Berlin/Moskau. Nur ein geschlossener Westen kann Russland Paroli bieten. Baerbock versucht es mit „Dialog und Härte“, doch an letzterem mangelt es.

Der russische Präsident Wladimir Putin spielt das Spiel seines Lebens. Er hat den Westen mit Maximalforderungen überfahren, die bis vor Kurzem niemand für möglich gehalten hätte. Er knallte den Amerikanern und der Nato Erwartungen auf den Tisch, die bislang als tabu galten: keine weitere Osterweiterung der Nato, Rückzug aller Bündnissoldaten aus osteuropäischen Ländern und dem Baltikum. Es wäre die Schrumpfung der Allianz auf Rumpfgröße.

Putin hält derzeit das Heft des Handelns in der Hand. Er agiert, der Westen reagiert. Russland ist heute nicht „Regionalmacht“, wie der frühere US-Präsident Barack Obama dereinst spottete. Es ist Weltmacht mit einem gewaltigen nuklearen Erpressungspotenzial. Die Drohung des Kremlchefs mit „einer angemessenen militärtechnischen Antwort“, sollte der Westen nicht auf seine Bedingungen eingehen, ist gravierend.

Putins Arsenal reicht von einem Einmarsch in die Ukraine über die Stationierung von atomar bestückten Hyperschallwaffen mit nur wenigen Minuten Vorwarnzeit bis hin zu massiven Cyberattacken und Desinformationskampagnen.

Mehr zum Thema: Ukraine-Konflikt erklärt: „Die Alarmglocken sind schon an“

Ukraine-Konflikt: Baerbock trifft in Russland den richtigen Ton – doch der reicht nicht

Die harschen Töne des russischen Präsidenten gehen über die Ukraine hinaus. Er will nicht weniger als die europäische Nachkriegsordnung umschreiben. Die Freiheit der Länder, ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Orientierungen selbst zu wählen, soll durch Einflusssphären mit einer dominierenden Ordnungsmacht ersetzt werden. Es ist eine Art Jalta 4.0. Auf der einen Seite stehen die freiheitlichen Systeme des Westens, auf der anderen die autokratischen Regime des Ostens.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent.
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

Vor dem Hintergrund von Putins Machtdemonstration wagte sich Außenministerin Annalena Baerbock in die Höhle des Löwen. Nach einem Besuch in der Ukraine stellte sie sich einem Treffen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, einem der ausgebufftesten und mitunter schroffsten Diplomaten der Welt. Sie trat gesprächsbereit auf, war klar, traf den richtigen Ton.

Baerbocks Aufruf zur politischen Lösung von Krisen ist ehrenwert. Richtig ist auch, dass sie mit ihrem Generalmotto „Dialog und Härte“ auf die richtigen Schwerpunkte setzt. In einer vernetzten Welt kann es angesichts gemeinsamer Herausforderungen wie Corona und Klimawandel keine Konfrontation um jeden Preis geben. Aber man darf autoritäre Regime nicht schalten und walten lassen. Man muss ihnen Paroli bieten.

Baerbocks Appell an die Russen, zu verhandeln, reicht da nicht aus. Um Putin in Schach zu halten, sind selbst die Europäer zu schwachbrüstig. Der Traum des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, die Europäische Union müsse „weltpolitikfähig“ werden, hat sich als Illusion erwiesen. Der Brüsseler Club ist in Fragen der Migrationspolitik, Schuldenfinanzierung und Rechtsstaatlichkeit gespalten, sein militärisches Gewicht eher bescheiden.

Deutschland und die EU: Es mangelt an der Fähigkeit zur Härte

Um von Putin ernst genommen zu werden, muss der Westen geschlossen auftreten. Nur als Breitbandgemeinschaft mit einem starken militärischen und politischen Hebel hat er eine Chance. Amerika, die Nato, die G7-Länder und die EU können im Schulterschluss ein Gegengewicht zu Putins Hunger nach Einflusssphären bilden.

Wirtschaftliche Strafmaßnahmen gehören im Fall neuer russischer Aggressionen in den Instrumentenkasten. Ein Stopp der Erdgaspipeline Nord Stream 2 sollte ebenso als Sanktionsvariante erwogen werden wie eine Abkoppelung Russlands vom wichtigen Interbankensystem Swift. Dialog ist in der Politik umso wirksamer, wenn die Fähigkeit zur Härte im Hintergrund mitschwingt. In weiten Teilen der deutschen Politik ist dies aber noch nicht angekommen.