Paris. Frankreich trauert um seinen früheren Präsidenten Giscard d’Estaing. Er starb am Mittwochabend im Kreis seiner Familie an Covid-19.

Er war sieben Jahre Frankreichs Staatschef – und auch vielen Deutschen ist er bis heute in Erinnerung. Jetzt ist Valéry Giscard d’Estaing im Alter von 94 Jahren gestorben. Das berichtete die französische Nachrichtenagentur AFP am späten Mittwochabend unter Berufung auf das Umfeld des früheren Präsidenten.

Die DPA berichtet, der Staatsmann sei an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Dabei sei Giscard d’Estaing „umgeben von seiner Familie“ auf seinem Anwesen in der Gemeinde Authon gewesen.

Erst vor anderthalb Wochen hatte der 94-Jährige nach einem fünftägigen Aufenthalt das Krankenhaus im westfranzösischen Tours wieder verlassen. Der Altpräsident sei zu Hause und es gehe ihm soweit gut, hatte es aus seinem Umfeld geheißen. Bereits im September war Giscard d’Estaing wegen einer Lungenentzündung in einem Pariser Krankenhaus behandelt worden.

Mit Helmut Schmidt bildete Giscard d’Estaing ein deutsch-französisches Duo

Giscard d’Estaing regierte von 1974 bis 1981 im Pariser Élyséepalast. Der liberale Zentrumspolitiker bemühte sich um die Modernisierung der Gesellschaft. Er setzte gesellschaftliche Reformen wie die Liberalisierung des Ehe- und Abtreibungsrechts durch.

Als überzeugter Europäer betrieb er den Ausbau der Europäischen Gemeinschaft (EG), der späteren EU. Mit Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) bildete er in den 1970er-Jahren ein deutsch-französisches Duo und gründete die Gipfeltreffen der großen Wirtschaftsmächte (zunächst G6).

Enge Partner auf außenpolitischer Ebene:Valery Giscard d'Estaing (l) und der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Enge Partner auf außenpolitischer Ebene:Valery Giscard d'Estaing (l) und der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. © dpa | Heinrich Sanden

Macron: d’Estaing war „Politiker des Fortschritts und der Freiheit“

Der aktuelle französische Präsident Macron würdigte d’Estaing als „Politiker des Fortschritts und der Freiheit“ . In einer Kondolenzbotschaft aus dem Elysée-Palast hieß es, Giscard d’Estaing habe Europa nachhaltig verändert. Auf ihn gingen wichtige Grundsteine der europäischen Zusammenarbeit zurück, etwa das europäische Währungssystem EWS und die Europäische Weltraumagentur ESA.

Auch zu Deutschland hatte Giscard d’Estaing eine innige Beziehung. Er wurde am 2. Februar 1926 in Koblenz im damals von Frankreich besetzten Rheinland geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg absolvierte er die französische Elitehochschule EN und machte dann schnell Karriere: Mit nur 29 Jahren wurde er Abgeordneter, sieben Jahre später Frankreichs jüngster Wirtschafts- und Finanzminister und schließlich im Alter von 48 Jahren der bis dahin jüngste Präsident der Fünften Republik.

Im Frühjahr musste sich Giscard d’Estaing Belästigungsvorwürfen stellen

Gegen Ende seiner Amtszeit litt jedoch seine Popularität – unter anderem wegen einer Affäre um ein Diamantengeschenk des zentralafrikanischen Diktators Jean-Bédel Bokassa. Nach seiner Abwahl 1981 schrieb Giscard d’Estaing mehrere Romane.

In der französischen Öffentlichkeit äußerte er sich bis ins hohe Alter zu EU-Fragen und engagierte sich von 2002 an im EU-Reformkonvent, der zur Erneuerung der Europäischen Union einen Verfassungsentwurf vorlegte. Mit dem Nein der Franzosen und der Niederländer bei Volksabstimmungen im Jahr 2005 scheiterte das Vorhaben jedoch spektakulär.

Valery Giscard d'Estaing war ein überzeugter Europäer. Von 2002 an führte er den EU-Reformkonvent, der zur Erneuerung der Europäischen Union einen Verfassungsentwurf vorlegte.
Valery Giscard d'Estaing war ein überzeugter Europäer. Von 2002 an führte er den EU-Reformkonvent, der zur Erneuerung der Europäischen Union einen Verfassungsentwurf vorlegte. © AFP | GERARD CERLES

Im vergangenen Mai war der Ex-Präsident wegen des Vorwurfs der sexuellen Belästigung in die Schlagzeilen geraten. Eine Reporterin des WDR hatte dem früheren Staatsoberhaupt vorgeworfen, ihr nach einem Interview mehrfach ans Gesäß gefasst zu haben. Die Pariser Staatsanwaltschaft begann daraufhin eine Untersuchung. Giscard d’Estaing wies den Vorwurf stets zurück.

(afp/dpa/heg/te)