Berlin. Pazifismus hilft nicht: Die Friedensbewegung darf die Augen vor Kriegsverbrechen in der Ukraine nicht verschließen, meint unser Autor.

„Frieden schaffen ohne Waffen“ – der Friedensappell von DDR-Regimekritiker Robert Havemann und Rainer Eppelmann, Pfarrer der Berliner Samaritergemeinde, ist in diesem Jahr 40 Jahre alt geworden. Damals, im Jahr 1982, war die Angst groß, dass Mitteleuropa im Konflikt zwischen Ost und West zu einem nuklearen Schlachtfeld werden könnte.

Das war angesichts neuer Atomraketen wie der sowjetischen SS-20 und der westlichen Pershing II auch gar nicht weit hergeholt. Schnell wurde die Appellüberschrift zum Slogan der alljährlichen Ostermärsche und der Friedensbewegung. Hunderttausende gingen auf die Straße.

Und heute? Tobt in der Ukraine, wenige Hundert Kilometer von Berlin entfernt, ein brutaler Angriffskrieg. Nahezu täglich gibt es neue schockierende Berichte über das brutale Vorgehen russischer Einheiten, die offenbar nicht vor Massakern an der Zivilbevölkerung zurückschrecken. Immer mehr Bilder von Kriegsverbrechen tauchen auf.

Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Folter. Geheimdienste warnen vor dem Einsatz chemischer und nuklearer Waffen. Niemand weiß, wie weit der Kriegstreiber Wladimir Putin noch gehen wird.

Gewaltfreie Unterstützung der Ukraine?

Es geht um das Leben und die Heimat von Millionen Menschen, die bis vor wenigen Wochen noch in Frieden und Freiheit lebten – und sich über kurz oder lang auf dem Weg in unseren Staatenbund, die Europäische Union, befanden.

„Frieden schaffen ohne Waffen“ – es wäre zu schön, wenn dieses Konzept funktionieren würde. Doch angesichts der Fakten wirken die Forderungen der Ostermärsche nach Abrüstung und einer gewaltfreien Unterstützung der Ukraine an diesem Wochenende wie aus der Zeit gefallen. Am Verhandlungstisch lässt sich aktuell leider wenig bis gar nichts erreichen. Alle diplomatischen Bemühungen waren schon krachend gescheitert, als Putin seine Truppen im Winter an der ukrainischen Grenze aufmarschieren ließ.

Damit steht nicht nur die Friedensbewegung vor einem Dilemma, auch die Außenpolitik Deutschlands und des Westens insgesamt. Lange Zeit bestand die Hoffnung, dass ein deutsches Erfolgsrezept aus dem Kalten Krieg auch in der Nachwendezeit dafür sorgen würde, dass sich Russland und der Westen nie wieder feindlich gegenüberstehen.

Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent
Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

„Wandel durch Annäherung“ brachte die Bundesrepublik und die DDR nach dem Mauerbau einander wieder näher – und führte letztlich zur Wiedervereinigung. Viele kleine Schritte sollten auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion für Annäherung sorgen.

Das alles ist hinfällig. Die Realität zeigt, dass Partnerschaften mit Despoten wie Putin völlig unberechenbar sind. Warnsignale gab es genug. Doch der Westen schaute lieber weg – wie bei Putins Unterstützung für den syrischen Machthaber Baschar al-Assad im seit 2011 tobenden Bürgerkrieg.

Die Ukraine braucht Hilfe. Nicht irgendwann, nicht ideell, sondern jetzt und handfest. „Die Menschen in der Ukraine wehren sich mit Mut und Opferbereitschaft. Wir stehen in der Pflicht, sie mit Waffen zu unterstützen“ – diese Sätze sagte Vizekanzler Robert Habeck im Interview mit unserer Redaktion. Ein Grüner. Mitglied jener Partei, die ihre Wurzeln in der Umwelt- und Friedensbewegung hat – und die sich nun mutig den realen Gegebenheiten stellt.

Es wäre klug, wenn auch die Friedensbewegung nicht die Augen vor den grausamen Taten in den ukrainischen Städten wie Butscha verschließt, Putins Angriffskrieg klar verurteilt – und erkennt, dass Pazifismus jetzt nicht weiterhilft. Zur Verteidigung, zum Schutz von Menschenleben, Frieden und Freiheit sind derzeit leider Waffen nötig.