Berlin/Düsseldorf. In NRW fährt die Linke erneut ein desaströses Ergebnis ein. Die Wahl zeigt: Die Probleme der Partei sind strukturell und gehen tief.

Janine Wissler versucht gar nicht erst, eine neue Formulierung zu finden, um dieses Ergebnis zu beschreiben. „Bitter“ sei der Ausgang der Wahl in Nordrhein-Westfalen für die Linke, sagt die Parteichefin am Montag danach. So, wie sie es in letzter Zeit immer wieder sagen musste. Sie sieht müde aus.

Am Tag nach der Wahl ist der Trümmerhaufen, vor dem die Linke derzeit steht, noch ein bisschen höher geworden. Mit einem Einzug in den Landtag hatte ohnehin niemand in der Partei gerechnet. Aber 2,1 Prozent, das unterbot dann doch noch einmal die ohnehin niedrigen Erwartungen.

Es ist die jüngste in einer Serie von heftigen Wahlniederlagen, längst nicht mehr zu erklären mit regionalen Besonderheiten oder der Qualität des Wahlkampfs, den ein Landesverband auf die Beine stellt. Der Bundestrend „war kein Freund von uns“, so formuliert es NRW-Spitzenkandidat Jules El-Khatib am Montag mit freundlichen Understatement.

Die Probleme der Linken, das bestätigt dieses Wahlergebnis, sind strukturell – und sie bedrohen ihre Existenz. Da ist zum einen das Gesprächsklima in der Partei: Die Linke galt schon immer als diskussionsfreudig, die unterschiedlichen Lager sind nicht dafür bekannt, besonders schonend miteinander umzugehen. Der Konflikt um den richtigen Kurs hatte einst die Beziehung zwischen Partei- und Fraktionsspitze unumkehrbar zerrüttet. Mit den Folgen und sich selbst kämpft die Linke noch immer – und das gern auch öffentlich in sozialen Medien. Die Bundestagsfraktion ist tief gespalten, gelähmt vom langen Streit.

Außenpolitik der Linken: Es gibt die offizielle Position und dann noch einige andere

Eine Folge davon ist eine „Vielstimmigkeit“ in wichtigen Themen, die El-Khatib am Montag beklagte. Bestes Beispiel ist die Außenpolitik: Zur Frage, wer eigentlich wie viel Verantwortung trägt für Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine, findet man die offizielle Position der Partei, und dann auch noch eine ganze Menge andere. Prominente linke Stimmen wie Sahra Wagenknecht – die sich durch Beschlüsse der Partei ohnehin kaum mehr gebunden fühlt – vertreten da immer wieder Thesen, die nicht dazu beitragen, das Bild einer Partei zu vermitteln, die eine schlüssige außenpolitische Position hat.

Gleichzeitig hat die Partei mit einem handfesten Skandal wegen Sexismus und sexueller Übergriffe zu kämpfen: Seit einem Medienbericht, der mehrere Fälle aus Wisslers Landesverband Hessen öffentlich machte, haben sich zahlreiche weitere Betroffene aus mehreren Verbänden gemeldet. Mindestens 60 seien es inzwischen, gab zwischenzeitlich die Parteijugend Solid bekannt.

Die Lebensversicherung der Partei ist Ostdeutschland

Auch Wissler selbst ist angeschlagen durch diese Vorgänge – einer der ursprünglich Beschuldigten war ihr Partner, als er eine Beziehung zu einer Minderjährigen geführt haben soll. Als Co-Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow über den Fall ihr Amt niederlegte war klar, dass auf dem Parteitag im Juni nicht nur inhaltliche Diskussionen anstehen werden. Auch der Bundesvorstand soll dann neu gewählt werden, früher als eigentlich geplant.

Noch hat die Partei Hochburgen. In vier Bundesländern ist sie Teil der Landesregierung, die drei Direktmandate aus dem Osten retteten ihr bei der Bundestagswahl knapp den Einzug in Fraktionsstärke. Hier liege deshalb die Chance der Linken, sagt Sören Pellmann, Ostbeauftragter der Linksfraktion im Bundestag. „Der Osten kann die Lebensversicherung für das Überleben der Linken bundesweit sein.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.