Berlin/Potsdam. Völkerrechtlerin, Trampolinspringerin, Parteichefin und Kanzlerkandidatin der Grünen: Ist Annalena Baerbock reif für das Kanzleramt?

Was vor ein paar Monaten wie ein Hirngespinst wirkte, scheint mit den Maskenaffären und fränkisch-rheinischen Chaostagen in der Union in greifbare Nähe zu rücken. Die Grünen liegen in den Umfragen zur Bundestagswahl gerade sogar vor CDU und CSU. Grün-Rot-Rot oder eine Ampel-Koalition rücken in scheinbar greifbare Nähe. Wird die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, die neue Angela Merkel? Lederjacke statt Blazer, Becker-Faust anstelle der Raute.

Baerbock wäre die jüngste Regierungschefin in der deutschen Geschichte

Annalena Charlotte Alma Baerbock wächst mit zwei Schwestern in der Kleinstadt Pattensen bei Hannover auf. Ihre Mutter ist Sozialpädagogin, der Vater Maschinenbauingenieur. Die Eltern schleppen ihre Töchter auf Anti-Atom-Demos mit. Sportlich liebt sie das Trampolin. Kunstturnen auf Leistungssportniveau, bis irgendwann der Knöchel bricht.

Als Schülerin bricht sie nach Florida an eine Highschool auf. In London an der School of Economics macht sie ihren Master in Völkerrecht und Außenpo­litik. Baerbock wäre die jüngste Regierungschefin, die Deutschland je hatte. Und eine, die noch nie Ministerin war. Ihre Unterstützerinnen und Unterstützer stört das nicht. Lesen Sie auch: Kanzlerin Baerbock? Warum sie es schaffen könnte

Ananalena Baerbock: Rasanter politischer Aufstieg

Ihr politischer Aufstieg verläuft rasant. Mit 28 wird sie Grünen-Landeschefin in Brandenburg, mit 32 zieht sie in den Bundestag ein, mit 37 übernimmt sie zusammen mit Robert Habeck die Parteispitze. Alle schauen damals auf ihn, den smarten Medienstar.

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Annalena Baerbock: "Kämpferisch, fokussiert, willensstark"

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    Auf dem Parteitag 2018 ruft Baerbock ein Stück weit genervt den Delegiertinnen und Delegierten zu: „Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite.“ Mittlerweile rockt sie die Partei mehr als er. Die grüne Basis liebt sie. Bei der Wiederwahl Ende 2019 in Bielefeld erhält Baerbock 97 Prozent. Habeck kriegt 90 Prozent. Lesen Sie hier: So lief Baerbocks Interview bei ProSieben.

    Während viele Vertraute von Baerbock den großen Sieg ihrer Chefin auf einer Party feiern, holt die sich an der Hotelbar eine große Flasche "Cola Light" und geht auf ihr Zimmer zurück. Dort wühlt sie sich durch die nächsten Anträge.

    Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck beim digitalen Politischen Aschermittwoch ihrer Partei.
    Die Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck beim digitalen Politischen Aschermittwoch ihrer Partei. © dpa

    Grünen-Chefin und Abgeordnete: Baerbock wird bis heute unterschätzt

    Baerbock jedenfalls lässt keinen Zweifel daran, dass Klimaschutz im Zentrum ihrer Bewerbung für das Kanzleramt steht. So erinnerte die Umweltexpertin bei der Rede nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur daran, wie sie vor fünf Jahren live beim Abschluss des Pariser Klimaabkommens in der französischen Hauptstadt dabei gewesen sei. Der damalige französische Außenminister Laurent Fabius habe als Konferenzleiter den Holzhammer geschwungen, Delegierte aus 194 Ländern hätten sich mit Tränen in den Augen umarmt.

    "Ich stand in diesem ganzen Getose, meine sechs Monate alte Tochter im Kinderwagen neben mir", erzählt sie. Im Jahr 2050, dem Zieldatum der Pariser Verträge zur Eindämmung der Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad gemessen am vorindustriellen Zeitalter, werde ihre Tochter 35 sein. "Dann wird sie vielleicht auch Kinder haben, bin ich Großmutter, dann werden wir klimagerechten Wohlstand geschaffen haben müssen."

    Annalena Baerbock: "Ich will das Land entfesseln"

    Klimaschutz sei die Aufgabe ihrer Generation. Dabei werfen Kritiker den Grünen längst vor, in der Klimapolitik genügsam, zu wenig radikal geworden zu sein, um bürgerliche Wähler und Indus­trie nicht zu verschrecken. So entstanden bereits regionale "Klimalisten". Baerbock ficht das nicht an. Sie will ein Angebot für die ganze Gesellschaft sein: "Ich will das Land entfesseln.“

    Bis heute wird Baerbock unterschätzt und auch von Männern angefeindet. Sie steckt das weg. Abends fährt sie mit der Regionalbahn von Berlin nach Potsdam, zu ihren beiden kleinen Töchtern und ihrem Mann. Der Kommunikationsberater und Lobbyist schmeißt den Haushalt.

    Mit ihrer weiblichen Kandidatin könnten die Grünen Merkel-Wählerinnen ansprechen – und einen Kon­trapunkt zu Armin Laschet und Olaf Scholz setzen. Reicht es für die Grünen nicht für das Kanzleramt, könnte Baerbock sich bei Schwarz-Grün ein Ministeramt aussuchen. Bei der nächsten Bundestagswahl könnte sie es zudem wieder versuchen. 2025 wäre sie gerade mal 44. Merkel startete erst mit 51 durch.

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