Berlin. Sollten schon gegen Corona geimpfte Menschen in der Pandemie mehr dürfen als andere? Nein, sagt der Ethikrat - aus mehreren Gründen.

Es ist eine Frage, die seit dem Start der Corona-Impfkampagne in Deutschland zunehmend aufgeregt diskutiert wird: Sollten für Menschen, die bereits geimpft wurden, Ausnahmen gelten von den Regeln zur Eindämmung der Pandemie? Auch der Deutsche Ethikrat hat sich mit dieser Frage befasst – und sie jetzt mit Nein beantwortet.

Eine am Donnerstag veröffentlichte Ad-hoc-Stellungnahme zum Thema und die Überlegungen dahinter erläuterten die Ratsvorsitzende Alena Buyx und die Ratsmitglieder Sigrid Graumann und Volker Lipp in der Bundespressekonferenz.

„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt“, erklärte Buyx, „sollte aufgrund der noch nicht verlässlich abschätzbaren Infektiosität eine individuelle Rücknahme staatlicher Freiheitsbeschränkungen für geimpfte Personen nicht erfolgen.“

Ethikrat: Sonderregeln für Geimpfte suggerieren „falsche Sicherheit“

Stattdessen sollten, mit Fortschreiten des Impfprogramms die Freiheitsbeschränkungen für alle Bürgerinnen und Bürger schrittweise aufgehoben werden. Als Maßstab, wann das vertretbar ist, solle der Staat dabei nicht nur auf die Infektionszahlen, sondern die Zahl der Krankenhausaufnahmen sowie schwere Verläufe und Todesfälle blicken.

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Hintergrund ist die immer noch offene Frage, inwiefern Geimpfte das Virus weitergeben können, auch wenn sie selbst vor einem schweren Verlauf einer Covid-Erkrankungen geschützt sind. Die Impfung schütze „nach derzeitigem Erkenntnisstand“ nicht davor, andere zu infizieren, erklärte Sigrid Graumann, Sprecherin der AG Pandemie des Rats. „Besondere Regeln für Geimpfte würden zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn machen.“

Die Forderungen, für schon geimpfte Menschen Ausnahmen von den Corona-Regeln zu machen, seien deshalb auch „wenig hilfreich“, so Graumann. „Sie suggerieren die falsche Sicherheit, von Geimpften würde keine Infektionsgefahr ausgehen.“

Ausnahmen für Geimpft könnten Akzeptanz der Maßnahmen schaden

Sonderrechte für Geimpfte könnten außerdem der Akzeptanz der Maßnahmen insgesamt schaden, so der Rat: Viele würden das als ungerecht empfinden, solange nicht jeder eine Chance auf eine Impfung habe, sagte Graumann. „Es ist fraglich, ob Menschen, die keine Angst vor einer Erkrankung haben und noch gar keine Chance hatten, sich impfen zu lassen, dann noch bereit wären die Infektionsschutzregeln einzuhalten.“

Ausdrücklich unterscheidet das Gremium in seiner Stellungnahme zwischen staatlichen Maßnahmen und Unterscheidungen nach Impfstatus, die Unternehmen machen könnten. Private Anbieter hätten grundsätzlich Vertragsfreiheit, erklärte Volker Lipp, stellvertretender Ratsvorsitzender. Wenn beispielsweise nach einer generellen Wiedereröffnung von Konzerthallen ein Veranstalter entscheiden sollte, nur Geimpften den Zugang zu erlauben, so wäre dies durchaus möglich.

Die Vorstellung, dass aber zum Beispiel Clubs früher wieder aufmachen könnten, wenn sie nur für Geimpfte öffnen, beruhe aber auf einem Missverständnis, sagte Buyx.

Ethikrat-Vorsitzende Buyx lehnt Begriff „Privilegien“ ab

Der Rat betonte außerdem, dass es auch für Privatunternehmen Grenzen gebe: Wenn es um Bereiche geht, die die „gleichberechtigte Teilhabe am Leben“ betreffen, sollte es aus Sicht des Rates keine Ungleichbehandlung geben. Als Beispiel nannten die Ratsmitglieder Verkehrsunternehmen.

Die Ratsvorsitzende, Medizinethikerin Buyx, sagte auf Nachfrage, sie würde sich freuen, wenn in der Debatte nicht mehr von „Privilegien“ für geimpfte Personen gesprochen würde. Der Begriff sei unpräzise und sorge für eine unnötige Verschärfung der öffentlichen Debatte. (tma)