Warum ein sorgloser Umgang mit der Delta-Variante gefährlich ist und der Weg von Boris Johnson nicht taugt, kommentiert Gudrun Büscher.

Die vielen schrecklichen Nachrichten über die Flutkatastrophe haben in den vergangenen Tagen alles überlagert. Retten, Bergen, Helfen – das hat oberste Priorität. Und so muss es auch bleiben. Doch das Hochwasser hat die Corona-Pandemie nicht weggespült, sie ist immer noch da.

Dabei hatten die stetig sinkenden Infektionszahlen in Deutschland ein Gefühl der Sorglosigkeit ausgelöst, Restaurantbesuche, Shoppen, Freunde treffen, Urlaub machen – das Leben kehrte zurück. Doch jetzt kommt Delta.

Delta verbreitet sich rasend schnell

Die Virusvariante verbreitet sich rasend schnell. Die Niederlande haben trotz guter Impfquoten inzwischen wieder eine Sieben-Tage-Inzidenz von fast 400, Spanien von 333, Großbritannien von 492. Gesundheitsminister Jens Spahn hat gewarnt, dass Deutschland im Oktober eine Sieben-Tage-Inzidenz von 800 bekommen könnte, wenn nichts getan wird. Wenn er da mal nicht zu niedrig liegt.

Spanien und das Vereinigte Königreich haben höhere Impfquoten als Deutschland. Überall, wo Delta dominiert, wachsen die Infektionszahlen exponentiell. Und Mitte Juli hat hierzulande die Urlaubszeit noch gar nicht richtig begonnen. Man braucht keine Glaskugel, um vorherzusagen, dass die Infektionen auch in Deutschland enorm zunehmen werden.

Gudrun Büscher, Politik-Korrespondentin.
Gudrun Büscher, Politik-Korrespondentin. © Reto Klar | Reto Klar

Herdenimmunität wird zu einer Fata Morgana

Außer dass Delta extrem ansteckend ist, weiß man noch nicht viel über die Variante. Vor allem ist das wenige, das man weiß, noch nicht verlässlich. Erste Studien zeigten, auch vollständig Geimpfte können das Virus weitergeben, Delta offenbar sogar leichter als andere Varianten. Das heißt: Geimpfte können die Infektionskette nicht brechen. Sie bleiben ein Teil von ihr.

Bislang hatten viele Experten gehofft, dass 80 bis 85 Prozent der Bevölkerung geimpft sein müssten, um eine Herdenimmunität zu erreichen. Aber dieses Ziel wird zunehmend zu einer Fata Morgana. Das Risiko zu erkranken bleibt für Menschen, die nicht geimpft werden können (und natürlich auch für die, die keine Impfung wollen), hoch. Das ist wenig ermutigend.

Kanadische Studie: Delta-Infizierte haben höheres Sterberisiko

Auch die Hoffnung, Delta könne wie ein Schnupfen vorübergehen und vor allem weniger tödlich sein, ist trügerisch. Die Weltgesundheitsorganisation warnte erst in dieser Woche vor der Gefährlichkeit der Variante.

Einer neuen kanadischen Studie zufolge waren bei einer Covid-19-Erkrankung mit der Delta-Variante auch die gesundheitlichen Risiken deutlich höher als bei frühen Corona-Typen: Das Risiko, im Krankenhaus behandelt werden zu müssen, war um etwa 120 Prozent höher, und die Gefahr, Intensivpflege zu benötigen, um etwa 287 Prozent. Das Risiko zu sterben, war demnach um etwa 137 Prozent höher.

Von der Pandemie zur Pingdemie

Was tun? Vielleicht hilft ein Blick nach Großbritannien. Dort kommt nach der Aufhebung aller Corona-Beschränkungen zur Pandemie jetzt die Pingdemie. Sie heißt so, weil immer mehr Britinnen und Briten von der Warnapp auf ihrem Smartphone angepingt werden, weil sie Kontakt zu jemandem hatten, der sich mit Corona infiziert hat.

Viele hatten den „Tag der Freiheit“ in der Nacht von Sonntag auf Montag ausgiebig gefeiert. Mehr und engere Sozialkontakte bedeuten mehr Ansteckungen – und mehr Quarantäne.

Nun wurden schon über eine Million Menschen aufgefordert, sich selbst zu isolieren. Und das bleibt nicht ohne Folgen. Der Personalausfall betrifft fast alle Wirtschaftsbereiche. In einigen Gemeinden wird der Müll nicht abgeholt, Restaurants und Bars schließen, weil die Mitarbeiter zu Hause bleiben müssen.

Selbst der doppelt geimpfte Premierminister Boris Johnson darf nach Kontakt mit einem Infizierten Downing Street Nr. 10 noch nicht wieder verlassen. Der britische Weg, so viel ist sicher, taugt nicht zum Vorbild.