parolen auf. Viele Jahre schien ihnen das nie geschadet zu haben. Im Gegenteil. Die Debatten über Asylsuchende und Brexit waren die Rolltreppen beim Aufstieg der AfD. Doch weder aus der Corona-Krise noch angesichts des Ukraine-Krieges kann die AfD politisches Kapital daraus politisches Kapital schlagen. Auch interessant: Ostbeauftragter warnt vor weiterer Radikalisierung der AfD

Zudem ist die Partei aufgerieben im Streit mit dem Verfassungsschutz. Der Inlandsgeheimdienst stuft Teile der Partei, wie etwa die Thüringer Höcke-AfD, als rechtsextrem ein. Auch Landesverbände im Westen, etwa Niedersachsen, stuft der Verfassungsschutz jetzt als „Verdachtsfall“ ein. Viele potenzielle Wähler schreckt das ab – auch deshalb ging die AfD gegen den Verfassungsschutz vor Gericht an. Auch hier ist die Partei bisher: erfolglos.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.