New York/Mogadischu. Das Coronavirus breitet sich in Afrika aus und trifft dort auf schwache Gesundheitssysteme. Besonders groß ist die Furcht in Somalia.

  • Aus Afrika werden bislang vergleichsweise wenige bestätigte Coronavius-Infektionen gemeldet
  • Die Furcht vor Sars-CoV-2 und Covid-19 ist in vielen afrikanischen Staaten jedoch riesengroß
  • Es drohen wegen schwacher Gesundheitssysteme nicht nur viele Todesfälle, sondern auch große Wirtschaftskrisen

„Wie geht es Dir? Hast Du schon Wehen?“, fragt Dr. Farhiya Saney im Krankenhaus der Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer Sahra Abukar Abdi. Die bevorstehende Geburt in der somalischen Hauptstadt Mogadischu bereitet der erfahrenen Frauenärztin keine Sorgen. Die 20-jährige Abdi hat bereits drei Kinder zur Welt gebracht, alle Geburten verliefen ohne Komplikationen.

Angst hat die somalische Medizinerin, die ihre Patientinnen ohne Schutzhandschuhe trifft, vor etwas anderem: Coronavirus, Covid-19. Auch wenn verlässliche Daten fehlen, haben sich mittlerweile vermutlich in allen 55 afrikanischen Staaten insgesamt Tausende Menschen infiziert, Dutzende sind bereits an der Lungenkrankheit gestorben.

Coronavirus trifft in Afrika auf schwache Gesundheitssysteme

Mit seinen schwachen Gesundheitssystemen, schlechten sanitären und hygienischen Bedingungen, dicht besiedelten Städten und Slums und weit verbreiteter Armut könnte die Pandemie für den Kontinent zur Katastrophe werden. Ärzte, Pfleger und Politiker befinden sich in einem Wettlauf gegen die Zeit.

„Ich habe Angst, dass mir irgendwann das Personal davonläuft, denn wir können unsere eigenen Leute nur notdürftig schützen und schlecht bezahlen. Trotzdem sind sie uneingeschränkt für ihre Patienten da und retten Menschenleben, auch wenn sie dafür ihr eigenes Leben riskieren“, sagt Dr. Mohamed Dakane, medizinischer Leiter des SOS-Krankenhauses in Mogadischu.

Corona-Krise in Afrika: 20 Ärzte und 50 Pflegekräfte versorgen 400.000 Patienten in Somalia

In fünf Krankenhäusern und Kliniken in ganz Somalia versorgt SOS-Kinderdörfer jedes Jahr rund 400.000 Patienten in dem Bürgerkriegsland, mit rund 20 Ärztinnen und Ärzten und 50 Pflegerinnen und Pflegern – und unter schwierigsten Bedingungen.

„Wir weisen niemanden ab und haben in unseren Einrichtungen Isolationsräume eingerichtet, in denen wir Verdachtsfälle unterbringen können, bevor wir sie an die nationale Isolationsstation am schwer gesicherten Flughafen in Mogadischu überweisen können“, sagt Deqa Dimbil. Die 34-jährige somalische Allgemeinmedizinerin koordiniert die SOS-Nothilfe in ganz Somalia.

Dass sie auf Grund von Versorgungsengpässen bald wahrscheinlich sogar einfache Gesichtsmasken und Handschuhe für ihr Personal rationieren muss, bereitet ihr große Sorgen. Aber Angst? Deqa Dimbil lacht. „Wir sind Somalis. Wir leben seit fast 30 Jahren mit Bürgerkrieg und Katastrophen. Uns macht so schnell nichts mehr Angst. Wir halten viel aus.“

Dann wird sie plötzlich sehr ernst. Bislang gibt es in Somalia erst wenige bestätigte Corona-Fälle. Zunächst hieß es, ein Senegalese und zwei Somalis hätten das Virus aus dem Senegal, Italien und China mit in das Land am Horn von Afrika gebracht. Sie kamen auf eine Isolationsstation am Flughafen. Am vergangenen Donnerstag meldete das Gesundheitsministerium den ersten Corona-Todesfall, zu dieser Zeit war von lediglich zwölf bestätigten Infektionen die Rede. Sollte es jedoch in Somalia zu einem größeren Ausbruch kommen, hätte dies katastrophale Folgen.

Kursierende Fake News zum Coronavirus bereiten Ärztin Sorge

„Wir sind darauf absolut nicht vorbereitet. Corona führt selbst in hochentwickelten Ländern wie Italien und den USA zu Tausenden Toten. Dort gibt es High-Tech-Medizin. Aber wir wissen nicht mal, ob und wenn ja, wie viele Beatmungsbetten es in Somalia gibt“, sagt die Ärztin.

Nicht nur die mangelnde medizinische Versorgung, auch die vielen Gerüchte und Fake News, die im Bürgerkriegsland kursieren, bereiten der Medizinerin Sorgen. „Viele Somalis glauben, dass nur Chinesen, Ungläubige oder Menschen, die seltsame Dinge wie Fledermäuse essen, infiziert werden können. Präventivmaßnahmen werden deshalb teilweise nicht umgesetzt“, berichtet die Ärztin.

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    In Mogadischus extrem dicht besiedelten Flüchtlingslagern mit Hunderttausenden Binnenflüchtlingen ist es zudem schlichtweg nicht möglich, Abstand zu halten, um Ansteckungsketten zu unterbrechen.

    Hoffnung macht der somalischen Ärztin, die mit begrenzten medizinischen Möglichkeiten und Gebeten dafür kämpft, dass ihr Land von einem größeren Ausbruch verschont bleiben möge, dass fast alle ihrer Landsleute strenggläubige Muslime sind.

    „Sie beten fünfmal täglich und waschen sich – wenn möglich – vor jedem Gebet die Hände“, sagt die Ärztin. Allerdings ist der Zugang zu Wasser und Seife vor allem in ländlichen Gebieten oft nicht gegeben.

    Auch viele afrikanische Staaten haben Ausgangssperren beschlossen

    Doch mehr als das Virus fürchtet die Medizinerin, dass auf Grund von Importbeschränkungen, die Lebensmittelpreise in Somalia explodieren könnten. „Wenn es dazu kommt, haben wir hier Aufstände und Chaos. Die Virustoten werden dann unsere kleinste Sorge sein“, sagt die Ärztin.

    Aber nicht nur im extrem armen Somalia, in dem nach Schätzungen des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA gerade mal ein Arzt auf 50.000 Menschen kommt, könnte die Pandemie verheerende Folgen haben. „Leider müssen wir befürchten, dass Covid-19 in vielen afrikanischen Staaten mit teilweise sehr geringen Behandlungskapazitäten extrem schwerwiegende Folgen haben wird“, sagt Dr. Anna Kuehne, Ärztin und epidemiologische Beraterin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen.

    Zwar haben viele afrikanische Staaten unter dem Eindruck der verheerenden Ebola-Epidemie von 2014 und dem Corona-Ausbruch in China, Europa und den USA bereits weitreichende Ausgangssperren verhängt und Grenzen, Flughäfen und Schulen geschlossen.

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      Die medizinische Versorgung ist zum Teil seit Jahrzehnten kollabiert

      Doch vor allem in Kriegsregionen, in denen die medizinische Versorgung teilweise bereits seit Jahrzehnten weitgehend zusammengebrochen ist und Hunderttausende Menschen auf der Flucht sind, sowie in extrem dichtbesiedelten Flüchtlingslagern und Armenviertel in afrikanischen Metropolen wie Lagos (Nigeria) oder Nairobi (Kenia) könnte die Krankheit sich fast ungehindert ausbreiten.

      Zudem machen der Ärzte-ohne-Grenzen-Expertin, die während des größten Ebola-Ausbruchs der Geschichte in den betroffenen Staaten Liberia und Sierra Leone gearbeitet hat, der oft schlechte Gesundheitszustand vieler Afrikanerinnen und Afrikaner Sorgen. Mangel- und Unterernährung, Tuberkulose, HIV, Cholera, Malaria und andere Krankheiten schwächen das Immunsystem vieler Menschen.

      „Bislang liegen keine Studien vor, welche Auswirkungen diese Vorerkrankungen auf Covid-19 haben, aber es ist davon auszugehen, dass sie den Krankheitsverlauf erschweren, auch wenn das Durchschnittsalter in Afrika deutlich niedriger als in Europa ist“, sagt die Epidemiologin.

      Ärzte ohne Grenzen arbeitet derzeit in 28 afrikanischen Staaten, in 15 Ländern wurden Covid-19-Programme gestartet. Im Kampf gegen die Pandemie trainiert die Hilfsorganisation jetzt Gesundheitspersonal im richtigen Umgang mit Schutzausrüstung und der Behandlung von Corona-Patienten, damit Gesundheitseinrichtungen nicht zu Infektionsherden werden.

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      Muss Afrika Hunderttausende Covid-19-Tote befürchten?

      Zudem berät Ärzte ohne Grenzen afrikanische Gesundheitsministerien bei Strategien zur Covid-19-Eindämmung und bemüht sich, die reguläre Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. „Das wird auf Grund von EU-Exportbeschränkungen für Schutzkleidung und Grenzschließungen allerdings immer schwieriger. Schon bald könnte es zu Versorgungsengpässen bei dringend benötigten Medikamenten kommen. Das kann Menschenleben kosten“, befürchtet die Ärztin.

      Die Corona-Krise könnte die in den letzten Jahren erreichten Fortschritte beim Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und andere Krankheiten zunichte machen.

      Mit möglicherweise Hunderttausenden Toten könnte das Coronavirus Afrika besonders hart treffen. Schon jetzt ist klar, dass Covid-19 den ohnehin armen Kontinent auch wirtschaftlich weit zurückwerfen wird.

      „Für öl- und rohstoffexportierende Volkswirtschaften wie Nigeria oder Äthiopien aber auch für alle anderen afrikanischen Staaten wird die Krise massive wirtschaftliche Folgen haben, die jahrelang nachwirken und Entwicklungsfortschritte der letzten Jahre auffressen werden“, befürchtet Annette Weber, Afrika-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Hinzu kommt, dass das Spendenvolumen aufgrund der Krise in Deutschland eingebrochen ist. Hilfsorganisationen sind wegen der ausfallenden Kollekte besorgt.

      Millionen Kleinunternehmer und Angestellte sind in ihrer Existenz bedroht

      Für Millionen afrikanische Tagelöhner, Kleinunternehmer und Angestellte, die auf Grund von Ausgangssperren, ruhenden Baustellen, stillgelegten Fabriken und leeren Hotels und Restaurants Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten verloren haben, ist die Pandemie schon jetzt zur existenzbedrohenden Krise geworden.

      Für viele von ihnen kommen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie damit einem Selbstmord aus Angst vor dem Tod gleich. „In Afrika gibt es kaum staatliche soziale Sicherungssysteme. Wer seine Arbeit verliert, rutscht meist sofort in die Armut ab, hat im schlimmsten Fall nichts mehr zu essen“, sagt Weber.

      Der Pandemie folgen Plünderungen, soziale Unruhen und bewaffnete Konflikte

      In vielen Staaten drohten deshalb Plünderungen von Märkten und Lebensmittelgeschäften, ein Anstieg von Kriminalität, soziale Unruhen und bewaffneten Konflikte. So haben die islamistischen Terrororganisationen Boko Haram in Nigeria und Al-Shabaab in Somalia ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte zuletzt deutlich verstärkt.

      „Einerseits nutzen sie den durch Lockdowns geschaffenen erweiterten Bewegungsspielraum aus. Andererseits wollen sie der Bevölkerung zeigen, dass sie sich bei der Bekämpfung der Pandemie nicht auf den schwachen und verwundbaren Staat verlassen können“, so Annette Weber.

      In anderen Konfliktregionen wie Darfur im Sudan haben sich die Konfliktparteien hingegen wegen der Pandemie auf einen Waffenstillstand geeinigt, der bislang weitgehend eingehaltenen wird.

      Nach Schätzungen der Vereinten Nationen benötigt Afrika mindestens einen Stimulus von 100 Milliarden Dollar, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Da afrikanische Regierungen dazu alleine nicht in der Lage sind, sieht Weber jetzt auch die internationale Gemeinschaft in der Pflicht: „Auch wenn alle Länder gerade genug eigene Corona-Probleme haben, muss Afrika durch Entschuldung entlastet werden. Lassen wir Afrika jetzt im Stich, werden die langfristigen Auswirkungen, Folgen und osten auch für uns erheblich sein.“

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