Washington. In den USA ist das Corona-Moratorium für Zwangsräumungen ausgelaufen. Die Wohnungskrise könnte sich abermals dramatisch verschärfen.

Cory Bush weiß, was es heißt, wenn man plötzlich auf der Straße steht. Die Afro-Amerikanerin aus St. Louis/Missouri wurde - vor ihrer politischen Blitz-Karriere als Kongress-Abgeordnete - in ihrem Leben drei Mal zwangsgeräumt und lebte mit ihren zwei Kindern zeitweilig im Auto.

Mit diesen Erfahrungen im Gepäck zog die 45-jährige examinierte Krankenschwester und Pastorin am Samstagabend mit einigen wenigen Getreuen vor die Treppen des Kapitols in Washington, um bei einem "sleep-in" gegen ihre eigene Partei, die Demokraten, und eine "unglaubliche Katastrophe" zu protestieren:

Hunderttausenden Amerikanern droht die Zwangsräumung

Ab diesem Montag müssen Hunderttausende Amerikaner, die wegen Corona ihren Job verloren haben und darum mit ihrer Miete im Rückstand sind, mit den ersten Zwangsräumungsbescheiden rechnen.

Auslöser ist ein Samstagnacht abgelaufenes Moratorium der staatliche Seuchenschutzbehörde. Die CDC hatte wegen Corona im vergangenen Jahr Haus- und Wohnungseigentümern untersagt, säumige Mieter auf die Straße zu setzen. Dieser Bann war nach Angaben der Behörden für knapp 15 Millionen Menschen in rund 6,5 Millionen Haushalten, die mit rund 20 Milliarden Dollar in der Kreide stehen, existenzsichernd. Jetzt ist der Schutzschirm weg.

Zwangsräumungen in den USA: Situation laut Experten vermeidbar

Weil die Politik in Washington nach Ansicht von einzelnen Politikern wie Cory Bush "kläglich versagt hat". So erklärte die Regierung von Präsident Joe Biden Mitte der Woche, dass man das Moratorium gern verlängert sähe, am besten bis Jahresende. Allerdings seien dem Weißen Haus (und damit der CDC) die Hände gebunden, weil der Oberste Gerichtshof festgelegt hat, dass eine Ausweitung der Schutzzone der parlamentarischen Beglaubigung durch Repräsentantenhaus und Senat bedarf.

Letztere versuchten, als wäre das Thema ganz neu, in aktionistischer Weise am Freitag und Samstag entsprechende Last-Minute-Beschlüsse auf die Beine zu stellen. Was zum Scheitern verurteilt war. Trotz des extremen Handlungsdrucks verabschiedete sich das Repräsentantenhaus in den sechswöchigen Sommer-Urlaub. Für Experten wie Emily Benfer ist das "unbegreiflich, weil die sich nun abzeichnende "Zwangsräumungskrise absolut vermeidbar gewesen wäre".

Lesen Sie auch: USA: Essen nur für Impfgegner - Journalist geht Restaurantbesitzer scharf an

Die Rechtsprofessorin, in der US-Anwaltsorganisation Fachfrau für alles rund um den Wohnungsmarkt, erinnert daran, dass die Zentralregierung in zwei Fördertöpfen insgesamt 46 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt hat, um Verbindlichkeiten gegenüber Vermietern zu bedienen, bis die Corona-Krise vorbei ist. Allein, das Geld fließt so gut wie nicht ab. Kaum mehr als drei Milliarden Dollar wurden abgerufen.

Ein Grund: Vermieter nehmen die angebotene staatliche Ausfallzahlung bewusst nicht in Anspruch, weil sie bestehende Mieter loswerden wollen, um in der langsam anziehenden Post-Corona-Konjunktur höhere Mieten durchsetzen zu können.

Krise auch bei Wohneigentum – Millionen Versteigerungen

Zudem hingen Tausende Anträge auf Miet-Hilfen in der Bürokratie fest. Joe Biden appelliert an die regionalen Gebietskörperschaften, mehr Tempo an den Tag zu legen, um den Stau abzubauen. Zumal die befürchtete Krise noch zusätzlich befeuert würde, wenn im September 1,75 Millionen Hauseigentümer den Prozess der Zwangsversteigerung beginnen werden, weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bedienen können.

Joe Biden ahnt, dass eine riesige Zwangsräumungswelle in Zeiten eines überteuerten Wohnungsmarktes und der akut gestiegenen Seuchen-Gefahr durch die Delta-Variante verheerende Konsequenzen haben könnte. Die Quittung könnte für ihn und die Demokraten in 16 Monaten bei den Zwischenwahlen im Kongress kommen.

Einzelne Bundesstaaten verlängern Schutz für Mieter

Dabei lautet Bidens Mantra nach den hektischen Trump-Jahren: Der Staat muss sich mit ruhiger Hand gegenüber den Bürgern als leistungsfähig und hilfsbereit erweisen. Andernfalls werde die Politikverdrossenheit immer größer, wovon nur populistische Kräfte profitierten.

Eine gewisse Linderung der prekär wirkenden Lage könnte sich ergeben, wenn mehr Bundesstaaten auf eigene Verantwortung bestehende Moratorien verlängern und finanziell ins Obligo gingen. Derzeit haben die Bundesstaaten New York, New Jersey, Maryland, Illinois, Kalifornien und die Hauptstadt Washington DC entsprechende Vorkehrungen getroffen. In den Südstaaten, wo Mieter-Rechte traditionell schwachbrüstiger sind, gibt es diese Sicherheitsleine so gut wie kaum.