Hamburg/Berlin. Die Bürgerschaftswahl in Hamburg ist auch für die Bundesparteien von Bedeutung. Welche Parteien Chancen haben – und wer zittern muss.

Bis vor wenigen Wochen sah es so aus, als ob die einzige Landtagswahl in diesem Jahr – jene am Sonntag in Hamburg – die Berliner Politik eher kaltlassen würde. Dann ging es Schlag auf Schlag: CDU und FDP ließen sich in Thüringen von der AfD aufs Glatteis führen.

Die Wahl des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen von rechts außen löste republikweit Empörung aus und stürzte das bürgerlich-liberale Lager in eine Identitätskrise. Am Freitag verhandelten in Erfurt alle Parteien – ohne die AfD – über eine Regierungsbildung.

Dazu hat der Rückzug der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zu einem Vakuum an der Spitze der Volkspartei geführt, der im Umgang mit AfD und Linkspartei heftige Zerreißproben drohen. Nun erschüttert der Anschlag eines mutmaßlichen Rechtsterroristen, der in Hanau in Shisha-Bars neun Menschen mit ausländischen Wurzeln ermordete, das ganze Land und legt sich wie ein düsterer Schatten über das Wahlkampffinale an Elbe und Alster.

Hamburger Bürgerschaftswahl: Der „Scholz-Flügel“ der SPD lebt

Alle Parteien hielten am Donnerstag inne, viele Veranstaltungen wurden abgesagt. Seite an Seite gedachten die Spitzenkandidaten von SPD, Grünen, FDP, CDU und Linkspartei gemeinsam mit vielen Hamburgern auf dem Rathausmarkt der Opfer von Hanau. Welchen Einfluss werden die beschriebenen Zäsuren auf das Wahlergebnis haben, was steht für die Bundesparteien auf dem Spiel?

Die totgesagte SPD lebt noch, zumindest der pragmatische Tschentscher-Scholz-Flügel – das dürfte ein Signal von Hamburg sein. Deren Bürgermeister und Spitzenkandidat Peter Tschentscher hat seinen Amtsbonus voll ausgespielt. Auf Wahlkampfauftritte der neuen, linksorientierten SPD-Doppelspitze Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans verzichtete er mit Nachdruck.

Letzte Umfragen sagen Tschentscher bis zu 40 Prozent voraus. Damit hätte er sich endgültig von Vorgänger Olaf Scholz emanzipiert. Der heutige Bundesfinanzminister hatte vor fünf Jahren als Bürgermeister zwar 45,6 Prozent geholt. Das waren aber andere Zeiten.

In Hamburg haben am Sonntag 1,3 Millionen Wähler das Wort: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) liegt in Umfragen klar vor den Grünen mit Spitzenkandidatin Katharina Fegebank.
In Hamburg haben am Sonntag 1,3 Millionen Wähler das Wort: Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) liegt in Umfragen klar vor den Grünen mit Spitzenkandidatin Katharina Fegebank. © dpa | Daniel Bockwoldt

Hamburg-Wahl: Grüne könnten Ergebnis von 2015 verdoppeln

Noch vor Weihnachten musste Tschentscher ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der grünen Spitzenkandidatin Katharina Fegebank fürchten. Daraus wird den Umfragen zufolge nichts. Die Grünen dürften zwar mit rund 24 Prozent im Vergleich zu 2015 doppelt so stark werden. Der Traum der Bundesspitze um Robert Habeck und Annalena Baerbock, in Hamburg könnte die Ökopartei nach Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg einen zweiten Ministerpräsidentenposten ergattern, erweist sich aber wohl als Illusion.

Dabei hatten die Grünen bei Europa- und Bezirkswahlen in der reichen, hippen und umweltbewussten Hansestadt noch triumphiert. Doch selbst von der Opposition erhobene Vorwürfe um angebliche Steuergeschenke für eine Hamburger Privatbank scheinen der Tschentscher-SPD im Endspurt nicht zu schaden. Er will die rot-grüne Koalition mit Juniorpartnerin Fegebank fortsetzen.

Schlechte Prognose für die CDU bei der Hamburg-Wahl

Unverändert wenig zu melden in Hamburg hat die CDU. Ihr werden um die zwölf Prozent vorausgesagt. Das Metropolen-Problem der Union bleibt evident. Von 81 Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern regieren CDU/CSU nur 22. Die SPD stellt 47 Oberbürgermeister, die Grünen vier. Gift für die Hamburger CDU war das Agieren ihrer Parteifreunde in Thüringen. So dürfte eine Wahlpleite die schlechte Stimmung in der Berliner Parteizentrale noch verstärken.

Dort will Noch-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Rosenmontag in Präsidium und Vorstand darlegen, wie ein Fahrplan für den Machtwechsel aussehen könnte. Die Kandidatur von Norbert Röttgen, vor acht Jahren von der Kanzlerin als Umweltminister entlassen, hat das Bewerbertrio Armin Laschet, Jens Spahn und Friedrich Merz unter Zugzwang gesetzt. Denkbar ist, dass die CDU-Spitze sich für einen Sonderparteitag ausspricht, auf dem der AKK-Nachfolger gewählt wird.

CDU-Vorsitz- Das sind die Kandidaten

Die Thüringen-Krise war der Auslöser: Am 10. Februar kündigte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur an – und ihren Rücktritt als Parteivorsitzende. Wer wird die CDU künftig führen? Das sind die voraussichtlichen Kandidaten für den CDU-Vorsitz.
Die Thüringen-Krise war der Auslöser: Am 10. Februar kündigte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Verzicht auf eine Kanzlerkandidatur an – und ihren Rücktritt als Parteivorsitzende. Wer wird die CDU künftig führen? Das sind die voraussichtlichen Kandidaten für den CDU-Vorsitz. © dpa | Sven Hoppe
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (59) will die CDU führen. Stellvertretender Parteichef ist er schon.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (59) will die CDU führen. Stellvertretender Parteichef ist er schon. © dpa | Federico Gambarini
Laschet war von 1994 bis 1998 Bundestagsabgeordneter. Seit 2010 sitzt er im nordrhein-westfälischen Landtag, ab 2013 war er Vorsitzender der CDU-Fraktion im bevölkerungsreichsten Bundesland. Seit 2017 führt er eine schwarz-gelbe Landesregierung von CDU und FDP. Er gilt als liberal und Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Laschet war von 1994 bis 1998 Bundestagsabgeordneter. Seit 2010 sitzt er im nordrhein-westfälischen Landtag, ab 2013 war er Vorsitzender der CDU-Fraktion im bevölkerungsreichsten Bundesland. Seit 2017 führt er eine schwarz-gelbe Landesregierung von CDU und FDP. Er gilt als liberal und Vertrauter von Bundeskanzlerin Angela Merkel. © dpa | Kay Nietfeld
Gesundheitsminister Jens Spahn (39) galt zunächst als weiterer Kandidat für die Bewerbung um den CDU-Vorsitz. Er war schon 2018 gegen Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz angetreten und war Kramp-Karrenbauer unterlegen.
Gesundheitsminister Jens Spahn (39) galt zunächst als weiterer Kandidat für die Bewerbung um den CDU-Vorsitz. Er war schon 2018 gegen Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz angetreten und war Kramp-Karrenbauer unterlegen. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Doch Spahn verzichtet: Als Laschet seine Kandidatur erklärte, trat er mit Spahn als geplantem Vize als Bewerbungsduo an. In seiner bisherigen Laufbahn wurde Spahn nach einer Zeit als parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen 2018 als Bundesminister für Gesundheit vereidigt. Er gilt als konservativ und ist klarer Gegner von Angela Merkels Flüchtlingspolitik.
Doch Spahn verzichtet: Als Laschet seine Kandidatur erklärte, trat er mit Spahn als geplantem Vize als Bewerbungsduo an. In seiner bisherigen Laufbahn wurde Spahn nach einer Zeit als parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen 2018 als Bundesminister für Gesundheit vereidigt. Er gilt als konservativ und ist klarer Gegner von Angela Merkels Flüchtlingspolitik. © Kay Nietfeld/dpa | Kay Nietfeld
Auch Friedrich Merz (64) will CDU-Vorsitzender werden. Er war 2018 bei der Kandidatur für das Amt des Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer knapp unterlegen.
Auch Friedrich Merz (64) will CDU-Vorsitzender werden. Er war 2018 bei der Kandidatur für das Amt des Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer knapp unterlegen. © dpa | Peter Gercke
Von 1994 bis 2009 war Friedrich Merz Mitglied des Bundestags und 2000 bis 2002 Chef der CDU-Fraktion. Merz arbeitet als Rechtsanwalt und sitzt in Aufsichts- und Verwaltungsräten – seine Positionen gelten als konservativ und wirtschaftsfreundlich.
Von 1994 bis 2009 war Friedrich Merz Mitglied des Bundestags und 2000 bis 2002 Chef der CDU-Fraktion. Merz arbeitet als Rechtsanwalt und sitzt in Aufsichts- und Verwaltungsräten – seine Positionen gelten als konservativ und wirtschaftsfreundlich. © AFP | Tobias Schwarz
Norbert Röttgen bewirbt sich ebenfalls um den CDU-Vorsitz. Die Ankündigung des 54-Jährigen überraschte viele. Röttgen war von 2009 bis 2012 in der Regierung Angela Merkels Umweltminister.
Norbert Röttgen bewirbt sich ebenfalls um den CDU-Vorsitz. Die Ankündigung des 54-Jährigen überraschte viele. Röttgen war von 2009 bis 2012 in der Regierung Angela Merkels Umweltminister. © dpa | Kay Nietfeld
2010 setzte sich Norbert Röttgen gegen Armin Laschet um den NRW-Landesvorsitz durch. Die NRW-Wahlen 2012 verlor er, woraufhin die Bundeskanzlerin ihn aus dem Kabinett entließ. Seit 2014 ist Röttgen Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses.
2010 setzte sich Norbert Röttgen gegen Armin Laschet um den NRW-Landesvorsitz durch. Die NRW-Wahlen 2012 verlor er, woraufhin die Bundeskanzlerin ihn aus dem Kabinett entließ. Seit 2014 ist Röttgen Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. © dpa | Michael Kappeler
1/9

AKK-Nachfolge: CSU macht CDU Druck

Die CSU macht Druck. „Die CDU sollte darauf achten, dass sie durch lange Verfahren nicht in eine ähnliche Lage kommt wie die SPD“, warnt CSU-Chef Markus Söder. Er muss im März Kommunalwahlen in Bayern bestehen. Wenn die Schwesterpartei zu sehr mit sich selbst beschäftigt sei, „könnte auch die Bundesregierung ein Stück weit Handlungsfähigkeit verlieren“.

Röttgen hat eine Mitgliederbefragung und Regionalkonferenzen ins Spiel gebracht. So eine Bühnenshow zwischen AKK, Merz und Spahn um die Merkel-Nachfolge an der Parteispitze hatte 2018 die CDU elektrisiert.

Bürgerschaftswahl Hamburg: Wo landen FDP, AfD und Linke?

Unter Strom steht die FDP. Parteichef Christian Lindner muss sorgenvoll nach Hamburg schauen, wo seine Partei in Lebensgefahr auf der Fünf-Prozent-Hürde balanciert. Würden die Liberalen infolge des Thüringen-Bebens den Wiedereinzug in die Bürgerschaft verfehlen, würde das intern auch Lindner angekreidet. Dessen Glanz der Heldentat, die FDP 2017 zurück in den Bundestag geführt zu haben, verblasst zusehends.

Die AfD lag in Umfragen zuletzt bei sechs Prozent. Offen ist, ob und wie sich der Terroranschlag von Hanau und die Reaktionen der AfD-Bundesspitze darauf am Sonntag auswirken. Die Linkspartei kann mit acht bis neun Prozent rechnen.

Nach der Regierungskrise in Thüringen sind die Wahlen in Hamburg auch ein Stimmungsbarometer für die Bundesparteien. Im Erfurter Landtag haben sich Rot-Rot-Grün und die CDU auf Neuwahlen im April 2021 geeinigt. Auch der Anschlag in Hanau könnte die Wahlergebnisse beeinflussen.