Brüssel. Mit Biden wird nicht alles gut zwischen der EU und den USA, aber vieles besser. Für Trump plant Brüssel ein böses Abschiedsgeschenk

Nach der Wahl von Joe Biden zum nächsten US-Präsidenten herrscht in Europa überwiegend große Erleichterung. „Lasst uns zusammenarbeiten“, gratulierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dem Wahlsieger, Kanzlerin Angela Merkel beschwor die„unersetzliche transatlantische Freundschaft“, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bot begeistert an, die Zusammenarbeit mit Washington zu „intensivieren“.

Zwar wird es nach Einschätzung von Politikern in Brüssel und vielen EU-Hauptstädten auch mit Biden inhaltliche Differenzen geben, vor allem bei Handel, Verteidigung und beim Verhältnis zu China – aber der fast 78-Jährige ist bei allen Problemen von der Grundeinstellung ein Freund Europas, wie es ihn schon länger nicht mehr im Weißen Haus gegeben hat.

Für das vereinte Europa geht damit ein Alptraum zu Ende: Donald Trump war ein erklärter Gegner der EU, der der Union unverhohlen den Zusammenbruch wünschte, sie in Handelsfragen als „Feind“ betrachtete – und mit dem angedrohten Ausstieg aus der Nato das Vertrauen in das gemeinsame Verteidigungsbündnis gefährlich aushöhlte.

EU schlägt mit Strafzöllen gegen Trump zurück

In Brüssel herrscht deshalb Genugtuung bei der Vorbereitung eines schmerzlichen Abschiedsgeschenks für Trump, das es in sich hat: Nach Informationen unserer Redaktion wird die EU-Kommission in Kürze – voraussichtlich schon in wenigen Tagen – neue Strafzölle gegen die USA verhängen und damit Trumps rigiden Kurs parieren.

Einfuhren im Wert von knapp vier Milliarden Dollar (3,4 Milliarden Euro) – von Flugzeugen und Traktoren bis zu Ketchup und Orangensaft – sollen mit der Strafabgabe belegt werden.„Das wird Schmerzen verursachen und natürlich Schlagzeilen geben“, sagt ein verantwortlicher Spitzenbeamter der Kommission.

Aber die EU müsse handeln, anders sei die noch amtierende Trump-Administration nicht zu zügigen Verhandlungen in dem Konflikt um illegale Subventionen für Flugzeughersteller bereit. Die Welthandelsorganisation WTO hatte Brüssel grünes Licht für Strafzölle wegen amerikanischer Staatshilfen für Boeing gegeben – nachdem die USA ihrerseits Strafzölle wegen Subventionen für Airbus verhängt hatten. Lesen Sie auch: Trump-Regierung erlässt Strafzölle auf deutsche Marmelade

Biden hielt Freundschaftsreden in Brüssel

Mit der bevorstehenden Strafaktion ist in der EU die Hoffnung verbunden, dass sich unter Biden der lange schwelende Konflikt dann zügig beenden lässt. Denn der Wahlsieger hat ein ganz anderes Verhältnis zu Europa als Trump: Als Vizepräsident unter Barack Obama war Biden mehrmals in Brüssel zu Besuch, hielt freundschaftliche Reden vor dem EU-Parlament, nannte das vereinte Europa unverzichtbar für Amerikas Wohlstand und langfristige Sicherheit; als früherer Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im US-Senat hatte Biden engen Kontakt zu den EU-Mitgliedstaaten.

Den Nato-Partnern hat der künftige Präsident schon in Aussicht gestellt, er werde das unter Trump lädierte Verhältnis rasch wieder reparieren. Biden, so viel ist klar, wird umgekehrt auch Europa brauchen. Lesen Sie auch: US-Wahl – Joe Biden wird auch Deutschlands Hilfe brauchen

Deshalb ist im Nato-Hauptquartier die Erleichterung jetzt besonders groß – hätte doch bei einer zweiten Amtszeit Trumps die reale Gefahr bestanden, dass die USA das Bündnis tatsächlich verlassen, wie hohe Militärs in Brüssel inzwischen einräumen. Vor allem für zwei wichtige EU-Regierungschefs ist die Wende eine besonders gute Aussicht: Für Kanzlerin Angela Merkel, die von Trump zur europäischen Lieblingsfeindin erkoren wurde, und für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron – der hatte anfangs um Trumps Wohlwollen gebuhlt, wechselte aber enttäuscht bald die Fronten und grenzte sich, wo immer möglich, vom US-Präsidenten ab.

Zu früh gefreut: Orban tippte auf Trumps Wahlsieg

Nur in einigen osteuropäischen Staaten herrscht Katzenjammer: Orbans Regierungschef Viktor Orban hatte – von Regelbrecher zu Regelbrecher - offen für die Wiederwahl von Trump geworben, sein slowenischer Amtskollege Janez Jansa hatte ihm dummerweise sogar verfrüht zum Wahlsieg gratuliert. Lesen Sie auch: Reaktionen auf die US Wahl – Eine sehr explosive Situation

Allerdings macht sich in Brüssel niemand Illusionen. Biden werde zwar wieder mehr auf die Partner zugehen, aber amerikanische Interessen weiter robust vertreten, wenn auch in anderem Ton, heißt es übereinstimmend in der Kommission und im EU-Parlament. Der Chef-Außenpolitiker im EU-Parlament, David McAllister (CDU), sagt: „Wir erwarten einen neuen Impuls für die transatlantischen Beziehungen, mehr Verlässlichkeit, Vertrauen, Berechenbarkeit.

Biden kennt Europa und war immer Unterstützer der europäischen Integration – aber es wird auch mit ihm anspruchsvoll.“ Es gebe Meinungsverschiedenheiten vor allem in der Handelspolitik und bei den Verteidigungslasten. Ein Zurück zur alten Normalität werde es daher nicht geben, sagt McAllister, „wir werden eine neue Normalität definieren müssen“.

Wegen China dürfte Biden den Druck auf Europa erhöhen

Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange (SPD), meint: „Wir erwarten keine fundamentalen Änderungen in den Positionen bei Biden im Vergleich zu Trump, nur in der Art und Weise, wie er Interessen vertritt.“ Ein neues Handelsabkommen mit den USA sei nicht in Sicht, allenfalls „Mini-Deals“.

In der Kommission heißt es warnend, auch der Streit um europäische Stahleinfuhren in die USA sei nicht vorbei. Und wenn die Europäer ernst machten mit der Einführung einer Digitalsteuer, „drohen uns wieder Strafzölle der USA“. Ein hoher Kommissionsbeamter sagt: „Wir werden einen anderen Ton haben, aber es wird in der Sache erstmal nicht viel einfacher“. Auch die Gaspipeline Nord Stream 2 bleibt ein Konfliktpunkt.

Und brisant wird es für die EU im Verhältnis zu China: Biden wird die Europäer wohl noch stärker als Trump drängen, sich an der Seite der USA gegen Peking zu positionieren. In der Verteidigungspolitik wird auch der neue Mann im Weißen Haus die Alliierten auffordern, höhere Lasten zu übernehmen. Denn Biden hat im eigenen Land Riesen-Herausforderungen zu stemmen. Lesen Sie auch: Joe Biden als Versöhner – Kann er das gespaltene Land einen?

Josef Braml, USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin, sagt: „Die gewaltigen Probleme für Biden im Innern der USA werden sich nach außen entladen. Die Strategie, Wirtschaft als Waffe einzusetzen, wird unter Biden bestehen bleiben.“ Die Forderung, dass Europa die eigenen Kräfte stärken und unabhängiger von den USA werden müsse, gehört deshalb in diesen Tagen zum Standardrepertoire europäischer Außenpolitiker. Konsequenzen für die praktische Politik hat das bislang aber kaum. Und jetzt überwiegt ja sowieso erstmal das Gefühl der Erleichterung.