Brüssel/Berlin. Wie lange kann die Ukraine standhalten? Die russische Armee ist deutlich überlegen, aber am Boden muss sie mit Verlusten rechnen.

  • Russland marschiert in die Ukraine ein
  • Putins Armee ist der ukrainischen überlegen
  • Ganz ohne Gegenwehr wird die Invasion aber nicht verlaufen

Raketenangriffe auf mehrere Städte, Grenzübertritte russischer Truppen: Russland hat mit einem Angriff auf die Ukraine begonnen. Kann die ukrainische Armee der Offensive standhalten?“

Wie der Angriff am Ende ausgehen wird, ist für westliche Militärexperten klar: „Die militärische Überlegenheit Russlands steht außer Zweifel“, sagt ein Nato-Diplomat. Der Aufmarsch spricht nach Meinung von Militäranalysten für einen möglichen Mehrfronten-Angriff aus dem Norden, Osten und im Süden vom Schwarzen Meer.

Ukraine-Krise: Russland ist militärisch überlegen

In einem großen Halbkreis um die Ukraine, von der Krim bis zur belarussischen Grenze hat Russland inzwischen einen Ring mit massiver Bewaffnung gezogen: Tausende Panzer, Kampfflugzeuge, Artillerie, Raketenwerfer und weiteres militärisches Gerät stehen in Grenznähe, dazu Feld-Lazarette mit Blutreserven, Munitionslager und Logistikeinheiten.

Ein russischer Panzer Typ T-72B3 feuert während einer Militärübung in Südrussland Munition ab.
Ein russischer Panzer Typ T-72B3 feuert während einer Militärübung in Südrussland Munition ab. © dpa

Dem könnte die Ukraine nicht lange standhalten. Ihre Armee verfügt über rund 200.000 aktive Soldaten, die russische Armee hat über eine Million – bei der Zahl der Reservisten ist das Verhältnis 900.000 zu 2 Millionen. Die russische Überlegenheit bei der Bewaffnung ist erdrückend: 69 ukrainischen Kampfflugzeugen stehen etwa 1500 russische gegenüber.

Russland verfügt über 544 Kampfhubschrauber, die Ukraine über 34. Den russischen Streitkräften stehen 12.400 Panzer zur Verfügung - fast sechsmal so viel wie die Ukraine im Bestand hat. Von den über 2800 russischen Kampfpanzern, zu denen vor allem der T-90 gehört, sind viele relativ neu oder modernisiert; die Ukraine besitzt nur rund 850 Kampfpanzer.

Ukraine-Krise: Die größte Schwäche der Ukraine ist ihre Luftabwehr

Die größten Defizite hat die Ukraine bei der Marine, die praktisch kaum existiert, bei der Kommunikation, der Abwehr von Cyberangriffen und vor allem bei der Luftabwehr. Der Großteil der Luftverteidigungssysteme ist veraltet und für die russischen Streitkräfte leicht auszuschalten. Das ist nach Einschätzung westlicher Geheimdienste die Achillesferse, auf die Russland zielen würde: Ein Angriff würde in der Luft beginnen und die ukrainische Abwehr schwächen oder gar ausschalten. Russland zieht an der Grenze schon Kampfhubschrauber und Kampfflugzeuge zusammen.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die andere Seite der Medaille: Westliche Militärs sind sich sicher, dass die Ukraine stark genug ist, um einem möglichen Angreifer noch schwere Verluste zuzufügen. Die ukrainische Armee hat aus dem Desaster von 2014, als Russland erst die Krim annektierte und dann den Konflikt in der Ostukraine begann, Konsequenzen gezogen. Damals war sie mit veraltetem Material und schlechter Führung kaum abwehrbereit, an der Front in der Ostukraine standen anfangs nur 6000 Soldaten, denen es an Ausrüstung und Erfahrung fehlte.

Ukraine-Krise: Der Westen hat bei der Aufrüstung geholfen

Doch seitdem hat die Ukraine stark aufgerüstet, die Verteidigungsausgaben machen inzwischen drei Prozent der Wirtschaftsleistung aus, der Anteil ist etwa doppelt so hoch wie in Deutschland. Der vor sieben Jahren begonnene Konflikt in der Ostukraine hat dazu geführt, dass der Anteil kampferfahrener Soldaten sehr hoch ist.

Auch interessant: Baerbock in Kiew und Moskau: Wird sie vermitteln können?

"Geholfen hat aber auch der Westen. Die Nato hat die Armee bei Ausbildung und Training unterstützt. Der Westen lieferte in begrenztem Umfang Waffen, vorwiegend, aber nicht nur solche mit Defensivcharakter: Drohnenabwehrsysteme, Hubschrauber, zuletzt sehr kurzfristig große Mengen der Abwehrwaffen gegen Panzer und Raketen.“

Russland fürchtet die ukrainische Kampfdrohnen aus der Türkei

Die Türkei hat die Ukraine sogar mit bewaffneten Kampfdrohnen ausgerüstet – die „Bayraktar TB-2“ ist eine erfolgreiche türkische Eigenentwicklung, die unter anderem in Berg-Karabach und in Syrien zum Einsatz kam. Die Russen fürchten die Drohnen, mit denen die Ukraine bereits Ziele in dem von Separatisten kontrollierten Donbass angegriffen hat. Moskau nutzt diese Aufrüstung aber nun für seine Propaganda: Die türkischen Drohnen dienen dem Kreml als Beleg für die offensiven Absichten der ukrainischen Armee im Osten des Landes.

Verfolgen Sie hier alle aktuellen Nachrichten zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine.

Wichtigster Unterstützer Kiews sind aber die USA, sie schickten seit 2014 Waffen im Wert von immerhin 2,5 Milliarden Dollar: Drohnen, Patrouillenboote, Radarsysteme, gepanzerte Geländewagen und hunderte der modernen Anti-Panzerraketen vom Typ Javelin – diese modernen, tragbaren Systeme mit wärmesuchendem Infrarotsensor können auch moderne Kampfpanzer zerstören und würden eine russische Bodenoffensive zumindest eine Zeitlang bremsen.

Auch Russland muss in der Ukraine-Krise mit Verlusten rechnen

Die russische Armee müsste sich also auf erhebliche Opfer einstellen. In einer Analyse des Zentrums für strategische und internationale Studien (CSIS), einer Denkfabrik in Washington, heißt es: „Zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg stünden russische Soldaten einer modern ausgerüsteten Armee gegenüber.“ Und: „Je länger der Krieg dauert und je größer die Verluste, desto größer die Aussicht, dass die Moral der Russen unterminiert wird.“

Einige westliche Regierungen haben hier die große Schwachstelle Putins gesehen, die sie durch massive Waffenlieferungen an die Ukraine noch vergrößert haben. Westliche Geheimdienste haben deshalb in Szenarien auch die Möglichkeit durchgespielt, dass Putin nach einer ersten Angriffswelle versuchen wird, die Ukraine auf dem Verhandlungsweg zu Zugeständnissen zu zwingen.