Berlin. Die Fallzahlen bei Partnerschaftsgewalt steigen laut Polizeistatistik weiter an. Ministerin Giffey drängt auf einen Schutzanspruch.

  • Laut der Statistik des Bundeskriminalamts ist die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt auch 2019 gestiegen. 140 Menschen kamen durch Gewalt ihres Partners zu Tode, die große Mehrheit der Opfer ist weiblich
  • Die Statistik erfasst nur die zur Anzeige gebrachten Fälle. Experten vermuten eine Dunkelziffer von etwa 80 Prozent
  • Bundesfamilienministerin Giffey fordert einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei Gewalt und möchte Frauenhäuser und Beratungsstellen technisch besser ausstatten, damit digitale Hilfe in der Corona-Pandemie möglich ist

Die Zahl der Fälle häuslicher Gewalt ist 2019 weiter gestiegen. Das dokumentiert die aktuelle Kriminalstatistische Auswertung des Bundeskriminalamtes (BKA) zur Partnerschaftsgewalt, die unserer Redaktion vorab vorliegt. Laut der Erhebung wurden im vergangenen Jahr 141.792 Menschen in Deutschland Opfer häuslicher Gewalt. An diesem Dienstag stellt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey die Daten mit BKA-Chef Holger Münch in Berlin vor.

Dem Bericht zufolge kamen im Jahr 2019 insgesamt 140 Menschen durch Gewalt ihres Partners zu Tode. Davon sind 117 Opfer weiblich. Addiert man alle Fälle von versuchtem und vollendetem Mord oder Totschlag, kommt die Polizei sogar auf 394 Personen.

Partnerschaftsgewalt: Pro Stunde zehn Körperverletzungen

Die statistisch erfassten Delikte umfassen versuchte und vollendete Gewalt, Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Bedrohung, Stalking, Freiheitsberaubung, Zuhälterei und Zwangsprostitution. Am häufigsten werden die Opfer von ihren Partnern vorsätzlich körperlich misshandelt – laut BKA gab es im vergangenen Jahr 86.812 Fälle einfacher Körperverletzung, das sind über 60 Prozent der angezeigten Fälle. Fast zehn Personen werden also statistisch gesehen pro Stunde Opfer einer tätlichen Verletzung durch ihren Partner.

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Bedrohung, Stalking und Nötigung machen 22,9 Prozent der erfassten Delikte aus, bei 12,01 Prozent geht es um gefährliche Körperverletzung. Mit 2,2 Prozent beziffert die Polizei die Zahl der Opfer von Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder sexuellen Übergriffen.

Ministerin Giffey: Hilfsangebote müssen auch in der Corona-Krise erhalten bleiben

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte auf Anfrage unserer Redaktion, dass gerade die Zeit der Corona-Lockdowns das Problem noch einmal verdeutlicht habe. So hätten die letzten Monate gezeigt, welch große Bedeutung der Zugang zum Frauenunterstützungssystem habe, um gewaltbetroffenen Frauen und deren Kindern auch in der derzeitigen Krise schnell Schutz und Beratung zukommen zu lassen.

„Frauen, die zu Hause Gewalt erfahren, brauchen Rettungsanker wie das Hilfetelefon oder einen sicheren Zufluchtsort. Mir ist es deshalb sehr wichtig, dass die bestehenden Hilfsangebote auch unter den Bedingungen der Covid-19-Situation erhalten bleiben und verbessert werden“, so Giffey.

Experten gehen bei häuslicher Gewalt von sehr hoher Dunkelziffer aus

Der Bund hatte zuletzt mehr als drei Millionen Euro zur Verfügung gestellt, die für eine bessere technische Ausstattung in den Beratungsstellen und Frauenhäusern sorgen sollen, da derzeit verstärkt auf digitale Hilfsangebote gesetzt werden muss. Bundesfamilienministerin Giffey drängt zudem weiterhin auf die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Schutz und Beratung bei Gewalt.

„Durch einen bundesgesetzlichen Rechtsanspruch kann ein einheitlicher Rahmen für den Zugang zu Unterstützung für alle von Gewalt betroffenen Personen geschaffen werden“, so die SPD-Politikerin. Damit dies gelinge, müsse die Finanzierung des Hilfesystems auf eine sichere Basis gestellt werden. Dazu seien Bund, Länder und Kommunen im Gespräch.

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Seit Jahren steigt die Zahl der Partnerschaftsdelikte in Deutschland an. 2018 zählte das BKA 140.755 Opfer, 2015 waren es noch 125.457. In der Statistik tauchen aber nur die tatsächlich angezeigten Fälle auf. Die Dunkelziffer ist gerade bei häuslicher Gewalt sehr groß, Experten gehen von mindestens 80 Prozent aus.

Die europäische Grundrechteagentur (FRA) befragte 2014 im Rahmen einer Studie 42.000 Frauen zwischen 18 und 74 Jahren aus den EU-Mitgliedstaaten zu ihren Erfahrungen mit Gewalt. Rund jede dritte Frau gab damals an, mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt seit ihrem 16. Lebensjahr erlebt zu haben.