Das Militär übernimmt in Myanmar die Macht – und stellt Regierungschefin Aung San Suu Kyi unter Arrest. Scharfe Proteste aus Europa.

Min Aung Hlaing hält seine stramm gestreckte rechte Hand an die Stirn, zieht eine ernste Miene, richtet den Blick in die Ferne. So hat man den Obersten Befehlshaber des Militärs von Myanmar immer wieder gesehen, seit er diesen mächtigen Posten vor zehn Jahren übernommen hat. Bisher hat er gern durch solche Posen seinen Einfluss demonstriert.

In der Nacht zu Montag aber lässt er nicht Bilder für sich sprechen, sondern Taten. Seine Männer haben die Regierungschefin Aung San Suu Kyi und weitere Politiker ihrer Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) festgenommen.

Myanmar: Militär putscht sich an die Macht - Ausnahmezustand

Kurz darauf wird über das Staatsfernsehen klargestellt: Min Aung Hlaing, dieser 64-jährige Offizier, der über Jahrzehnte einen langsamen Aufstieg in den Streitkräften des südostasiatischen Landes hinlegte, hat jetzt im ganzen Staat das Sagen. Denn die Parlamentswahl, die die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi im November gewonnen hat, sei irregulär gewesen.

Mit Millionen von Stimmzettelduplikaten sei das Ergebnis gefälscht worden. Deshalb übernehme jetzt lieber das Militär. „Der Ausnahmezustand gilt landesweit und für ein Jahr“, erklärt ein Nachrichtensprecher des staatlich kontrollierten TV-Senders MRTV am Montag. Danach solle es Wahlen geben.

In Myanmar herrschte schon ein halbes Jahrhundert das Militär

Es ist eine Rhetorik, die die älteren Menschen im Land noch gut kennen. Rund ein halbes Jahrhundert regierte in Myanmar nach einem Putsch im Jahr 1962 das Militär. Nach wiederholten internationalen Forderungen nach Demokratisierung und schmerzenden Sanktionen wurde im Jahr 2008 eine neue Verfassung erlassen, die demokratische Wahlen zuließ. Bei diesen durfte auch die jahrelang unter Hausarrest oder in Gefangenschaft lebende Aung San Suu Kyi antreten. 2015 gewann die Frau, die 1991 für ihre friedlichen Proteste den Friedensnobelpreis erhalten hatte, erstmals die Wahl.

Doch blieb ihre Macht von Anfang an stark beschränkt. Erstens sichert die Verfassung von 2008 dem Militär 25 Prozent der Sitze im Parlament zu, sodass ohne dessen Zustimmung keine Verfassungsänderung möglich ist. Hinzu kommt, dass das Militär die Ministerien für Verteidigung, Grenzangelegenheiten und Inneres kontrolliert. Somit hören die Beamten, Polizisten und Soldaten nicht etwa auf Anweisungen der demokratisch gewählten Staatsrätin Aung San Suu Kyi, sondern auf das Kommando des Militärs. Wohl auch deshalb hat die im überwiegend buddhistischen Land populäre Politikerin immer wieder geschwiegen, wenn es um die langjährige Gewalt des Militärs gegen die muslimische Minderheit der Rohingya ging.

Für die Machtübernahme fehlt dem Militär die rechtliche Grundlage

Dass Anfang dieser Woche dennoch die Führung ausgetauscht wurde, hatte sich bereits angekündigt. Am Montag sollte das im November neu gewählte Parlament seine erste Sitzung abhalten. Doch die Zusammensetzung gefiel den Militärs nicht: Mit 83 Prozent der Stimmen hatte Aung San Suu Kyis Partei NLD einen krachenden Wahlsieg eingefahren, während die von den Streitkräften unterstützte USDP (Union für Solidarität und Entwicklung) nur 33 der 476 Sitze gewonnen hatte. Nach dem Putsch forderte die NLD das Land mit den Worten ihrer Anführerin zu Protesten auf: „Die Maßnahmen des Militärs sind Maßnahmen, um das Land zurück in die Diktatur zu führen.“

Aung San Suu Kyis Partei NLD hatte bei der Wahl 83 Prozent der Stimmen bekommen.
Aung San Suu Kyis Partei NLD hatte bei der Wahl 83 Prozent der Stimmen bekommen. © Thet Aung / AFP | Thet Aung / AFP

Für die Machtübernahme fehlt dem Militär, das nach eigener Beteuerung die Verfassung garantieren will, eine deutliche rechtliche Grundlage. „Es ist ziemlich klar, dass im Falle eines Verfassungsnotstands die Macht überwiegend beim Präsidentenamt liegt und nicht beim Obersten Befehlshaber“, sagte Melissa Crouch, Rechtsprofessorin und Expertin für Südostasien an der University of New South Wales, Sydney, Australien, am Montag internationalen Medien.

Eindrücke aus einem Rohingya-Lager

Tausende Rohingya, eine muslimische Minderheit, flüchten aus Myanmar nach Bangladesch. Dort leben sie in Flüchtlingscamps. Die Lager sind in den Wäldern spontan entstanden. Die Äste und Baumstämme nutzen die Rohingya als Feuerholz.
Tausende Rohingya, eine muslimische Minderheit, flüchten aus Myanmar nach Bangladesch. Dort leben sie in Flüchtlingscamps. Die Lager sind in den Wäldern spontan entstanden. Die Äste und Baumstämme nutzen die Rohingya als Feuerholz. © Sören Kittel | Sören Kittel
Die Wände der Hütten sind dünn – nachts aber kann die Temperatur gerade im Januar bis zu 2 bis 5 Grad betragen. In diesem Jahr war es in Bangladesch so kalt wie seit 50 Jahren nicht.
Die Wände der Hütten sind dünn – nachts aber kann die Temperatur gerade im Januar bis zu 2 bis 5 Grad betragen. In diesem Jahr war es in Bangladesch so kalt wie seit 50 Jahren nicht. © Sören Kittel | Sören Kittel
Die Zelte der Rohingya sind in einer Reihe aufgebaut, haben alle die gleiche Größe und auf den Dächern liegen zum Teil Solarpanele, damit die Bewohner ihre Mobiltelefone aufladen können.
Die Zelte der Rohingya sind in einer Reihe aufgebaut, haben alle die gleiche Größe und auf den Dächern liegen zum Teil Solarpanele, damit die Bewohner ihre Mobiltelefone aufladen können. © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Rohingya Arkam (25) vor seiner Familien-Hütte. Sie leben zu siebt auf rund 16 Quadratmetern. Er kann sich vorstellen, bald heimzukehren.
Der Rohingya Arkam (25) vor seiner Familien-Hütte. Sie leben zu siebt auf rund 16 Quadratmetern. Er kann sich vorstellen, bald heimzukehren. © Sören Kittel | Sören Kittel
Die Kinder sind in den Camps am sichtbarsten. Sie grüßen auf Englisch und machen jeden Spaß mit. Doch auch sie haben häufig Traumata auf der Flucht durchlebt.
Die Kinder sind in den Camps am sichtbarsten. Sie grüßen auf Englisch und machen jeden Spaß mit. Doch auch sie haben häufig Traumata auf der Flucht durchlebt. © Sören Kittel | Sören Kittel
Rund die Hälfte der geflüchteten Rohingya sind Kinder, das schätzt das Kinderhilfswerk Unicef.
Rund die Hälfte der geflüchteten Rohingya sind Kinder, das schätzt das Kinderhilfswerk Unicef. © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Tag ist für viele Rohingya damit ausgefüllt, für Hilfsgüter anzustehen. Auch Kinder helfen häufig dabei, kleinere Arbeiten für die Familien zu erledigen. Schulen gibt es nicht.
Der Tag ist für viele Rohingya damit ausgefüllt, für Hilfsgüter anzustehen. Auch Kinder helfen häufig dabei, kleinere Arbeiten für die Familien zu erledigen. Schulen gibt es nicht. © Sören Kittel | Sören Kittel
Rohingya-Kinder bei der Ausgabe von Hilfsgütern in einer Hütte. Mehr als 5000 von ihnen sind zum Teil schwer unterernährt.
Rohingya-Kinder bei der Ausgabe von Hilfsgütern in einer Hütte. Mehr als 5000 von ihnen sind zum Teil schwer unterernährt. © Sören Kittel | Sören Kittel
Soviel, dass sie es kaum tragen können: Eine Ration von „Aktion gegen den Hunger“ enthält ein Moskitonetz, zwei Plastikplanen, ein Hygieneset und ein Seil.
Soviel, dass sie es kaum tragen können: Eine Ration von „Aktion gegen den Hunger“ enthält ein Moskitonetz, zwei Plastikplanen, ein Hygieneset und ein Seil. © Sören Kittel | Sören Kittel
Diese junge Frau ist mit ihrem Kind in einer Klinik für mangelernährte Kinder aufgenommen worden. Auch die Mütter werden hier darin geschult, mit ihrem Kind wieder eine Beziehung aufzubauen
Diese junge Frau ist mit ihrem Kind in einer Klinik für mangelernährte Kinder aufgenommen worden. Auch die Mütter werden hier darin geschult, mit ihrem Kind wieder eine Beziehung aufzubauen © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Arzt Jubayer Mumin (33) ist Bangladescher und arbeitet in einem Krankenhaus für unterernährte Kinder. „Wir haben vor allem mit Krankheiten zu kämpfen, die als Folgen der Flucht entstanden sind: Durchfall und Lungenentzündungen.“
Der Arzt Jubayer Mumin (33) ist Bangladescher und arbeitet in einem Krankenhaus für unterernährte Kinder. „Wir haben vor allem mit Krankheiten zu kämpfen, die als Folgen der Flucht entstanden sind: Durchfall und Lungenentzündungen.“ © Sören Kittel | Sören Kittel
Zwei warme Mahlzeiten bekommen die Kinder der Rohingya, meist aus Reis, Zwiebeln und etwas Gemüse. Unterernährte Kinder werden bevorzugt behandelt.
Zwei warme Mahlzeiten bekommen die Kinder der Rohingya, meist aus Reis, Zwiebeln und etwas Gemüse. Unterernährte Kinder werden bevorzugt behandelt. © Sören Kittel | Sören Kittel
In „Child friendly Spaces“ können sich kleine Kinder tagsüber aufhalten. Sie funktionieren ganz ähnlich einem Kindergarten. Nur dass die Rohingya auch hier einen Raum haben, in dem traumatisierte Kinder behandelt werden.
In „Child friendly Spaces“ können sich kleine Kinder tagsüber aufhalten. Sie funktionieren ganz ähnlich einem Kindergarten. Nur dass die Rohingya auch hier einen Raum haben, in dem traumatisierte Kinder behandelt werden. © Sören Kittel | Sören Kittel
Der Alltag von Flüchtlingen in Kutupalong besteht vor allem aus häufigem Anstehen. Auf Listen werden die eingetragen, die bereits ein Hilfspaket bekommen haben.
Der Alltag von Flüchtlingen in Kutupalong besteht vor allem aus häufigem Anstehen. Auf Listen werden die eingetragen, die bereits ein Hilfspaket bekommen haben. © Sören Kittel | Sören Kittel
Das Holz wird den Rohingya zum Bauen der Hütten zur Verfügung gestellt. Doch viele Einheimische fragen inzwischen, warum die Rohingya so viel geschenkt bekommen, während sie weiter arm bleiben.
Das Holz wird den Rohingya zum Bauen der Hütten zur Verfügung gestellt. Doch viele Einheimische fragen inzwischen, warum die Rohingya so viel geschenkt bekommen, während sie weiter arm bleiben. © Sören Kittel | Sören Kittel
Es gibt auch immer wieder Geschäfte in den Lagern, meist von Bangladeschern betrieben, in denen die Rohingya Lebensmittel, Seife oder Mobiltelefone kaufen können. Ein einfaches Telefon kostet 1000 Taka (10 Euro).
Es gibt auch immer wieder Geschäfte in den Lagern, meist von Bangladeschern betrieben, in denen die Rohingya Lebensmittel, Seife oder Mobiltelefone kaufen können. Ein einfaches Telefon kostet 1000 Taka (10 Euro). © Sören Kittel | Sören Kittel
Shamima, 35, eine Rohingya aus Myanmar, die ihr Gesicht nicht zeigen will, aus Angst vor den burmesischen Militär und der „Heilsarmee“ der Rohingya. Ihr Bruder starb bei der Flucht aus Myanmar.
Shamima, 35, eine Rohingya aus Myanmar, die ihr Gesicht nicht zeigen will, aus Angst vor den burmesischen Militär und der „Heilsarmee“ der Rohingya. Ihr Bruder starb bei der Flucht aus Myanmar. © Sören Kittel | Sören Kittel
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Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wird Wahlbetrug vorgeworfen

Der staatlich kontrollierte TV-Sender MRTV stellt die Sache am selben Tag anders vor. Dort verweist der Nachrichtensprecher auf Artikel 418 der Verfassung von 2008 und liest vor: „Um die Wahllisten zu prüfen und Maßnahmen einzuleiten, wird die Macht der nationalen Gesetzgebung, Regierung und Rechtsprechung auf den Obersten Befehlshaber übertragen.“ Die Gewaltenteilung, die die Justiz von der Regierung unabhängig machen soll, ist damit auch gleich abgeschafft – offiziell, um eine demokratische Verfassung zu schützen.

Mehr als ein Dutzend Regierungen anderer Staaten haben sich in der Zwischenzeit mit Forderungen zum Konflikt geäußert. Auf der einen Seite stehen liberale Demokratien wie die USA, Deutschland, Großbritannien, Japan und die EU, die in dieser Sache allesamt Aung San Suu Kyis Partei unterstützen und die Freilassung von deren Anführerin verlangen. Auch UN-Generalsekretär António Guterres hat die Festnahme der Präsidentin „scharf verurteilt“.

Wenig Kritik ist dagegen vonseiten Chinas zu hören. „Die chinesische Regierung ist nicht geneigt, die Demokratie zu unterstützen“, sagt hierzu Damien Kingsbury von der Denkfabrik Australia Myanmar Institute in Melbourne. Vielmehr gehöre China zu den Unterstützern des Umsturzes.

Vor diesem Hintergrund ist Myanmar regionalpolitisch keineswegs ein unwichtiger Staat. Das 54 Millionen Einwohner zählende Land grenzt im Norden und Osten an China, das für jeweils ein Drittel von Myanmars Im- und Exporten verantwortlich ist. Zu den wenigen anderen Staaten, die seit 2008 regulären Handel mit Myanmar betreiben, gehört Japan. Seit der Demokratisierung vor rund zehn Jahren investierten aber auch westliche Staaten verstärkt in Myanmar. Nicht zuletzt, weil dort die Lohnkosten noch vergleichsweise niedrig sind. Auch um diese Produktionsstätten macht man sich nun Sorgen.