Berlin. Die Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien gehen in die nächste Phase. Die Hauptverhandlungsgruppen sollen sehr vertraulich tagen.

Wo sie getagt hätten? „Immer woanders“, verrät der Unterhändler am Telefon, „also genau richtig: sodass man uns nicht wiederfindet.“ Am Ende der Leitung ist nur ein kurzes kehliges Lachen zu hören. Hinter dem Wechsel steckt kein Versteckspiel, es war eine Frage der Logistik. Aber das Ergebnis gefällt den Ampel-Parteien. SPD, FDP und Grüne sind mit sich selbst zufrieden – mit ihrer Geheimhaltung.

Am Montagmorgen beobachten Annalena Baerbock und Robert Habeck am Fenster das Treiben auf der Mauerstraße. Die Grünen-Chefs stehen in der Hamburger Vertretung und haben es hinter sich, haben sich ihren Weg zwischen auf der Straße protestierenden Klimaaktivisten, lauernden Journalisten und Fotografen gebahnt. Erklärungen oder gar Fragen der Wegelagerer waren nicht vorgesehen.

Olaf Scholz gibt für die SPD – für seine Verhältnisse – wortreich zu Protokoll: „Wir werden heute weiter gut beraten – das ist, glaub ich, auf ganz konstruktivem Weg.“ Was wichtig werde, wird FDP-Chef Christian Lindner zugerufen. „Alles.“

Koalitionsgespräche: Genaue Vorgaben für die Arbeitsgruppen


Nachdem 22 Fachgruppen wochenlang verhandelt und Papiere vorgelegt haben, gingen die Koalitionsgespräche am Montag in die nächste Phase, als die 21-köpfige Hauptverhandlungsgruppe sich in der Hamburg-Vertretung traf. Für Dienstag haben sich die Wunschpartner woanders verabredet, in der rheinland-pfälzischen Vertretung, wie man hört. Wer an der Landesvertretung vorbeifuhr, erkannte vor Wochen, wie im Garten Sichtblenden hochgezogen wurden.

Als eine der Arbeitsgruppen im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus tagte, wo die Bundestagsabgeordneten ihre Büros haben, zogen die Politiker vorsorglich die Jalousien runter. Die Partner wollten nicht von draußen beobachtet werden. Nicht dass ein Fotograf sich per Teleobjektiv einen Ausschnitt des Textes heranzoomen könnte, an dem am Bildschirm an der Wand gefeilt wurde. An der Farbe hätte er die Textvaterschaft erkennen können: Rot für einen Formulierungsvorschlag der SPD, Gelb für einen der FDP, Grün selbstredend für Grünen-Ideen.

Nicht nur die Farbe war den Arbeitsgruppen vorgegeben, sondern auch Größe und Zusammensetzung der Gruppen, Aufbau und Länge der Texte (maximal drei Seiten bei kleinen Gruppen, sechs bei den größeren), Schriftart und -größe sowie Zeilenabstand, ferner Verhandlungstage (nicht am Wochenende) und Uhrzeiten (nicht nach 17 Uhr), zudem ein Abgabedatum: der vergangene Mittwoch um 18 Uhr.

Arbeitsgruppen sollen in absoluter Vertraulichkeit tagen

Im Idealfall sollte jede Gruppe sich auf einen endgültigen Text verständigt haben, ohne offene Fragen, einschließlich der Klärung, wann ein Gesetz eingebracht werden soll, welche Kosten es verursacht und ob man es allein durchsetzen kann oder nur mit die Zustimmung der Länder im Bundesrat. Offenbar hat jede Arbeitsgruppe die Vorgabe gerissen, Streitpunkte für die Chefebene gibt es auf allen Feldern.

Zum Start wurde in jeder Arbeitsgruppe absolute Vertraulichkeit angemahnt. Keine Fotos, keine Tweets, keine Wortprotokolle. Als der „Spiegel“ über einen heftigen Wortwechsel in der Arbeitsgruppe 20 („So nicht, Heiko“) beichtete, war die Zerknirschung groß. Das habe danach „unseren Korpsgeist“ gestärkt, erzählt einer der Beteiligten. Tatsächlich gelangte nicht viel mehr nach außen über die Streitpunkte der Sicherheits- und Außenpolitiker um Minister Heiko Maas.

Wer Unterhändler anrief, bekam entweder keine Antwort oder eine nichtssagende SMS: „Wir sitzen gerade zusammen und sind guter Dinge, heute etwas richtig Gutes fertigzustellen.“ Es ist möglich, aber nicht bekannt, ob irgendeine Gruppe in der Parlamentarischen Gesellschaft (PG) – direkt gegenüber dem Reichstag – getagt hat. Denn die PG ist ein politisch verminter Ort. Dort hatten 2017 Union, FDP und Grüne verhandelt und Maßstäbe der Indiskretion gesetzt.

Die Ampel-Parteien wollen sich von Jamaika absetzen

Sie hatten geplaudert und auf dem Balkon für die Fotografen posiert. Die Konsequenzen vier Jahre später: Kontrollbedürfnis und Verschwiegenheit. Die PG-Räume zu meiden, sei „Teil der Absetzbewegung von Jamaika“, sinniert ein Unterhändler. Gleich zu Beginn hatte Habeck beteuert, die Parteichefs würden besonders auf Vertraulichkeit achten.

Dahinter steckte ein Vorsatz: Mit gutem Beispiel vorangehen. Und eine Drohung: Wer redet, hat es sich mit dem Chefs verscherzt – ein Karriereknick droht. Der Druck auf die Arbeitsgruppen und ihre Mitarbeiter war groß. Am wortreichsten hat Habeck öffentlich über den „Vertrauensraum“ reflektiert, den man schaffen wolle – ganz so, als sei der Weg schon das Ziel und Diskretion die erste Erfolgsetappe. „Indiskretion ist die Pest“, sagte Habeck.

Meist klappte der Seuchenschutz. Es ist eine Ironie, dass es Grüne waren, die wie Baerbock mit dem Verhandlungsstand in der Klimapolitik haderten oder sich wie Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt unabgestimmt zu einer Impflicht erklärten. Die Corona-Politik ist ein Grenzfall, weil sich die Parteien während der Gespräche äußern mussten. Und doch zeigt sie erste Haarrisse in der Schweigemauer.