Berlin. Die Unicef-Schirmherrin fordert mehr Schutz für Kinder während der Corona-Pandemie. Auch der Bundesregierung gibt sie Hausaufgaben.

Die Kinderhilfswerk Unicef der Vereinten Nationen wird am Samstag, 11. Dezember, 75 Jahre alt. Sie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um weltweit Kindern in Not zu helfen. Gerade hat Unicef gewarnt, dass die Covid-19-Pandemie die schlimmste Krise für Kinder seit der Gründung vor 75 Jahren darstellt. In dem gerade weltweit veröffentlichten Bericht „Ein verlorenes Jahrzehnt vermeiden“ zeigt Unicef, dass in Folge der Pandemie in Jahrzehnten errungene Fortschritte für Kinder in Gefahr sind: beim Kampf gegen Armut und Ungleichheit sowie bei der Verbesserung der körperlichen und mentalen Gesundheit, der Bildung, der Ernährung und beim Schutz von Kindern.

Die Rechte von Kindern sind laut Unicef in einem nie dagewesenen Maß bedroht. Elke Büdenbender, Unicef-Schirmherrin und Gattin des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, ruft zu mehr Rücksicht auf und mahnt im Interview mit unserer Redaktion die Rechte der Kinder mehr als bisher zu berücksichtigen. Elke Büdenbender sagt, dies gelte nicht nur für Kinder in armen Länder, auch in Deutschland müssen die Belange der Kinder künftig mehr gesehen werden. Der neuen Bundesregierung gibt sie Hausaufgaben auf.

In der Gründungserklärung von Unicef am 11. Dezember 1946 heißt es: „Die Hoffnung der Welt richtet sich auf die kommenden Generationen“. Auch 75 Jahre später bestimmen noch Hunger und Bildungsarmut den Alltag von Millionen von Kindern weltweit. Hat die Weltgemeinschaft die Hoffnungen der Kinder enttäuscht?

Elke Büdenbender: Im Winter 1946 litten Millionen Kinder an den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs: Hunger, Kälte, Krankheiten, Flucht. Unicef war eine Antwort auf dieses Leid und auch auf die schrecklichen Verbrechen in der Zeit des Krieges. Auch Kinder waren ihnen zum Opfer gefallen und hatten Fürchterliches erlebt. Eine Grundprinzip aus der Gründungszeit gilt bis heute: Unicef bietet universellen Schutz für alle Kinder, unabhängig aus welchem Land sie stammen. Dieser Ansatz überzeugt bis heute und macht Unicef so bedeutend. Die Haltung, dass Kinder jenseits aller Gegensätze ein Recht auf Schutz und Hilfe haben, zieht sich durch bis hin zur UN-Konvention über die Rechte des Kindes. Kinder brauchen Unterstützung. Sie können die Welt nur besser machen können, wenn wir sie dazu in die Lage versetzen – das ist der Gründungsgedanke von Unicef.

Die Rechte von Kindern finden allerdings bis heute nicht ausreichend Beachtung oder werden missachtet. Wir sehen das auf dramatische Weise in Kriegsländern, aber auch bei den Folgen der Klimakrise oder während der Corona-Pandemie. Als Unicef -Schirmherrin wünsche ich mir und erwarte ich, dass wir hier Fortschritte machen und die besonderen Interessen von Kindern auch bei uns in Deutschland stärker einbeziehen – in politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen. Unicef leistet hierzu einen entscheidenden Beitrag. Allen Menschen in Deutschland, die diese wichtige Arbeit für Kinder unterstützen, möchte ich daher von Herzen danken.

Vor 75 Jahren wurde UNICEF gegründet. Hier ein Bild von 1946 aus Polen. Dort trinkt ein Mädchen Milch von einer von UNICEF gestifteten Kuh. Nach dem Zweiten Weltkrieg litten die Kinder in vielen Ländern Europas unter Hunger.
Vor 75 Jahren wurde UNICEF gegründet. Hier ein Bild von 1946 aus Polen. Dort trinkt ein Mädchen Milch von einer von UNICEF gestifteten Kuh. Nach dem Zweiten Weltkrieg litten die Kinder in vielen Ländern Europas unter Hunger. © © UNICEF/UNI43100/Vachon | © UNICEF/UNI43100/Vachon

Unicef ruft zu einer „Dekade des Handelns“ auf und fordert die Regierungen dazu auf, die Kinderrechte zu vervielfachen. Auch in Deutschland wächst jedes fünfte Kind in Armut auf. Das sind 2,8 Millionen Kinder unter 18 Jahren. Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung? Wie kann diesen Kindern geholfen werden?

Büdenbender: Aus vielen Gesprächen mit Familien und jungen Menschen weiß ich, welchen Härten und Hürden auch in einem wohlhabenden Land wie Deutschland nach wie vor zu viele Kinder ausgesetzt sind. Es besteht vielfach die Gefahr, dass sie aus eigener Kraft nicht mithalten könnten und schon früh abgehängt werden vom Rest der Gesellschaft. Das darf nicht passieren! Der Koalitionsvertrag nimmt sich der Interessen von Kindern sehr konkret an. Dass sie künftig Kindergrundsicherung erhalten sollen, ist ein wichtiger Schritt, der in eine gute Richtung weist. Das Wohlergehen von Kindern sollte quer durch alle Ressorts und alle Bereiche unseres Zusammenlebens stärker in den Blick genommen werden.

Seit 20 Monaten bestimmt die Corona-Pandemie den Alltag von Jugendlichen und Kindern, sie wurden von den Einschränkungen der Lockdowns entschieden getroffen, die Kinder erlebten Gewalt in Familien, erleiden Bildungsrückstände. Wie bewerten Sie die Situation, welche Forderung ergibt sich daraus für Sie?

Büdenbender: Familien und Kinder haben in der Pandemie sehr viel zurückstecken und aushalten müssen – das habe ich bei meinen Begegnungen auch als Schirmherrin des Müttergenesungswerks und der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung immer wieder festgestellt. Sie haben dennoch sehr viel Solidarität untereinander und für die Gesellschaft als Ganzes bewiesen. Jetzt sind wir erneut in einer kritischen Phase der Pandemie und ich hoffe sehr, dass bei allen Beschlüssen und Maßnahmen die Auswirkungen auf Kinder und Familien besonders in den Blick genommen werden.

Gibt es ein bestimmtes Land, welches gerade besonders hart getroffen ist, welches Spenden aus Deutschland besonders nötig hat?

Büdenbender: Es gibt leider viele Länder und Regionen, in denen Kinder und ihre Familien Hilfe brauchen. Nach dem jüngsten Bericht der Welthungerhilfe 2021 sterben jeden Tag – ich wiederhole: jeden Tag – 15.000 Kinder an Unterernährung. Besonders berührt mich das Schicksal der Kinder in Afghanistan. Dort ist jetzt bald tiefer Winter mit Eiseskälte und Schnee. Nach dem Machtwechsel herrscht große Ungewissheit und Sorge. Viele Gesundheitseinrichtungen wissen nicht, wie sie weitermachen können. Rund die Hälfte aller Kinder in dem Land hat nicht genug zu essen. Ihnen droht Hunger und großes Leid, viele von ihnen könnten an akuter Mangelernährung sterben. Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen. Hier kann jeder und jede von uns zumindest einen kleinen Beitrag leisten.

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UNICEF-Schirmherrin Elke Büdenbender (rechts), Frau des deutschen Bundespräsidenten, besucht das Weiterbildungsprogramm „Rupantaran
UNICEF-Schirmherrin Elke Büdenbender (rechts), Frau des deutschen Bundespräsidenten, besucht das Weiterbildungsprogramm „Rupantaran" in Nepal. Sie unterhält sich mit jungen Frauen, die sie sehr beeindruckt haben. Fünf Jahre vorher hatte es ein schweres Erdbeben in dem Himalaya-Land gegeben. © picture alliance/dpa | Sina Schuldt

Welches Erlebnis, welcher Moment auf einer ihrer Unicef-Reisen hat Sie während Ihrer Zeit als Unicef-Schirmherrin nicht losgelassen?

Büdenbender: Kurz vor Beginn der Pandemie war ich mit Unicef in Nepal. Die Bildungsprojekte für Mädchen im besonders armen Süden des Landes sind mir gut in Erinnerung. Das waren wirklich schöne Begegnungen: Wie die jungen Frauen für ihre Rechte auf Bildung und Selbstbestimmung eingetreten sind, wie sie sich Ziele für ihr Leben gesetzt haben – das hat mich nicht nur beeindruckt, sondern auch berührt. Sie waren so voller Hoffnung, Zuversicht und Tatendrang trotz der schwierigen Lebensbedingungen. Bei diesem fordernden Weg in die Selbstbestimmtheit brauchen sie Unterstützung. Es ist daher wichtig, dass Unicef positive Entwicklungen wie diese früh erkennt und sich für Kinder und junge Menschen sehr konkret einsetzt.