Berlin. Entgegen der Statistik nimmt eine Mehrheit an, dass die Kriminalität zunimmt – doch nur bei Betrug im Internet ist das der Fall.

Die Worte sind deutlich. „Die Gefährdungslage im Cyberraum ist hoch“, sagt Noch-Innenminister Horst Seehofer (CSU) diese Woche bei der Vorstellung des Jahresberichts zur IT-Sicherheit in Deutschland. „Wir müssen davon ausgehen, dass dies dauerhaft so bleibt oder sogar zunehmen wird.“ Der Chef von Deutschlands wichtigster Cyberabwehrbehörde BSI, Arne Schönbohm, spricht von einer „Alarmstufe Rot“ in Teilen der Cyberwelt.

Die Angriffsmethoden der Cyberkriminellen sind vielfältig: Hacker attackieren zunehmend Unternehmen und infiltrieren das Firmennetz mit einer Schadsoftware – die Folge: Erpresser blockieren die Programme und fordern Geld. Fälle waren in den Medien: Übergriffe auf das IT-Netz eines Krankenhauses. Auch den Verlag dieser Redaktion hatte es im Winter getroffen.

Hacker greifen Institutionen an – aber noch häufiger Otto Normalverbraucher

Noch mehr Aufsehen erreichen Hacker, wenn sie Abgeordnete mit gefälschten E-Mails in eine Falle locken, auf das Netzwerk des Bundestags oder anderer staatlicher Institutionen zugreifen können.

Ein Angriff 2015 auf das Parlament bestimmte über Wochen die Schlagzeilen. Doch das ist nur die Spitze des virtuellen Eisbergs – die Masse der Betrügereien, des Datenmissbrauchs und der Infiltration mit Schadsoftware trifft die alltäglichen Internetnutzer.

BSI: Jeder Vierte war schon Opfer von Cyberkriminalität

Jeder Vierte gab nach Angaben des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik an, bereits Opfer von Cyberkriminellen gewesen zu sein. Hacker erlangen Zugriff auf Online-Konten, installieren Schadsoftware und spionieren so wichtige Daten wie etwa Bankinformationen aus.

Immer mehr Menschen nutzen Computer und Handys im Alltag, für ihre Kommunikation, privat und beruflich, fürs Shoppen, für Überweisungen und Buchungen. In der Corona-Pandemie, so warnen Fachleute, haben Betrüger ihr „Geschäft“ noch einmal stärker ins Internet verlegt – allein schon, weil die Menschen monatelang im Lockdown festhingen. Das Internet als zentraler Zugang in die Außenwelt. Mehr dazu: Corona und Kriminalität: Mehr Cyberkriminalität und häusliche Gewalt

Kriminalität in Deutschland nimmt eigentlich ab – Gesellschaft hat aber anderen Eindruck

Aber auch die Sicherheitsbehörden legen seit Jahren einen immer genaueren Fokus auf dieses Deliktsfeld. Auch das führt zu einem Anstieg der Fälle in der Statistik. Dabei wird Deutschland insgesamt sicherer – das zumindest legen die jährlichen Bilanzen der Polizei nahe, in denen viele Anzeigen etwa im Bereich der Gewaltdelikte oder der Einbrüche zurückgehen.

Interessant sind die Ergebnisse einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die bisher nicht öffentlich ist, aber unserer Redaktion vorab vorliegt. Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland geht demnach von einer Zunahme der Kriminalität in den vergangenen fünf Jahren aus. „62 Prozent gehen von einer Zunahme aus. 26 Prozent sehen sogar eine starke Zunahme“, heißt es in dem „Monitor Sicherheit“ der CDU-nahen Stiftung.

Eine Wahrnehmung, die auch nach Einschätzung des Autors der Studie den Hinweisen auf einen tatsächlichen Rückgang der Straftaten insgesamt entgegensteht. Zwar spiegele die Polizeistatistik „nur die zur Anzeige gebrachten Straftaten“ wider und enthalte keine weiteren Daten, dennoch sei eine „deutlichen Zunahme“ der Kriminalität, wie von den Befragten der Studie unterstellt, „sehr unwahrscheinlich“.

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Studie: Viele befragte besorgt wegen Cyberkriminalität

Allerdings, und das passt ins Bild der warnenden Worte von Minister Seehofer und BSI-Chef Schönbohm, sind die meisten der Befragten besorgt über Angriffe aus dem Internet. Gut ein Drittel der mehr als 3000 Befragten für die KAS-Analyse hat demnach zudem große oder sehr große Angst, Opfer von Betrug im Internet zu werden. Die Sorge Opfer von Wohnungseinbruch, Diebstahl oder Gewaltverbrechen zu werden, ist deutlich geringer – und liegt jeweils bei rund 15 Prozent.

Im Umgang mit dem Internet sind viele Menschen nach Einschätzung von IT-Fachleuten noch unsicher, nehmen Datenschutz weniger ernst, schützen ihre Computer oft nicht ausreichend vor Viren oder dem Zugriff mit Schadsoftware. Diese Unsicherheit könnte neben den wachsenden Versuchen der Cyberkriminellen auch Erklärung dafür sein, dass die Angst der befragten Menschen in Deutschland vor Online-Betrug am stärksten ist.

Studie über Wahrnehmung von Kriminalität: Die meisten fühlen sich zu Hause sicher

Die Angst vor Kriminalität und zugleich das wachsende Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit – es ist ein Phänomen, das Forscherteams seit vielen Jahren beschäftigt. Die neue Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung gibt noch einige interessante Aufschlüsse auf die Kriminalitätsangst in Deutschland. Laut der Studie mit dem Titel „Wenn es Nacht wird in Deutschland“ unter der Leitung des Soziologen Jochen Roose sehen Frauen in der Kriminalität ein größeres Problem als Männer, und ältere Menschen mehr als jüngere. Ähnlich gilt dies für den Unterschied von Ost- und Westdeutschland. „In Ostdeutschland betrachten 71 Prozent Kriminalität als sehr großes oder großes Problem, während es in Westdeutschland mit 66 Prozent etwas weniger sind.“

Während sich laut KAS-Studie die Menschen in der Regel im eigenen Zuhause sicher fühlen, seien „öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel dagegen Orte, an denen sich mehr als ein Drittel abends und nachts eher oder sehr unsicher fühlt“.

Die Macher der Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung haben nach eigenen Angaben mit Hilfe des Meinungsforschungsinstituts Infratest-dimap 3023 Personen Ende vergangenen Jahres befragt. Die Ergebnisse seien „repräsentativ für die wahlberechtigte, deutschsprachige Wohnbevölkerung“.

Und doch: So sehr die Menschen Sicherheit und Verbrechen in ihrem Alltag beschäftigen – es steht deutlich hinter anderen Themen, die den Befragten wichtig sind. So hebt der Autor der Studie hervor, dass Kriminalität zwar durch „die direkte Konfrontation“ mit dem Thema bei den Bürgerinnen und Bürgern als ein großes Problem wahrgenommen werde, sich dies aber bei Befragungen etwa des Politbarometers nicht zeige.

„Im Juni 2020 erreicht Kriminalität als aktuelles Problem in den Umfragen des Politbarometer einstellige Prozentwerte, in den übrigen Befragungen 2020 und bis Juni 2021 wird das Thema in keiner dieser Umfragen von mehr als 1 Prozent der Befragten erwähnt“, heißt es in der Studie. Auf den vorderen Plätzen landen andere Sorgen: zum Beispiel vor dem Klimawandel, vor wirtschaftlicher Rezession. Oder vor Steuererhöhungen.