Berlin. Die Sondersitzung des Finanzausschusses brachte keine Entlastung: Die Opposition zieht im Wirecard-Skandal ihr „schärfstes Schwert“.
Der Bilanzskandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard wird die Bundesregierung auch im kommenden Wahljahr nicht loslassen: Nach dem Ende der zweitägigen Sondersitzung vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages stimmten nun auch die Grünen als letzte Oppositionspartei einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu. „Statt endlich aufzuklären, mauert die Bundesregierung im Wirecard-Skandal und liefert Informationen scheibchenweise oder gar nicht“, sagte Lisa Paus, Obfrau der Grünen im Finanzausschuss.
Der parlamentarische Untersuchungsausschuss gilt als „schärfstes Schwert“ der Opposition. Mit ihm ist es der Opposition möglich, Akteneinsicht zu verlangen und Zeugen und Sachverständige zwingend vorzuladen. Kommen Zeugen einer Ladung des U-Ausschusses nicht nach, drohen ihnen Ordnungsgelder von bis zu 10.000 Euro und Beugehaft. Vor dem U-Ausschuss haben Zeugen allerdings die Möglichkeit, ihre Aussage zu verweigern.
Wirecard: Untersuchungsausschuss reicht bis ins Wahljahr hinein
Im Fall des Wirecard-Skandals wäre es denkbar, dass der Untersuchungsausschuss etwa Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vorlädt. Beide sagten bereits Ende Juli vor dem Finanzausschuss in einer ersten Sondersitzung aus. Aber auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte vorgeladen werden, um erneut zu erklären, warum sie Wirecard auf einer Chinareise im vergangen Jahr thematisierte.
Linke und FDP hatten bereits seit Längerem einen U-Ausschuss gefordert, auch die AfD hatte sich dafür ausgesprochen. Da Linke und FDP aber keine gemeinsame Sache mit der AfD machen wollten, waren sie auf die Grünen angewiesen – ein Viertel der 709 Abgeordneten im Bundestag muss der Einsetzung eines U-Ausschusses zustimmen.
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Wirecard-Skandal: Neue Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft
Die Grünen wiederum wollten erst die Sondersitzungen des Finanzausschusses abwarten. Überraschend kam der Entschluss aber nicht mehr – insbesondere nachdem am Dienstag mögliche weitere Versäumnisse bekannt wurden. So sollen Verdachtsmeldungen der Anti-Geldwäsche-Einheit des Zolls zu Wirecard offenbar bei der Staatsanwaltschaft versandet sein, berichtete der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann am Rande der Sitzung.
Dabei sei es um Verdachtsmeldungen der sogenannten Financial Intelligence Unit (FIU) gegen Wirecard-Vorstände gegangen, die in merkwürdige Transaktionen verwickelt gewesen sein sollen. Diese „Smoking Gun“ sei aber dann von der Staatsanwaltschaft offenbar nicht weiter verfolgt worden. Viel Zeit für seine Ermittlungen bleibt dem U-Ausschuss nicht. Aufgrund der Bundestagswahl wird er wohl nur bis zur Sommerpause im kommenden Jahr arbeiten können.
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Anlegerschützer begrüßen die Entscheidung
Begrüßt wurde die Entscheidung von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Wir werten einen U-Ausschuss als unausweichlich und angezeigt, nachdem die Sitzungen des Finanzausschusses die gesamte Angelegenheit eher noch brisanter und komplexer haben erscheinen lassen“, sagte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler unserer Redaktion. „Dass die Aufklärung derart stockt, ist der Skandal nach dem Skandal“, so Tüngler.
Die DSW vertritt als größte deutsche Aktionärsvereinigung zahlreiche Geschädigte des Skandals. Nachdem Wirecard im Juni Luftbuchungen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro einräumen musste, hat die Aktie fast vollständig an Wert verloren. Am Dienstag war sie noch rund 70 Cent wert, beim Dax-Aufstieg vor zwei Jahren waren es noch fast 200 Euro.
Staatsanwaltschaft sicherte sich wohl Vermögen von Wirecard-Managern
Viele Anleger fühlen sich um ihr Geld betrogen – ob und wie sie entschädigt werden ist unklar. Bei Wirecard selbst dürfte nicht viel zu holen sein, die Überschuldung soll sich auf rund 2,8 Milliarden Euro belaufen.
Laut „Süddeutscher Zeitung“ hat sich die Staatsanwaltschaft München I bereits Vermögen von früheren Wirecard-Managern, darunter Ex-Chef Markus Braun, und einzelnen Konzernfirmen gesichert. Den Wirtschaftsprüfern von EY müsste für eine Haftung Vorsatz nachgewiesen werden.
Für Tüngler allerdings steht noch ein weiterer Akteur im Fokus: die Finanzaufsicht BaFin. Die wiederum wies die Schuld bereits mehrfach von sich. Man sei nur für die Wirecard Bank, nicht aber für den Gesamtkonzern zuständig gewesen, da dieser nicht als Finanzdienstleister eingestuft worden war.
Erneute Kritik an BaFin-Chef Hufeld
Entlastet hat diese Begründung Deutschlands oberste Finanzaufsicht bisher nicht. BaFin-Chef Felix Hufeld steht unter massivem Druck, auch weil er in einer Finanzausschusssitzung im Juli Aussagen tätigte, die mindestens unpräzise waren, ihm später von einigen Oppositionspolitikern sogar als Falschaussage ausgelegt wurden.
Am Dienstag musste Hufeld erneut vor dem Finanzausschuss aussagen. Wieder konnte er offenbar nicht überzeugen. „Besonders bei Herrn Hufeld hatte ich den Eindruck, dass er trotz des immer wieder bekundeten Aufklärungswillens teilweise die gebotene Ernsthaftigkeit zur lückenlosen Aufklärung vermissen lässt“, sagte die Ausschussvorsitzende Katja Hessel (FDP) unserer Redaktion.
Steuerzahler muss wohl nicht haften
Dass die BaFin – und damit der Steuerzahler – aber monetär zur Rechenschaft gezogen wird, ist unwahrscheinlich. Sie genießt ein spezielles Haftungsprivileg, sodass sie nur bei Vorsatz haftet.
Anlegerschützer Tüngler würde dieses Privileg gerne abgeschafft wissen: „In der derzeitigen Form ist der kollektive Anlegerschutz nur ein Feigenblatt, wenn am Ende niemand haftet. Natürlich wird der Finanzaufsicht vertraut. Wenn sie aber schlecht beaufsichtigt oder Aufgaben verletzt, dann muss sie dafür auch zur Verantwortung gezogen werden können.“
Finanzexperte rät zu Fokussierung
Wie die Arbeit in einem Untersuchungsausschuss vonstatten geht, kann Finanzexperte Gerhard Schick gut beurteilen. Als ehemaliger Parlamentarier der Grünen war er selbst Mitglied in zwei Untersuchungsausschüssen, unter anderem bei der Skandalbank Hypo Real Estate. Mittlerweile hat sich Schick aus der Politik zurückgezogen und ist Vorstand der „Bürgerbewegung Finanzwende“.
Der Opposition rät Schick nun, sich zu fokussieren. „Wenn der Untersuchungsausschuss zu Wirecard erfolgreich sein soll, dann müssen die Oppositionsparteien extrem gut zusammenarbeiten und Schwerpunkte setzen“, sagte Schick unserer Redaktion.
Er nannte drei Schwerpunktthemen. Die Finanzaufsicht BaFin brauche eine personelle und institutionelle Neuaufstellung, so der frühere Grünen-Parlamentarier. „Die Finanzaufsicht wählt bisher einen kooperativen Ansatz. Das ist aber bei Wirtschaftskriminellen vom Schlage Jan Marsaleks eine Katastrophe“, sagte Schick. Der Verbraucherschutz müsse gestärkt und eine Ermittlungspflicht eingeführt werden. Als zweiten Schwerpunkt nannte Schick das Thema Lobbying, als dritten Schwerpunkt die Rolle der Geheimdienste.
Regierung kündigt Reaktion an
Zudem forderte Schick, dass bei Wirtschaftsprüfern die Haftungsgrenzen ausgeweitet werden müssten. „Aus den vergangenen Finanzskandalen sind zu wenig Konsequenzen gezogen werden. Jetzt geht es darum, den Wirecard-Skandal schonungslos aufzuarbeiten und zu handeln. Man darf sich nicht nach ein paar Wochen wieder zurücklehnen, als sei nichts passiert“, sagte Schick.
Finanzminister Olaf Scholz hatte bereits Ende Juli einen Aktionsplan vorgelegt, mit der er die BaFin reformieren möchte. Seine Parteikollegin, die Justizministerin Christine Lambrecht, kündigte nach der gestrigen Sondersitzung des Finanzausschusses zudem Vorschläge zu Konsequenzen aus dem Skandal noch im September an. Der Druck auf die Regierung ist gestiegen.
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