Moskau. Seit einem Jahr sitzt Wladimir Putins schärfster Widersacher in Haft. Warum Nawalny nun aus seiner Gefängniszelle verschwunden ist.

Alexej Nawalny ist am Dienstag aus der Haftanstalt Nummer IK-2 in Pokrow abtransportiert und an einen noch unbekannten Ort gebracht worden. Das teilte Leonid Volkow, der Stabschef Nawalnys, mit. „Der Rechtsbeistand, der ihn besuchte, wurde am Eingang bis 14 Uhr festgehalten, dann teilte man ihm mit: ,Hier gibt es diesen Häftling nicht.’“

Nawalnys Anwältin Olga Michailowna sagte der Nachrichtenagentur TASS, man wolle Nawalny in ein Zuchthaus mit strengem Regime schaffen. „In welches, hat man uns nicht mitgeteilt.“ Gefangenentransporte können sich in Russland auch auf kurzen Strecken mehrere Tage oder gar Wochen hinziehen. Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch twittere, es gäbe Gerüchte, nach denen Nawalny in das „IK 6“, ein Zuchthaus mit erschwerten Haftbedingungen, verlegt werden solle.

Später meldete die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, dass Nawalny tatsächlich in das Lager "IK6" verlegt worden sei.

Russland: Nawalnys Berufung wurde im Mai abgelehnt

Anwältin Michailowa erklärte die Verlegung damit, dass ein neuer Schuldspruch gegen ihren Mandanten in Kraft getreten sei. Im März hat eine Moskauer Gericht Nawalny zu neun Jahren Haft verurteilt, wegen Beleidigung eines Gerichts und wegen angeblichen Betrugs. Nawalny gilt als schärfster Widersacher des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Ende Mai wurde seine Berufung im Moskauer Stadtgericht abgelehnt. Die Richter waren überzeugt, er habe umgerechnet etwa 45.000 Euro Gelder veruntreut, die seine Anhänger für seinen Präsidentschaftswahlkampf gespendet hatten. Seine letzten Worte am Ende des Berufungsprozesses waren: „Ich verachte Euer Gericht, Euer System.“ Nawalny hatte damals um die Verschiebung der Anhörung gebeten, um vor einer Verlegung in eine andere Strafkolonie noch einmal seine Familie sehen zu können.

Nawalny war bereits im Februar 2021 wegen des angeblichen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen nach einem anderen Betrugs-Urteil zu 3,5 Jahren Haft verurteilt werden. Weitere Verfahren stehen an.

Nawalny überlebte einen Giftanschlag

Die Haftanstalt die IK-6 ist berüchtigt. Nach Angaben des Portals Mediasona werden dort Häftlinge gezwungen, Mitgefangene zu foltern und sexuell zu missbrauchen. Allerdings droht Nawalny nach Ansicht von Gefangenenrechtlern wegen der großen öffentlichen Aufmerksamkeit eher verschärfte Isolation.

Im Sommer 2020 überlebte Nawalny einen Giftmordanschlag mit dem Nervenkampstoff Nowitschok in Tomsk nur knapp. Er macht den Kreml dafür verantwortlich. Nach seiner Behandlung in der Berliner Charité kehrte im Januar 2021 Jahres aus freien Stücken nach Russland zurück, wo er sofort verhaftet wurde. Viele der zum großen Teil inzwischen exilierten russischen Opposition sowie Menschenrechtler betrachten sämtliche Strafverfahren gegen ihn als politisch motiviert.

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