London. In Glasgow beginnt am Sonntag die UN-Klimakonferenz. Johnson will sein Land zum Vorreiter machen. Doch seine Strategie hat Lücken.

Boris Johnson, noch nie ein Mann der Bescheidenheit, hält Großbritannien für die Speerspitze in Sachen Klimapolitik. Vergangene Woche, als der Premierminister seine als „bahnbrechend“ angepriesene Klimastrategie vorstellte, versprach er, Großbritannien zum „Geburtsort der Grünen Industriellen Revolution“ zu machen und die Welt auf dem Weg zu „Net Zero“ (deutsch: netto null) anzuführen.

Mehr noch: Jahrelang habe es geheißen, eine wirklich nachhaltige Wirtschaft erfordere drastische Änderungen des Lebensstils – in seiner Strategie hingegen sei „weit und breit kein Büßerhemd zu sehen“.

Als Gastgeber der UN-Klimakonferenz 2021 („COP 26“), die Ende dieser Woche in Glasgow beginnt, schaut die Welt besonders genau auf Großbritannien. Der Gipfel in Schottland gilt als der wichtigste überhaupt – die letzte Chance, eine katastrophale Krise in den kommenden Jahren und Jahrzehnten doch noch abzuwenden.

Klimaziele: Großbritannien will mit gutem Beispiel vorangehen

Entsprechend will Großbritannien mit gutem Beispiel vorangehen, um die Delegationen aus fünf Kontinenten zu schärferen Klimazielen zu verpflichten. Bereits im September warnte Johnson in einer Rede vor den Vereinten Nationen, dass die Welt sich „einem kritischen Wendepunkt“ nähere. „Es ist an der Zeit, auf die Warnungen der Wissenschaftler zu hören.“

Großbritanniens Boris Johnson auf dem Elektrofahrrad: Der britische Regierungschef will, dass der CO2-Ausstoß seines Landes bis 2035 um 78 Prozent sinkt.
Großbritanniens Boris Johnson auf dem Elektrofahrrad: Der britische Regierungschef will, dass der CO2-Ausstoß seines Landes bis 2035 um 78 Prozent sinkt. © AFP | PAUL ELLIS

Wenn der Premier die Spitzenleistungen Großbritanniens in der Klimapolitik anpreist, klingt er zwar bombastisch, aber er ist nicht völlig realitätsfern. Denn im internationalen Vergleich macht Großbritannien eine gute Figur.

Seit 1990 sind die Treibhausgas-Emissionen um rund die Hälfte gesunken. Das ist vor allem einer Tatsache geschuldet: Das Land hat sich weitgehend von der Kohlekraft verabschiedet. Großbritannien hat insbesondere in Windfarmen, Solar- und Bioenergieanlagen investiert, sodass erneuerbare Energien im Jahr 2020 erstmals mehr Elektrizität erzeugten als fossile Brennstoffe.

Auch die Royals setzen verstärkt auf Grün

Zudem ist die Industrie sauberer geworden, sowohl das herstellende Gewerbe wie auch die Abfallwirtschaft, wo striktere Auflagen bezüglich der Emissionen eingeführt worden sind.

Die Briten stehen weitgehend hinter der grünen Agenda. In den vergangenen Jahren haben sie ihr Bewusstsein für Klimawandel und Umwelt deutlich geschärft: In einer Umfrage im September sagten über 30 Prozent, dass der Klimawandel eines der größten Probleme für das Land sei. Noch vor fünf Jahren waren es weniger als zehn Prozent gewesen.

Selbst das Königshaus setzt verstärkt auf Grün. Die Queen, so sagt man, halte den Energieverbrauch auf ihren Ländereien mithilfe von 60 smarten Stromzählern genau im Auge. In ihren Palästen und Herrschaftshäusern werden derzeit energieeffiziente LED-Lampen ausprobiert, und auf den königlichen Besitzungen werden 40 Prozent des Stroms durch Wasserkraft generiert.

Viele Häuser im Königreich sind alt und schlecht gedämmt

Die Regierung will weitergehen auf dem Weg zu „Green Britain“. Die Ziele sind ehrgeizig: Bis 2035 soll der CO2-Ausstoß um 78 Prozent gesenkt werden, die Klimaneutralität im Jahr 2050 ist gesetzlich festgeschrieben.

Elektroautos sind ein wichtiger Teil der grünen Revolution: Ab 2030 wird man in Großbritannien keine Benzin- und Dieselautos mehr kaufen können. Vergangene Woche kündigte Johnson ein weiteres Paket von Maßnahmen an, um die britische Wirtschaft auf dieses Ziel zuzusteuern.

Dazu gehören etwa der Ausbau von Offshore-Windparks sowie neue Anlagen zur CO2-Abscheidung. Die Regierung plant Investitionen von 620 Millionen Pfund für den Bau von Elektroautos und Ladestationen. Ab dem Jahr 2035 will Großbritannien allen Strom aus sauberer Energie beziehen, unter anderem mithilfe eines neuen Atomkraftwerks.

Besonderes Augenmerk gilt auch den Emissionen durch Heizungen. In Großbritannien wird vor allem mit Gasboilern geheizt, die fast ein Drittel des gesamten Kohlenstoffausstoßes ausmachen. Darum sollen die Häuser mit klimafreundlichen Wärmepumpen ausgestattet werden: Die Regierung stellt Haushalten bis zu 5000 Pfund zur Verfügung, um die Pumpen zu installieren.

Insgesamt soll der Klimaplan in den kommenden Jahren rund 450.000 Jobs schaffen und 90 Milliarden Pfund an privaten Investitionen anlocken.

Kritiker kritisieren Fleischkonsum der Briten

Große Zahlen, aber viele Kritiker sind nicht überzeugt. Zu bruchstückhaft, zu wenig durchdacht seien die Pläne, sagen Experten. „Die Net-Zero-Strategie ist ein wichtiger zusätzlicher Schritt in die richtige Richtung, aber sie ist natürlich nicht genug“, sagte Jim Watson, Direktor des Instituts für nachhaltige Ressourcen am University College London.

„Die Finanzierung für CO-arme Gebäude ist bescheiden, und es gibt kaum Pläne, wie die Gebäude energieeffizienter gemacht werden sollen.“ Die Häuser in Großbritannien sind im europäischen Vergleich sehr alt, undichte Fenster und schlecht gebaute Mauern lassen einen Großteil der Wärme entweichen – ein wichtiger Grund, weshalb Heizungen hier so viel Energie verbrauchen.

Auch Greenpeace kritisiert die Strategie als „halbherzig“. Es gebe etliche Lücken – zum Beispiel fehlen umfassende Investitionen in den öffentlichen Verkehr oder ein konkreter Plan, wie erneuerbare Energiequellen in genügendem Ausmaß entwickelt werden, sagt Rebecca Newsom, Chefin von Greenpeace UK.

Sie kritisiert zudem, dass die Regierung weiterhin Öl in der Nordsee anzapfen will und dass es keinerlei Pläne gibt, wie die Briten ihren Fleischkonsum senken sollen, um die Abholzung in anderen Kontinenten zu stoppen.