Berlin. Im Darknet bestellt, per Post verschickt: Immer wieder verschwinden Waffen. Die Regierung will die Strafen verschärfen.

Es ist einfach, im anonymen Teil des Internets eine Waffe zu kaufen. Im Darknet wird um den Preis gefeilscht, bestellt, gezahlt und der Versand vereinbart, ohne dass Anbieter und Käufer ihre Identität verraten. Die Übergabe, sonst oft eine kritische Situation, ist kein Pro­blem. Denn die Ware kommt per Post.

Das bringt viele Leute auf falsche Gedanken, vom „kriminalpolizeilich nicht in Erscheinung getretenen Jugendlichen bis zum mehrfach vorbestraften Intensivtäter“, berichtet das Bundeskriminalamt (BKA). Die Zahl solcher Verstöße stieg von 352 im Jahr 2018 auf 818 im Jahr 2019 – plus 132,4 Prozent.

Die Täter fühlten sich „unantastbar“, die „Hemmschwelle“ sei gesunken, analysiert das BKA. Ein Trugschluss. Die Fallzahlen steigen auch deshalb, weil es mehr Anzeigen gibt und die Ermittler verstärkt im Netz unterwegs sind, um dort Portale und Plattformen zu überwachen.

Bundesjustizministerium: Strafverfolgung soll verschärft werden

Nun soll die Polizei mehr tun dürfen. Das Bundesjustizministerium erklärte unserer Redaktion, „in Zeiten des gesteigerten Online-Versandhandels“ sollten die Ermittlungsbehörden zur Strafverfolgung nicht nur Sendungen beschlagnahmen, sondern von den Versanddiensten auch erfahren, wann, wo und von wem ein Paket mit mutmaßlich illegalem Inhalt aufgegeben oder ausgeliefert wird.

Bereits nächste Woche soll das Kabinett eine Verschärfung des Strafrechts auf den Weg bringen. Das Parlament soll sie noch vor der Bundestagswahl beschließen. Mit der künftigen Auskunftspflicht wird die Polizei alarmiert, wenn ein Paket unterwegs ist, bei dem Absender oder Adressat verdächtig sind, weil sie etwa als Waffendealer oder Kriminelle polizeibekannt sind.

Für das Innenministerium kann die Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden und den Paket- und Postdienstleistern „ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des illegalen Waffenhandels sein“. In einer weiteren Gesetzesinitiative will die Regierung derweil sicherstellen, dass die Postdienste jedes Paket melden, bei dem „tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen“, dass Straftaten begangen werden.

Die Zusteller sollen der Polizei melden, wenn sie bei Paketen auf Drogen, Dopingmittel, Sprengstoff oder Waffen stoßen. Das kommt vor, weil beschädigte und unzustellbare Pakete geöffnet werden, um sie besser zu verpacken oder um den Adressaten herauszufinden.

Bisher sind die Paketdienste nur verpflichtet, solche „Zufallsfunde“ der Polizei zu übergeben, nicht jedoch die gesamte Postsendung. Die Sicherheitsbehörden klagen seit Langem darüber, dass sie „nur in einem Bruchteil“ der Fälle „Kenntnis von Postsendungen mit inkriminierten Gütern“ erlangen, wie es in einer Gesetzesinitiative des Bundesrates heißt. Die Länder mahnen seit Jahren schärfere Regeln an.

Weltgrößter Darknet-Marktplatz vom Netz genommen

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    Illegale Waffen ließen sich mit Röntgenscannern erkennen

    Man könnte freilich die in der Masse von Kleinsendungen versteckten Waffen(teile) alternativ auch mit Röntgenscannern erkennen und heraussieben. Aber die Bundesregierung scheut den gewaltigen Aufwand, um legalen und illegalen Postversand unterscheiden zu können.

    Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle fordert im Gespräch mit unserer Redaktion, „ein weiterer Fokus muss auf der Nachverfolgung verlorener Waffen liegen“. Laut Innenministerium sind 3588 Waffen oder Waffenteile als verloren gemeldet. Dazu muss man die gestohlenen Waffen addieren: Ende 2020 waren es 6914. Zusammen sind es über 10.000 Waffen, deren Verbleib ungeklärt ist.

    Zum Vergleich: Es gibt in Deutschland 1,95 Millionen Waffenbesitzkarten. Da Jäger oder Sportschützen oft mehrere Pistolen oder Gewehre besitzen, sind über 5,57 Millionen registriert. FDP-Mann Kuhle fragt sich, wie groß der Nutzen des Registers ist, „wenn über 3500 Waffen als verloren registriert sind“.

    Auch werde nicht erfasst, „wo die illegalen Schusswaffen in Deutschland landen und welche Straftaten mit ihnen begangen werden“. Für 2019 weist die polizeiliche Kriminalstatistik 38.674 Verstöße gegen die Waffengesetze aus. Laut BKA-Lagebild Waffenkriminalität „dürfte es sich überwiegend um Fälle des illegalen Erwerbs, des illegalen Besitzes, des illegalen Führens und der illegalen Einfuhr handeln“.

    Dürfte. Der Konjunktiv irritiert den FDP-Abgeordneten Kuhle. Die Regierung müsse „dringend nachbessern“ und die Daten erfassen, mahnt er. „Von diesen Waffen geht eine ganz erhebliche Gefahr für die Bevölkerung aus.“

    Gewalttäter tötet drei Polizisten in Frankreich

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      Drei Fallbeispiele aus den vergangenen Jahren

      Im Frühjahr 2019 nimmt die Polizei in Hessen einen 18-jährigen Mann kurz vor Abschluss des Kaufs einer halb automatischen Pistole mit 100 Schuss Munition im Darknet fest. Bei den Vernehmungen gibt er an, dass er eine Amoktat in einem Schnellrestaurant plante.

      Mitte Dezember 2020 finden die Behörden in Österreich Kriegswaffen, die für deutsche Neonazis bestimmt waren: 76 voll- oder halb automatische Waffen, unter ihnen Uzis und AK47s, mehr als ein Dutzend Pistolen, Munition, Sprengstoff, Handgranaten. Lesen Sie hier: Kriegswaffen- und Drogenhandel: Festnahmen in Neonazi-Szene

      Für die Anschläge im November 2015 in Paris hatten sich die Terroristen auf den Schwarzmärkten auf dem Balkan mit Waffen versorgt. Politisch war es wie ein Weckruf. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ergriff 2017 eine deutsch-französische Initiative zur Bekämpfung des unerlaubten Handels mit Kleinwaffen in den Westbalkan-Staaten. Experten schätzen, dass dort bis zu sechs Millionen Kleinwaffen weiterhin im Umlauf sind.

      FDP-Mann Kuhle beklagt, dass die Regierung den legalen Waffen mehr Aufmerksamkeit schenke als der Bekämpfung des illegalen Handels. Er fordert ein Umdenken, denn die Bedrohung der inneren Sicherheit „geht in der Regel von illegalen Waffen aus“.

      Waffengebrauch

      Im Jahr 2019 wurde laut Kriminalstatistik in 4512 Fällen mit einer Schusswaffe gedroht, am häufigsten – gemessen an der Einwohnerzahl – in den Stadtstaaten Bremen, Berlin und Hamburg. In 4639 Fällen wurde auch tatsächlich auf Personen oder Sachen geschossen, am häufigsten – wiederum in Relation zur Bevölkerungszahl – in Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen-Anhalt.