Berlin. Bernd Fitzenberger, Direktor des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit, spricht im Interview über die Folgen des Lockdowns.

Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat untersucht, wer besonders unter der Corona-Krise leidet. Der Direktor Prof. Bernd Fitzenberger sagt im Interview, was der Staat tun muss, um eine Pleitewelle zu verhindern.

Welche Folgen hat der zweite harte Lockdown in Deutschland?

Prof. Bernd Fitzenberger: Der zweite Lockdown wirkt sich nicht so stark auf den Arbeitsmarkt aus wie der erste. Saisonbereinigt ist die Arbeitslosigkeit zuletzt sogar leicht gesunken, die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung nahm im November noch einmal zu. Neuere Daten liegen uns noch nicht vor. Der Arbeitsmarkt zeigt sich aktuell sehr widerstandsfähig.

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Worauf führen Sie das zurück?

Fitzenberger: Das liegt zum einen an der Kurzarbeit, die durch die beschlossenen Erleichterungen nun einfacher und umfassender möglich ist. Betriebe halten an ihren Fachkräften fest. Zum anderen war im ersten Lockdown auch die Industrie stärker betroffen durch Lieferengpässe, Produktionsausfälle und Betriebsschließungen. Klar ist aber auch, dass wir noch knapp eine halbe Million Arbeitslose mehr als vor der Krise haben. Und auch bei den offenen Stellen sind wir bei weitem noch nicht auf dem Vorkrisenniveau: Im Vergleich zum Vorjahr sank die Zahl der offenen Stellen im vierten Quartal 2020 um rund 16 Prozent.

Schlägt das auf den Ausbildungsmarkt durch?

Fitzenberger: Der Ausbildungsmarkt ist stark in Mitleidenschaft gezogen. Betriebe reduzieren die Anzahl der für 2021 angebotenen Ausbildungsstellen und die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber für eine Ausbildungsstelle ist nochmals um etwa 10 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert zu diesem Zeitpunkt zurückgegangen.

Sie haben die Kurzarbeit gelobt. Wie stark wird dieses Instrument in Anspruch genommen?

Fitzenberger: Die Anzahl der Anträge auf Kurzarbeit geht in den letzten Monaten deutlich nach oben. Auch die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit ist zuletzt wieder gestiegen, wenn auch weniger drastisch als im Frühjahr 2020. Laut der aktuellen Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit waren im November 2020 rund 2,26 Millionen Menschen in Kurzarbeit. Im Oktober 2020 galt dies noch für rund 2,06 Millionen. Im Januar wurde für 745.000 Personen konjunkturelle Kurzarbeit angezeigt. Die Erfahrungen zeigen, dass nicht jede angezeigte Kurzarbeit auch realisiert wird. Der Anteil der Betriebe in Kurzarbeit ist nach der IAB-Betriebsbefragung zwischen Anfang November 2020 und Ende Januar von 21 Prozent auf 28 Prozent angestiegen.

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Um welche Branchen geht es dabei?

Fitzenberger: Starke Anstiege sehen wir in den Branchen, die unmittelbar von den Lockdown-Maßnahmen betroffen sind wie etwa das Gastgewerbe und die Reisebranche. In unserer IAB-Betriebsbefragung gaben im Januar in der Gastronomie rund drei Viertel der Betriebe an, von Kurzarbeit betroffen zu sein. Deutlich weniger betroffen ist beispielsweise das Baugewerbe, das auch nicht mit so einem starken Nachfragerückgang klarkommen muss. Aber auch dort ist immer noch fast jeder zehnte Betrieb von Kurzarbeit betroffen.

Welche Auswirkungen hätte eine Verlängerung - oder sogar Verschärfung - der Corona-Maßnahmen über Ostern hinaus?

Fitzenberger: Wäre eine weitere Verlängerung des Lockdowns aus epidemiologischer Sicht notwendig, würde dies die wirtschaftliche Erholung verzögern. Für die vom Lockdown besonders betroffenen Branchen wäre eine Verlängerung natürlich hart. Im Gastgewerbe haben in unserer IAB-Betriebsbefragung knapp ein Viertel der Betriebe angegeben, dass ihre liquiden Mittel nur noch bis zu vier Wochen reichen. Bei einem weiteren Viertel der Betriebe reichen sie nur für zwei Monate. Umso wichtiger ist, dass sie nicht im Regen stehen müssen und die staatlichen Hilfen auch vor Ort ankommen und greifen.

Droht eine Pleitewelle?

Fitzenberger: Wir erwarten keine Pleitewelle, aber es kann im Laufe des Jahres zu einer Zunahme bei Insolvenzen und Betriebsschließungen kommen. Man muss aber festhalten, dass wir im Jahr 2020 bisher keinen starken Anstieg an Insolvenzen gesehen haben. Der Erholungskurs der Wirtschaft verzögert sich aufgrund des Lockdowns. Mutationen des Corona-Virus stellen einen Unsicherheitsfaktor für die weitere Erholung dar.

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Was brauchen die Unternehmen jetzt?

Fitzenberger: Entscheidend für die Unternehmen ist, dass die staatlichen Hilfen ankommen, um die Liquidität sicherzustellen. Sobald das Infektionsgeschehen zurückgeht und die Impfungen so wirken, dass die Corona-Maßnahmen teilweise gelockert werden können, werden wir eine starke wirtschaftliche Erholung sehen. Die Corona-Pandemie hat aber auch mittelbare Folgen…

… und zwar?

Fitzenberger: Die Pandemie beschleunigt den Strukturwandel. Einige Unternehmen und auch Arbeitsplätze werden vom Markt verschwinden. Gleichzeitig werden an anderer Stelle neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen. Aus diesem Grund werden nicht alle Branchen und Beschäftigten in gleicher Weise von dem Erholungsprozess nach Ende der Krise profitieren. Es ist daher wichtig, Weiterbildungen und Mobilität hin zu neuen Arbeitsplätzen zu fördern, um die Folgen des Strukturwandels für die Beschäftigten abzufedern.

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Halten Sie weitere staatliche Hilfen für erforderlich?

Solange das Wirtschaftsleben aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeschränkt bleibt und die Folgen nicht überwunden sind, bleiben staatliche Hilfen für die Betroffenen notwendig. Kurzarbeitergeld hilft dann nicht mehr, wenn Betriebe wegen der coronabedingten Schließungen beziehungsweise Ausfällen von Lieferungen, Nachfrage oder Personal zahlungsunfähig werden. Hier sind staatliche Liquiditätshilfen notwendig. Diese müssen neben Betrieben auch Selbstständigen zugutekommen, die ebenfalls mit erheblichem Einkommensausfall konfrontiert sein können.

Was ist mit den Auszubildenden?

Fitzenberger: Ein besonderes Augenmerk muss auf der Unterstützung von ausbildungsberechtigten Unternehmen liegen, Ausbildungsplätze aufrechtzuerhalten oder sogar auszubauen. Es darf keine Generation Corona auf dem Arbeitsmarkt entstehen. Denn Arbeitslosigkeit zu Beginn einer Erwerbsbiografie führt noch Jahre später zu einem geringeren Lohn und häufigerer Arbeitslosigkeit. Bei einer Verlängerung der Corona-Maßnahmen sollten die Unterstützungsmaßnahmen für die Betriebe oder das Programm „Ausbildungsplätze sichern“ ebenfalls verlängert werden.