Berlin. Radikale Impfgegner, Cyberkriminelle und Islamisten: Sicherheitsbehörden stufen die Gefahr von Angriffen in der Krise als “hoch“ ein.

Die Worte der rechten Trolle sind drastisch. Die Bundeswehr würde kommen, jeden der über 80 Millionen Deutschen abholen „und zum Impfzentrum bringen und euch dort die Mordspritze/Sterilisationsspritze reinjagen“. Die Impfkampagne ist das neue Feindbild der radikalen Gegner der Corona-Politik. Für die Behörden ist klar: Sie müssen nicht nur die Vakzine sicher transportieren, sondern auch die Impfzentren selbst gegen Übergriffe schützen.

Einer ganz anderen Gefahr sind Entwickler, Hersteller und Lieferanten seit Monaten ausgesetzt: Cyberattacken. Zu den Opfern zählen die Biomedizin-Firma Miltenyi Biotec aus Bergisch Gladbach, die in Genf ansässige Impfallianz Gavi, die Logistikfirma Americold - ein Spezialist für temperaturgesteuerte Lieferketten - und zuletzt kurz vor Weihnachten die Europäische Arzneimittelagentur EMA.

Bundesinnenministerium stuft Gefahr von Angriffen als "hoch" ein

Gerade dieser Vorfall zeigt dem Grünen-Abgeordneten Konstantin von Notz, dass IT-Angriffe, Spionage und Sabotage durch ausländische Nachrichtendienste „sehr reale Gefahren sind“. Auch deutsche Unternehmen seien „längst im Fokus“, warnt er gegenüber unserer Redaktion.

In einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag, die unserer Redaktion vorliegt, stuft die Bundesregierung „Einrichtungen zur Impfstoffforschung, -produktion oder -zulassung als potenzielle Ziele für Spionage und Sabotage durch fremde Nachrichtendienste“ ein. Die Regierung schreibt: „Die Gefahr von Cyberangriffen muss als hoch eingestuft werden.“ Lesen Sie hier: Corona: Wird Deutschland vom Vorbild zum Sorgenkind Europas?

Es seien „mehrere mutmaßliche Ausforschungsversuche bezüglich deutscher Impfstoffhersteller bekannt geworden“, außerdem ein Ransomware-Vorfall in einem Unternehmen, das an der Entwicklung eines Impfstoffes beteiligt sei. Mit Hilfe einer Schadsoftware sollten die Computersysteme der Firma blockiert werden — und ein Lösegeld erpresst werden. Ferner bestehe die Gefahr von Cyberangriffen mit nachrichtendienstlichem Hintergrund. Sicherheitsunternehmen hätten über „Sabotage gegen Hersteller von Kühlgeräten für Impfstoffe“ berichtet.

Sicherheitsdienste bewachen Impfzentren, Bundespolizei sichert Transporte

Die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic treibt um, dass die extrem rechte Szene stark mobilisiert. Im Vogtlandkreis beschmierten unbekannte Täter nach Angaben der Polizei Schilder des Impfzentrums mit dem Wort „Gift“. In Rostock drangen Unbekannte in einer Nacht Anfang Januar in ein Impfzentrum und richteten Beschädigungen an.

Dass größere Angriffe auf Impfzentren bisher ausgeblieben sind, dürfte nur daran liegen, dass die Einrichtungen von Anfang an geschützt wurden. Die Bundespolizei sichert die Impftransporte ab der Übernahme an der deutschen Grenze bis zu den Verteilzentren der Länder. Vor Ort haben längst Kommunen wie Mülheim an der Ruhr Sicherheitsfirmen für den Schutz der Impfzentren angeheuert, und das ist kein Einzelfall.

In Kamenz bei Dresden etwa sichert ein Wachdienst das Gebäude, eine Sporthalle, und die Impfstrasse. Auch nachts. Um das Impfzentrum sperrt ein Metallzaun den Zugang ab, in einem roten Zelt kontrolliert der Sicherheitsdienst den Einlass. Auch interessant: Corona-Impfung: So bekommt man einen Termin

Verschwörer und Rechtsextremisten wettern gegen "Völkermord-Spritzen"

Was Verfassungsschutz und Polizei gleichwohl aufhorchen lässt, ist die Propaganda etwa des früheren TV-Kochs und Verschwörungserzählers Attila Hildmann. Er soll auf seinem Telegram-Kanal erklärt haben, „dass die Spritzen in den Impfzentren den Bomben des Bombenhagels von Dresden gleichen“. Es müsse gezielt „gegen das Unrecht“ vorgegangen werden, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung. Es sind Propaganda-Kanäle auf dem Messengerdienst „Telegram“, auf dem sich Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ und Verschwörungsideologen tummeln.

Von der „Impf-Diktatur“ wettern sie dort, oder von „Völkermord-Spritzen“. In Regionalgruppen von „D-Day 2.0“, einer radikalen Verschwörungsmythen-Gruppe, erwägen Nutzer, sich vor Impfzentren zu versammeln. Allerdings, so ergänzen die Sicherheitsbehörden, würden „Informationen über die tatsächliche Durchführung solcher Versammlungen“ nicht vorliegen. Bisher bleiben die Aufrufe zum Angriff auf die angebliche „Impf-Diktatur“ allerdings Propaganda in den sozialen Medien.

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    Werden Impfzentren zum Ziel islamistischer Angriffe?

    Generell gehen die Sicherheitsbehörden „aufgrund der großen medialen Präsenz sowie der hohen Dynamik und Emotionalität, die dem Themenkomplex „Corona“ innewohnt“, von einer „abstrakten Gefährdung“ für Firmen, Lagerstätten für Impfstoff und Impfzentren aus. Proteste von „Impfgegnern, Corona-Skeptikern und Verschwörungstheoretikern“ seien „einzukalkulieren“.

    Impfzentren, Lagerstätten und Transporte der Vakzine könnten grundsätzlich zudem ein Ziel für islamistisch motivierte Täter darstellen, „da insbesondere bei Impfzentren mit einer großen Menschenansammlung zu rechnen ist, denen jihadistische Tätergruppierungen und Einzeltäter eine besonders hohe Bedeutung zumessen“.

    Mihalic beruhigt es nicht, dass keine Pläne für konkrete Anschläge bekannt sind. Sie sagt, „wie schnell absurde Verschwörungserzählungen in Gewalt umschlagen können, haben wir zuletzt beim Angriff auf das Kapitol gesehen“. Vor allem wundert sich die Grünen-Politikerin, dass „mögliche Bedrohungen“ durch Islamisten klar aufgezeigt werden, die Gefahr, die faktisch von Rechtsextremen ausgehe, aber „nicht eindeutig als rechtsextreme Bedrohung eingeordnet und damit verkannt“ werde.