Berlin. Höhenflug für die einen, Absturz für die anderen: Die NRW-Wahl erhöht den Druck auf die Ampel. Auf welchen Feldern jetzt Streit droht.

Wenn Geschäftspartner sich nicht mögen, aber zusammenarbeiten müssen, nennen sie ihr Verhältnis gerne professionell. Die nach eigenem Bekunden professionelle Regierungsbeziehung zwischen SPD, Grünen und FDP steht seit der NRW-Wahl unter besonderem Druck. Zwei von drei Ampel-Koalitionären sind massiv abgestürzt und müssen sich fragen, ob sie in Berlin so weitermachen können wie bislang. Nach außen bemühen sich die Parteispitzen vorerst um Verlässlichkeit – doch auf drei wichtigen Feldern drohen schwere Konflikte.´

Außen- und Sicherheitspolitik

Der russische Angriffskrieg wird die Koalition für den Rest der Legislaturperiode begleiten. In den vergangenen Wochen zeigten sich in dem Regierungsbündnis Risse etwa in der Diskussion um Waffenlieferungen. Die Frage, zu welchem Einsatz Deutschland finanziell, militärisch und politisch bereit ist, dürfte die Koalition weiter belasten. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Ampel-Partner bei der geplanten Modernisierung der Bundeswehr mit einmalig 100 Milliarden Euro mit der Unionsfraktion verständigen müssen. Das dafür geplante Sondervermögen erfordert eine Grundgesetzänderung, für die SPD, Grüne und FDP ohne CDU und CSU nicht die erforderliche Mehrheit haben. Diese Woche wollte sich eigentlich der Bundestag damit befassen, doch der Termin wurde wegen der schwierigen Verhandlungen verschoben.

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Im Fokus wird Kanzler Olaf Scholz (SPD) stehen, dem auch aus den Reihen der Koalition Zögerlichkeit vorgeworfen wird. Für Diskussionen sorgt etwa, dass Scholz anders als andere ausländische Politiker seit Kriegsbeginn nicht in der Ukraine gewesen ist. Er wolle nicht nur für einen „Fototermin“ nach Kiew reisen, begründete der Kanzler seine Entscheidung.

Diese Aussage sei „für einen Bundeskanzler unpassend und taktlos“, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, dieser Redaktion. Die Ukraine brauche nicht nur militärischen, sondern auch jeden moralischen Beistand. „Dieses Zeichen der Solidarität verweigert Scholz.“ Hardt sieht den Grund für den „verweigerten Besuch von Olaf Scholz in Kiew in der außenpolitischen Uneinigkeit seiner Ampel-Regierung“.

Energie

Als Robert Habeck (Grüne) sein Osterpaket ins Kabinett brachte, hatte man bei der FDP schon Bauchschmerzen. Doch die Liberalen wollten bei einem wichtigen Thema nicht auf der Bremse stehen, winkten das Paket durch und verschoben die Klärung ins Parlament.

Dort ist der Konflikt jetzt angekommen. Der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes will die FDP in der aktuellen Form nicht zustimmen. Die sogenannten Differenzverträge, die als neues Förderinstrument vorgeschlagen sind, seien zu wenig marktwirtschaftlich, die EEG-Umlage, die auf null abgesenkt werden soll, würde sie am liebsten ganz abschaffen.

Vor allem aber glaubt man bei der FDP nicht, dass das ambitionierte Ziel des Wirtschaftsministeriums erreichbar ist. „Das ohne eine Renaissance der Kernenergie unrealistische Ziel eines klimaneutralen Stromsystems bis 2035 wurde bereits in den Koalitionsverhandlungen verworfen“, sagte FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler dieser Redaktion. Es wäre den Menschen „kaum zu vermitteln“, wenn sich der Ausbau von Wind- und Sonnenstrom verzögere, weil zentrale Aspekte der Koalitionsverhandlungen wiederholt werden müssten.

Die Gespräche über die Änderungswünsche der Liberalen laufen. Bei den Grünen gibt man sich optimistisch, die Atmosphäre sei „sehr gut und konstruktiv“, heißt es. Viel Zeit für eine Einigung bleibt nicht: Das Osterpaket soll vor der Sommerpause beschlossen sein.

Corona-Politik für den Herbst

Die Pandemie macht Pause, doch für die Ampel ist es die Ruhe vor dem Sturm: Die Corona-Regeln im Infektionsschutzgesetz (IfSG) laufen am 23. September aus. Einigt sich die Ampel nicht auf eine Verlängerung oder Neufassung, haben die Länder im Herbst keine Grundlage für die Pandemiebekämpfung.

SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach spricht sich für ein neues Maßnahmenpaket aus – auch die Grünen wollen das: Das Infektionsschutzgesetz müsse rechtzeitig so reformiert werden, „dass Bund und Länder für den Ernstfall ausreichende Maßnahmen zur Verfügung haben“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, dieser Redaktion. Zur Vorsorge gehöre „ein Notfallkoffer“, der die 2G- und 3G-Regeln, die Maskenpflicht in Innenräumen und Testpflichten rechtzeitig reaktivieren könne.

Die FDP sieht das anders: „Freiheitseinschränkungen auf Vorrat wird es mit der FDP nicht geben“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr dieser Redaktion. Zwar müsse sich die Politik vorbereiten, aber dafür müssten nicht Maßnahmen reaktiviert werden, die die letzte Welle schon nicht eindämmen konnten. Nötig seien Digitalisierung, kreativere Impfangebote und mehr Prävention. „Nachdem die Politik zwei Jahre lang freiheitseinschränkende Maßnahmen vorgeschrieben hat, sollten wir bei der Corona-Bekämpfung auch auf Eigenverantwortung und gesunden Menschenverstand setzen.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.