Madrid. Statt Urlauber nächtigen derzeit Migranten in den Hotels auf Gran Canaria. Hier hat sich ein neuer Migrationsbrennpunkt entwickelt.

  • Auf den Kanarischen Inseln spitzt sich die Lage bei den Migranten weiter zu
  • Statt Touristen beherbergen die Hotels auf Gran Canaria momentan Geflüchtete
  • Jeden Monat kommen tausende Menschen in unsicheren Booten übers Meer – und die Zahl steigt
  • Auf der Insel Gran Canaria herrschen teils chaotische Zustände
  • Politiker zeigten sich entsetzt – und Ultrarechte versuchen, Kapital aus der Situation zu schlagen

Das Vier-Sterne-Hotel in der spanischen Urlaubsoase Playa del Inglés im Süden Gran Canarias ist voll. Bei angenehmen Temperaturen um die 23 Grad sitzen viele Zimmerbewohner auf den Balkonen und genießen die Sonne. Palmen wachsen rund um die weißen Hoteltürme.

Doch das Hotel Waikiki, das rund einen Kilometer vom feinen Sandstrand entfernt liegt, beherbergt keine ausländischen Touristen, die dem kalten Winter in der Heimat entfliehen. Die Zimmer sind mit Flüchtlingen und Migranten belegt, die auf den Kanarischen Inseln nicht die Sonne, sondern die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa suchen.

Kanaren: Gran Canaria wird zum Migrationsbrennpunkt

Allein im November kamen mehr als 8000 in wackeligen Booten übers Meer. So viele Bootsmigranten wurden noch nie in einem Monat auf den Kanaren registriert. Die Küstenwache musste immer wieder Schiffbrüchige retten, deren seeuntüchtige Kähne auf der tagelangen Reise auseinanderbrachen.

Gran Canaria ist in den letzten Monaten zum neuen Migrationsbrennpunkt Europas geworden. Dies wurde vor allem im Hafen von Arguineguín im Süden der Insel sichtbar, in dem in den letzten Wochen chaotische Zustände herrschten. Die Helfer kamen mit der Versorgung der Ankommenden nicht mehr nach.

Flüchtlinge auf Gran Canaria: Politiker sprechen von „Lager der Schande“

Zeitweise drängten sich mehr als 2500 Migranten auf der Kaimauer, schliefen dort sogar auf dem Boden. Inselpolitiker sprachen von einem „Lager der Schande“ und verwiesen auf die Zustände auf der griechischen Insel Lesbos. Die Bilder von Menschen, die hinter gelben Zäunen zusammengepfercht ausharrten, gingen um die Welt. Und sie waren nicht die beste Werbung für die Urlaubsinseln.

Lesen Sie auch:Flüchtlingshotspot Kanaren: Notlager für Tausende Migranten

Dies wurde schließlich auch Spaniens sozialistischem Premier Pe­dro Sánchez klar: Er ordnete vor Kurzem die Räumung des Elends-camps an. Mehrere Tausend Mi­granten wurde mangels Alternativen aus dem Hafen in Hotels gebracht, die von der Regierung angemietet wurden. Viele Touristen-Herbergen stehen wegen der coronabedingten Tourismus-Krise leer.

Andere Armutsflüchtlinge zogen in ein Zeltlager ein, das auf einem Militärareal in der Nähe von Gran-Canarias Hauptstadt Las Palmas installiert wurde. In den kommenden Wochen sollen weitere ungenutzte Kasernen zu Aufnahmelagern werden. Auf Gran Canaria und den Nachbarinseln wollen die Behörden in Zeltstädten und Militärbaracken 7000 Menschen unterbringen.

Migranten in einem Hotel in Playa del Inglés.
Migranten in einem Hotel in Playa del Inglés. © AFP | DESIREE MARTIN

Doch ob das reichen wird, ist fraglich: Denn seit Januar wurden auf den Kanaren bereits über 20.000 „Boat People“ registriert. Und nach spanischen Geheimdienstberichten warten an der westafrikanischen Küste Zehntausende auf ihre Chance. Rund zwei Drittel der Ankommenden stammen nach Angaben des Flüchtlingshilfswerkes UNHCR aus Nordafrika, vor allem aus Marokko. Ein Drittel kommt aus den westafrikanischen Armutsländern Senegal, Mauretanien, Elfenbeinküste und Gambia. Lesen Sie auch: Flüchtlinge: Erst Schweden, dann weiter nach Deutschland

Bewohner versuchen Unterbringung zu verhindern

In den letzten Tagen verringerten sich zwar die Bootsankünfte. Möglicherweise, weil Wind und Wellen die Atlantikroute erschwerten. Vielleicht bremste auch der Druck, den Spanien auf die Transitländer Marokko, Mauretanien und Senegal ausübt, die Abfahrten. Aber wie lange bleibt dies so?Auf Gran Canaria sorgt die Migrationskrise jetzt schon für heftige soziale Spannungen.

Es habe „alarmierende Ereignisse des Rassismus“ gegeben, berichtet Inselpräsident Antonio Morales. Die Ängste der Bevölkerung würden von ultrarechten Gruppen instrumentalisiert.

Das sind die kanarischen Inseln

weitere Videos

    So flogen Steine gegen eine Aufnahmeeinrichtung für minderjährige Mi­granten in Las Palmas. Hassvideos machen die Runde. Bewohner des Ortes Tunte errichteten Straßenbarrikaden, um die Unterbringung von Flüchtlingen in einer alten Schule zu verhindern. Auch die provisorische Versorgung in Hotels stößt in der Öffentlichkeit auf Kritik. Viele haben Angst, dass dies einen Sogeffekt auslösen könnte. Und die Tourismusindustrie, die immer noch hofft, dass über Weihnachten doch ein paar Urlauber kommen, fürchtet einen Imageschaden.

    Auch interessant: Migranten verunglücken mit Boot vor Samos – Kind stirbt

    Bisher seien die Brände auf der Insel nur emotionaler Art, warnte die Lokalzeitung „Canarias 7“. Aber dies könne sich ändern. Der soziale Sprengstoff besorgt auch den Chef der kanarischen Regionalregierung, Ángel Víctor Torres. Er rief die Bevölkerung zu Toleranz auf. Allerdings teilt Torres den Ärger der Menschen über die Blockadepolitik der spanischen Regierung. Torres: „Wir dürfen nicht zum Gefängnis Europas werden.“