Rom. Der italienische Innenminister will Neuwahlen. Regierungschef Conte gerät unter Druck – weist Salvini aber gleich in seine Schranken.

Matteo Salvini ist unermüdlich. Im Ferienmonat August peitscht der italienische Innenminister jeden Abend an einem anderen Strand seine Anhänger bei Kundgebungen auf. Selbst den Startschuss für die neueste Regierungskrise feuerte er bei einem Auftritt an der Adriaküste ab.

Der Chef der rechtspopulistischen Lega lässt die Knaller-Nachricht am Strand von Pescara hochgehen, einer auf Wunsch von Benito Mussolini in faschistischem Baustil errichteten Küstenstadt. Es inszeniert ein großes Drama.

Scheinbar unter Tränen bekennt sich Salvini mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und Dreitagebart zu seiner Rolle als Familienvater. Er habe gerade seine Tochter angerufen, die auf dem Weg zum Spielplatz gewesen sei, und seinen Sohn, erzählt der Volkstribun seinem begeisterten Publikum. Da bricht ihm die Stimme – oder er hält inne, um den Eindruck zu erwecken, vom Gedanken an seine Kinder gerührt zu sein. Tosender Applaus, während er scheinbar um Worte ringt. „Sie fehlen mir, aber ich tue, was ich kann für sie und für euch. Es lebe Italien!“

Matteo Salvini lässt Regierung in den heiligen Sommerferien platzen

Dann kommt die Ankündigung, dass die Regierungskoalition mit der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Partei zu Ende sei. Salvini beteuert, ihm gehe es nicht um Posten. Er wolle die Italiener vielmehr bitten, ihm die ganze Macht zu geben, damit er bis zur letzten Konsequenz das tun könne, was er versprochen habe. Dafür müssten die Parlamentarier gefälligst bereits an diesem Montag ihren „Arsch hochkriegen“, betont Salvini. Schließlich arbeiteten auch Millionen anderer Italiener im August.

Salvini- Die Abgeordneten müssen ihren Hintern hochbekommen

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    Mit der Regierungskrise mitten in den in Italien heiligen Sommerferien landet Salvini einen weiteren Coup: Sollte das Parlament nun nicht umgehend die Sommerpause unterbrechen, um Ministerpräsident Giuseppe Conte das Misstrauen auszusprechen, will der Lega-Chef dies als Widerstand gegen sein „entschlossenes Vorgehen zum Wohl des Landes“ verbuchen.

    Wenn es nach einem Misstrauensvotum zu Neuwahlen käme, dürfte der bisherige Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident ohnehin Regierungschef werden. Salvini ist Italiens großer Zampano.

    Matteo Salvini hatte tatsächlich die Macht in Italien – Conte außen vor

    In den vergangenen Monaten trat er zwar stets wie ein Regierungschef auf. Bei internationalen Gipfeltreffen musste er dem parteilosen Ministerpräsidenten Conte jedoch den Vortritt lassen. Das soll sich nun ändern. Die tatsächliche Macht neben einem schwachen und unerfahrenen Koalitionspartner reicht Salvini nicht mehr. Er will auch offiziell an der Spitze der italienischen Regierung stehen.

    Der amtierende Ministerpräsident Conte bemühte sich bislang, zwischen den beiden Regierungsparteien zu vermitteln. Nachdem Salvini dem Regierungschef kurzerhand in die Parade fuhr, kündigte der Juraprofessor Widerstand an. Anstatt wie gewünscht zurückzutreten, machte er ein Misstrauensvotum im Parlament zur Bedingung. Der im Unterschied zu Salvini stets um formvollendetes Auftreten bemühte Conte gab dem Lega-Chef nicht nur die Verantwortung für die Regierungskrise.

    Unter Anspielung auf die Auftritte des Innenministers auf Strandbühnen und in Badehose fügte er gereizt hinzu, die übrigen Kabinettsmitglieder hätten gearbeitet, anstatt sich am Strand zu vergnügen. Doch Salvini fühlt sich im Aufwind. Sein hartes Vorgehen gegen Migration, vor allem die Schließung der italienischen Häfen für Seenotrettungsschiffe, ließ seine Umfragewerte auf knapp 40 Prozent steigen.

    Seine Beschimpfungen der deutschen

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    , als „Kriminelle“ und zuletzt sogar als „deutsche Zecke“ kam bei vielen Bürgern an, die kein Vertrauen mehr in Parteien, Institutionen und Gesetze haben. Racketes Anzeige gegen ihn wegen Verleumdung und Aufhetzung zu Hass verbuchte Salvini als Werbung für sich.

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    Und er zieht derzeit alle Register des Populismus. Vor wenigen Tagen bezog er gegen die Institutionen Stellung, gab sich volksnah. Am Strand von Milano Marittima schlüpfte er in die Rolle des DJs und ließ die italienische Nationalhymne abspielen. Mit einem Cocktail in der Hand strahlte er über das ganze Gesicht, als halb nackte Go-go-Girls zur Nationalhymne tanzten.

    Möglicherweise bereits vor dem Feiertag Mariä Himmelfahrt am 15. August könnte das Parlament über den von der Lega eingebrachten Misstrauensantrag gegen Conte abstimmen. Sollte der Ministerpräsident wie erwartet keine Mehrheit finden, dürfte Präsident Sergio Mattarella sich um eine neue Regierung bemühen. Diese könnte von einem der beiden Kammerpräsidenten oder auch einem unabhängigen Technokraten angeführt werden, gilt aber als unwahrscheinlich.

    Möglich wäre auch eine Regierungsumbildung. In diesem Fall dürfte Salvini dem Koalitionspartner ein nach seinen Bedürfnissen zugeschnittenes Reformprogramm aufzwingen. Die Fünf-Sterne-Partei könnte dann Steuersenkungen und Autonomie für norditalienische Regionen trotz Widerstands aus den eigenen Reihen zustimmen, um Neuwahlen zu verhindern. Sie wird von der Angst getrieben, an den Wahlurnen abgestraft zu werden.