Die SPD ist froh, dass Franziska Giffey den Doktortitel behält und Ministerin bleibt. Trotzdem hat die späte Entscheidung Auswirkungen.

Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu. Die Weisheit des früheren Bundesligastürmers Jürgen „Kobra“ Wegmann könnten sie in der SPD beim Morgenappell im Willy-Brandt jeden Tag aufsagen. Spät, genau 60 Tage zu spät hat die Freie Universität Berlin entschieden, dass Franziska Giffey ihren Doktortitel behalten darf. Ihr war vorgeworfen worden, sie habe im großen Stil bei fremden Federn abgekupfert.

Giffey hätte bis zum Bewerbungsschluss am 1. September grünes Licht gebraucht. Dann hätte sie für den SPD-Vorsitz kandidieren können. Sie hätte gewonnen. Egal, mit welchem Mann an ihrer Seite. Scholz, Klingbeil, Weil. Viele wollten mit ihr antreten. Hätte, hätte, Fahrradkette. Die FU Berlin war zu lahm. Mit dem Titel in der Tasche kann Giffey als Ministerin weitermachen. Für die SPD ist das schon mal ein Pfund. Beim Vorsitz aber muss die gefühlte Parteivorsitzende der Herzen außen vor bleiben.

Giffey für Geywitz einwechseln? Das ist Blödsinn

Mancher Genosse mag sich nicht damit abfinden. Der frühere Fraktionsvize Axel Schäfer schlug vor, die – wie Giffey – aus Brandenburg stammende Scholz-Doppelpartnerin Klara Geywitz solle ihren Platz an die Bundesfamilienministerin abtreten.

Das ist Blödsinn. Eine Nachnominierung von Kandidaten, eine Promi-Wildcard im laufenden Mitgliederentscheid ist nicht möglich. Das würde das Verfahren ad absurdum führen. Schließlich will die SPD mit mehr Basisdemokratie Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Theoretisch hätte die 41-Jährige auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember noch als Einzelbewerberin antreten können. Das hat sie jetzt natürlich klipp und klar ausgeschlossen.

Die SPD wird also in wenigen Wochen von Olaf Scholz und Klara Geywitz, oder von Walter Norbert-Borjans und Sakia Esken angeführt. Bis 29. November läuft die Stichwahl, rund 426.000 Parteimitglieder müssen sich entscheiden. Beide Duos entfachten auf den 23 Regionalkonferenzen keine Jubelstürme. Nur 53 Prozent Wahlbeteiligung in der ersten Runde belegen das Desinteresse der Basis an den Bewerbern.

Politik-Korrespondent Tim Braune.
Politik-Korrespondent Tim Braune. © Reto Klar

Sind die Frauen im Doppelspitzen-Rennen nur „Salatblätter“?

Geywitz und Esken gelang es bislang nicht, aus dem Schatten der langjährigen Minister Scholz und Walter-Borjans herauszutreten. Geywitz sagte zwar, sie sei nicht das „Salatblatt“ von Scholz. In der SPD, die so viel Wert auf Gleichberechtigung legt, wird genau das bezweifelt. Und das sagen auch Genossinnen. Machtprofi Andrea Nahles hielt es als erste Frau nur 13 Monate an der Parteispitze aus. Geywitz und Esken sind von Nahles‘ Qualitäten – bei allem gebotenen Respekt – weit entfernt. Und sie sind keine Giffey.

Die dürfte gar nicht so unglücklich sein, dass der Kelch des SPD-Vorsitzes für den Moment an ihr vorbeigegangen ist. Die im Oderbruch geborene Giffey wollte Lehrerin werden. Wegen einer Kehlkopfmuskelschwäche musste sie das Studium abbrechen. Geblieben ist die für sie prägende hohe, eher leise Falsett-Stimme. Das Publikum muss hinhören. Es lohnt sich.

Giffey erinnert in ihrer Art an die SPD-Ikone Regine Hildebrandt

Giffey ist anders. Sie drischt keine Phrasen wie viele ihrer männlichen Kollegen. Sie ist ein politisches Naturtalent. In ihrer zupackenden Art erinnert sie an die verstorbene Brandenburger SPD-Ikone Regine Hildebrandt. Als Bürgermeisterin in Neukölln war Giffey eine Mutter Courage. Sie legte sich mit den Clans an. Sie stellte Wachleute vor Problemschulen. Sie fand sich nicht mit dem Schicksal Tausender „Harzer“ ab.

Die verheiratete Mutter eines Sohnes kann warten. Der Job als Bundesfamilienministerin macht ihr großen Spaß. Sie kann viel Geld für Kitas und Schulen bewegen. Bald wird es im Berliner Landesverband eine SPD-Doppelspitze geben. Giffey werden exzellente Chancen eingeräumt. Auch für eine Kandidatur für den Bürgermeisterposten in der Hauptstadt. Oder gar Kanzlerkandidatin?

Sie ist jung. Die Bundespartei könnte sie später retten. Die Frage ist nur, wie viel bis dahin von der SPD noch übrig ist.