Washington. Die Attacke aufs Kapitol wird laut Polizei noch zu Hunderten weiteren Verfahren führen. Steckte dahinter eine strategisch ordnende Hand?

Aktive wie pensionierte Polizisten, eine Blumengeschäft-Besitzerin, ein früherer Olympia-Sieger im Schwimmen, ehemalige Elite-Soldaten, ein republikanischer Landtagsabgeordneter aus West Virginia, Immobilien-Makler, Studenten, Arbeitslose, Bauarbeiter, Hausfrauen: Geht man die Liste der über 100 bereits angeklagten Randalierer durch, die am 6. Januar beim Sturm auf das Kapitol in Washington dabei waren, ergibt sich für Ermittler kein einheitliches Bild. Die Attacke wird laut Polizei noch zu Hunderten weiteren Verfahren führen.

„Neben martialisch gekleideten Milizionären standen da Evangelikale, Waffen-Fanatiker, Globalisierungsgegner, Verschwörungs-Sektierer, beinharte Neonazis, Demokraten-Hasser und scheinbar ganz normale Donald Trump-Anhänger Schulter an Schulter”, sagt ein mit den Hintergründen vertrauter Fahnder in Washington.

Sturm aufs Kapitol: Wer steckt dahinter?

Steckte hinter dem Kapitol-Sturm eine strategisch ordnende Hand? Oder bildete sich nach koordinierenden Aufrufen im Internet und der als aufhetzend empfundenen Rede Trumps ein bunt zusammengewürfelter Zufalls-Mob? Niemand weiß es bisher verlässlich.

Aber: Bei der Auswertung von über 150.000 Hinweisen, das Gros davon Handy-Video-Sequenzen von Teilnehmern und Schaulustigen, hat die Bundespolizei FBI Dutzende Vertreter einschlägig beleumundeter Gruppen identifiziert. Sie unterscheiden sich sich der Ideologie nach oft nur graduell, sind oft bis an die Zähne bewaffnet und versammeln sich ideell hinter einer Person: Donald Trump.

Anklage gegen 15 Randalierer im US-Kapitol

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    Heimatschutz warnt vor rechtem Inlands-Terrorismus

    Die Gruppen stehen für die laut Heimatschutzministerium „stark wachsende” Gefahr eines von rechts kommenden Inlands-Terrorismus, der Amerika noch für längere Zeit beschäftigen werde.

    Neben den 2009 gegründeten „Oath Keepers”, nach Angaben des Gründers Stewart Rhodes mit über 20 000 Mitgliedern die größte Anti-Regierungs-Miliz, gehören die „Three Percenters”, die „Boogaloo Bois”, die „Patriot Prayer” und die durch wohlwollende Trump-Äußerungen noch bekannter gewordenen „Proud Boys” dazu.

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    Allesamt rechtsextreme, nationalistische, rassistische, militante, männlich dominierte Gruppen. Sie begreifen sich im Kampf gegen alles, was links und demokratisch anmutet, als eine Art Schattenarmee Trumps. Sie suchen bewusst die Auseinandersetzung mit der Antifa. Und sie fühlen sich durch den scheidenden Präsidenten legitimiert und gestärkt. Lesen Sie auch: Nach Washington: Wie gut wird jetzt der Bundestag geschützt?

    Ex-Militär: Trump muss nur rufen

    Stellvertretend dafür steht die Aussage des obersten „Eidbewahrers” Rhodes. Trump „muss nur rufen - und wir werden zur Stelle sein”, hatte der Ex-Militär vor und nach der Wahl im November gesagt. Rhodes bezeichnet die künftige Staatsspitze, Joe Biden und Kamala Harris, als „illegitime, kommunistische China-Marionetten”. Er drohte mit einem „blutigen Bürgerkrieg”, falls sie ins Amt kommen.

    Trump will nichts mit gewalttätigen Anhängern zu tun haben

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      Etliche Vertreter dieser Gruppen werden vom FBI als hochgefährlich eingeschätzt, weil sich sich in der jüngeren Vergangenheit „radikalisiert haben”, sagte ein Sicherheitsbeamter.

      Beispiel: Robert Gieswein. Der 24-Jährige aus Cripple Creek/Colorado, leitet die „Woodland Wild Dogs”. Das ist eine paramilitärische Gruppe, die vor dem Kapitol in Kampfmontur mit Helm aufkreuzte. Gieswein forderte in einem Video martialisch, „korrupte Politiker wie Biden und Kamala aus dem Amt zu entfernen”.

      Rechtsextreme Gruppen könnten weiteren Zulauf bekommen

      Extremismus-Experten vom „Southern Poverty Law Center” in Alabama erwarten durch die Ereignisse am Kapitol, dass die rund 200 bekannten Gruppen der rechtsextremen Szene „weiteren Zulauf” bekommen werden. „Einige haben jetzt Blut geleckt.” Was das in einem Land mit geschätzt 400 Millionen Waffen in Privatbesitz auslösen kann, sei leicht auszumalen.

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      Schon jetzt zeichnet sich ab, dass bei etlichen „Kapitolverbrechern” schwere psychische Schäden vorliegen. Paradebeispiel: Lonny Coffman. Der 70-Jährige aus Alabama wurde mit elf Molotow-Cocktails, Blend-Granaten, Macheten, einer Schrotflinte und einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr im Auto am Kapitol festgenommen. Er nahm aber offenbar nicht an der Erstürmung teil. Sein Anwalt sagt, Coffman stehe wegen schwerer mentaler Erkrankungen unter Medikamenteneinfluss. Juristen erwarten, dass in solchen Fällen Strafen geringer ausfallen könnten oder ganz vermieden werden.

      Empfindliche Gefängnisstrafen dürften dagegen auf Leute wie Robert Sandford und Peter Francis Stager zukommen. Der pensionierte Feuerwehrmann Sandford aus Pennsylvania, überzeugt vom „Wahlbetrug" Joe Bidens, knallte Polizisten einen Feuerlöscher an den Kopf. Stager wurde dabei gefilmt, wie er auf einen am Boden liegenden „Cop” mit einer Fahnenstange einprügelte. Auf einem Video zeigte er nach der Tat auf das Kapitol und brüllte: „Tod ist das einzige Heilmittel gegen dieses Gebäude. Jeder darin ist ein Verräter.”

      Einige Randalierer erwarten, von Trump begnadigt zu werden

      Unterdessen üben sich Leute wie Jacob Chansley im Versuch der Beweislastumkehr. Der arbeitslose Schauspieler, der als büffelbehörnter, tätowierter Schamane im Kapitol zweifelhafte Berühmtheit erlangte, erklärte, er sei allein auf Geheiß von Donald Trump nach Washington gekommen, um der „gestohlenen” Wahl nachzuspüren. Darum erwartet er, so sein Anwalt, vom morgen abtretenden Präsidenten begnadigt zu werden.

      Ähnlich äußerte sich vor laufender Fernseh-Kamera Jennifer Ryan. Die Immobilien-Maklerin aus Dallas/Texas war per Privatflieger nach Washington gekommen - „weil mein Präsident mich gerufen hat”. Schuld sieht sie nicht bei sich, nur Pflichterfüllung. Analysten zeigten sich „erschrocken über das Unrechtsbewusstsein”.

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        Eine Facette, die Beunruhigung auslöst, ist der offenbar hohe Beteiligungsgrad von Polizisten und Militärs an der Erstürmung. Ahsli Babbitt, die beim Eindringen in einen gesicherten Bereich von einem „Cop” erschossene Kalifornierin und Anhängerin der QAnon-Verschwörungstheorien, war Luftwaffen-Pilotin. Larry Brock, der im Senats-Saal mit Plastik-Handschellen gefilmt wurde, als er auf der Suche nach Parlamentariern war, diente ebenfalls in der Air Force.

        Verteidigungs-Politiker der Demokraten fordern die potenzielle Anfälligkeit der Streitkräfte für Extremismus zu untersuchen. Als Vorsichtsmaßnahme wurden alle 25 000 Nationalgardisten erkennungsdienstlich durchleuchtet, die am Mittwoch die Amtseinführung Joe Biden sichern sollen. Das Pentagon schließt offenbar Störmanöver aus den eigenen Reihen nicht aus.