Berlin. Am Donnerstag durchsuchte die Polizei in zehn Bundesländern Wohnungen. Im Visier stand der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“.

Erstmals hat das Bundesinnenministerium eine Gruppe der Reichsbürger-Szene verboten. Im Visier des Staates ist der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ und dessen Teilorganisation „Osnabrücker Landmark“.

Polizeibeamte durchsuchten am Morgen die Wohnungen 21 führender Mitglieder in zehn Bundesländern, darunter Berlin, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Die Gruppierung mit rund 120 Mitgliedern richtet sich nach Angaben der Behörden gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung.

Die Legitimität der Bundesrepublik leugne die Gruppe der Reichsbürger-Bewegung. Sie wolle ein eigenes „naturstaatliches“ Rechtssystem durchsetzen, heißt es in den Sicherheitsbehörden. Die Vereinsmitglieder fielen den Behörden auch mit Straftaten auf.

Bereits im September hatte die Polizei mehrere Objekte der Gruppierung durchsucht – darunter Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die Staatsanwaltschaft wirft den Mitgliedern eine Vielzahl von versuchten Nötigungen und Erpressungen vor.

Die Bundesrepublik diffamieren die Reichsbürger als „niedrigste Staatsform“

Auf der Webseite des Vereins propagieren die Reichsbürger einen „Naturstaat“. Den deutschen Rechtsstaat ordnen die Radikalen „weit unter“ ihrer radikalen Ideologie von „Erstbesiedlungsrechten“ und „Gebietskörperschaft“ ein. Die Bundesrepublik werten die extrem Rechten als „niedrigste Staatsform“ und „Handelskonstrukt“ ab. Deutschland ist für sie eine „AG“.

Den Internetauftritt schmückt die Gruppe der Reichsbürger mit harmlos anmutenden Bildern, ein Vater angelt mit seinem Kind, ein junges Mädchen erntet Karotten. Doch für die Behörden ist klar: Zum Erreichen seiner Ziele trete der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ aggressiv auf, schrecke nicht vor drastischen Drohungen zurück. Die Mitglieder des Vereins würden mit ihren Aktivitäten Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus verbreiten.

„Selbstverwalter“ und Antisemiten – viele Strömung einer rechten Bewegung

Die Polizei präsentiert in Wuppertal Waffen, die Ermittler in der Reichsbürger-Szene sichergestellt hatten
Die Polizei präsentiert in Wuppertal Waffen, die Ermittler in der Reichsbürger-Szene sichergestellt hatten © dpa | Roland Weihrauch

Unter Reichsbürgern gibt es etliche Strömungen: Separatisten, die ihr eigenes „Reich“ gründen wollen. Sogenannte „Selbstverwalter“, die sich abkapseln wollen vom Rechtsstaat. Antisemiten und Verfechter des „Deutschen Reiches“ in seinen alten Grenzen. Für manche ist die Bundesrepublik eine fremdgesteuerte „GmbH“, interessiert nur am Profit. Nicht am „Volk“.

Ihre Organisationen nennen die Radikalen „Exilregierung Deutsches Reich“ oder „Republik Freies Deutschland“. Andere, wie der nun verbotene Verein, propagieren einen selbst definierten „Naturstaat“. Was alle Reichsbürger eint: Sie lehnen die demokratisch gewählten Politiker und die Institutionen des Rechtsstaats ab. Sie sind Teil einer extrem rechten Widerstandsbewegung.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz zählte Ende 2019 rund 19.000 Personen zur Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“, davon waren 950 bekannte Rechtsextremisten. Rund 530 Angehörige der Reichsbürger-Szene sind laut Verfassungsschutz „Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse“. Im Juni 2019 waren demnach noch 490 Reichsbürger zum Waffenbesitz berechtigt. Das teilte das Bundesamt auf Anfrage unserer Redaktion mit.

Mindestens 790 Reichsbürgern wurde die Waffenerlaubnis entzogen

Halbjährlich wertet der Inlandsgeheimdienst Zahlen zu „Reichsbürgern und Selbstverwaltern“ aus. Der geringfügige Anstieg beim Waffenbesitz unter Reichsbürger ergebe sich aus der „weiter anhaltenden Aufklärung der Szene und dem damit einhergehenden Bekanntwerden von weiteren waffenrechtlichen Erlaubnissen von Szeneangehörigen“, teilte das Bundesamt mit. Erlange die Behörde Kenntnis von einem neuen Fall, werde dieser den zuständigen Waffenbehörden mitgeteilt.

Noch vor einigen Jahren standen die selbsternannten Reichsbürger nicht so stark im Fokus der Sicherheitsbehörden. Viele, sowohl in den Behörden als auch in der jungen Neonazi-Szene selbst, taten die Anhänger der Reichsbürger-Szene als „Spinner“ oder „Geschäftsmacher“ ab.

Doch immer wieder fallen Anhänger der Gruppierungen mit Straftaten auf, auch Gewalttaten. 2016 erschoss ein Reichsbürger einen Polizisten bei einer Hausdurchsuchung.Seit 2016 beobachtet nun der Verfassungsschutz die Reichsbürger-Szene. Seitdem wurde „mindestens 790 Personen“ die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen. Nach Kenntnis der Sicherheitsbehörden gab es Ende 2019 immer noch 530 Reichsbürger, die legal eine Waffe besaßen.

Nach den Gewalttaten durch Rechtsextremisten hatten die Sicherheitsbehörden den Druck auf die Neonazi-Szene erhöht. Innenminister Seehofer hatte im vergangenen Jahr mehrere Verbotsverfügungen angekündigt. Ende Januar hatte der Minister die Gruppe „Combat 18“ verboten. Der Name der Vereinigung gilt als Codewort für „Kampftruppe Adolf Hitler“. Mehrere mutmaßliche Mitglieder der Gruppe haben gegen das Verbot gemeinsam Klage eingereicht.

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