Berlin. Alle Parteien im Bundestag sind mittlerweile auf Facebook und Instagram vertreten. Wer mit Social Media umgehen kann – und wer nicht.

Im Wörterbuch von Angela Merkels Kanzlerschaft steht unter N wie Neuland wahrscheinlich bis heute die Anmerkung: Besser nicht mehr verwenden. „Das Internet ist für uns alle Neuland“ – nur sieben Wörter brauchte die Kanzlerin 2013, um sich wochenlangen Spott zu sichern, und dazu die Kritik, das Internet mehr als 20 Jahre nach seiner Erfindung noch immer nicht verstanden zu haben.

Merkel hat daraus ihre Konsequenzen gezogen – die Kanzlerin gab schon 2015 zum ersten Mal einem Youtuber ein Interview. Große Teile ihrer Partei lernen noch, wie mit der Plattform umzugehen ist – zum Teil in schmerzhaften Kollisionen, wie die

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in diesem Frühjahr bewiesen hat.

In den Wochen vor der Europawahl hat die Partei online heftige Kritik einstecken müssen. Erst inhaltlich von Rezo, der in einem Video mit mittlerweile 15 Millionen Aufrufen der Partei unter anderem langfristiges Versagen in der Klimapolitik vorwarf. Und dann noch einmal für ihren Umgang mit diesem Video, den viele als herablassend kritisierten.

Spätestens seitdem junge Wähler der CDU zur Europawahl in Scharen wegliefen, dürfte auch dem letzten Christdemokraten klar sein, dass Online-Debatten offline Konsequenzen haben. Vertreten auf Facebook, Twitter, Youtube und Instagram sind die Parteien, die im Bundestag sitzen, mittlerweile. Also alle angekommen im Neuland?

Social-Media-Expertin sieht großes Unverständnis in der Politik

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im August 2017 vor ihrem YouTube-Interview mit (von links) Lisa Sophie, Mirko Drotschmann, und Ischtar Isik.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im August 2017 vor ihrem YouTube-Interview mit (von links) Lisa Sophie, Mirko Drotschmann, und Ischtar Isik. © picture alliance / Wolfgang Kumm | dpa Picture-Alliance / Wolfgang Kumm

Nicht so richtig, sagt Ann Cathrin Riedel. Die Social-Media-Expertin berät unter anderem Stiftungen und Gewerkschaften in ihrer Online-Kommunikation. Die Debatte über das Rezo-Video habe gezeigt, dass es in der Politik immer noch ein großes Unverständnis für soziale Medien gebe, sagt sie. Das liege auch daran, dass diese sehr weit weg seien von der Lebensrealität der Politiker.

Eine Facebook- oder Instagram-Seite zu haben und vorbereitete Statements rauszugeben, reicht dabei nicht. „Politiker müssen auch Lust auf Social Media haben, da kommt viel auf die Persönlichkeit an“, sagt Riedel. Was gut ankomme: auf Augenhöhe kommunizieren und authentisch bleiben. Aussitzen können Parteien die gar nicht mehr so neuen Medien jedenfalls nicht, so die Expertin. „Das macht auch nicht der Praktikant mal nebenbei.“ Ein Team von drei bis fünf Leuten sollte es schon sein, sagt sie, „wenn man es richtig machen will“.

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Doch häufig sind Ressourcen deutlich knapper. Bei der Linken ist es eine Person, deren Job „Social Media“ im Namen trägt. Zu deren Aufgaben gehören Facebook, Twitter, Instagram und Youtube, aber auch WhatsApp- und Telegram-Kanäle. Entsprechend würden Inhalte auch mehrfach verwendet, sagt Thomas Lohmeier, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Partei. „Individueller Content für jede Plattform ist in der Regel zu aufwendig.“

Bei den Grünen sind es zwei Personen, die hauptamtlich die Kanäle der Partei betreuen. Dort versucht man, Inhalte an die Plattformen anzupassen. „Was ich auf Facebook als Bild ausspiele, muss ich auf Instagram als Story aufbereiten“, sagt Generalsekretär Michael Kellner. „Einfach Copy-paste geht nicht.“

AfD ist vor allem auf Facebook sehr aktiv

Im Adenauer-Haus will man lieber keine konkreten Zahlen nennen, betont aber die „große strategische Bedeutung“ des Themas. Schneller und dialogischer soll die Kommunikation der CDU online werden. Dazu müssen wohl auch mehr Leute her: Die Ressourcen sollen weiter aufgestockt werden, heißt es jedenfalls aus der CDU-Zentrale. FDP und CSU halten sich auf Anfrage bedeckt – lieber keine Interviews zum Thema.

Bei der SPD seien es derzeit sechs Menschen, die im parteieigenen Newsroom Facebook und Co. betreuen, sagt eine Sprecherin. Und es sollen mehr werden: Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte kürzlich im OMR-Podcast, das deren Zahl wachsen soll – „permanente Kampagnenfähigkeit“ sei das Ziel. „Die Art und Weise, wie wir Menschen ansprechen und Inhalte vermitteln, steht vor einem grundlegenden Wandel“, sagte Klingbeil unserer Redaktion.

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Die erste Partei in Deutschland, die das wirklich verstanden hat, war wohl die AfD. Die Partei, die ein zwiespältiges Verhältnis zu klassischen Medien pflegt, hat sich früh dem Internet und sozialen Netzwerken zugewandt. Im Fokus steht dabei vor allem Facebook: Neben den offiziellen Seiten der Partei und ihrer Landesverbände sind dort zahlreiche kleinere AfD-Gliederungen wie Orts- und Kreisverbände vertreten, viele davon sehr aktiv. Die Haupt-Facebook-Seite der Partei hat rund 460.000 Likes, mehr als SPD und Union zusammen.

AfD hat in den sozialen Medien die größte Reichweite

Allein in der Fraktion kümmern sich zwölf Mitarbeiter um die Social-Media-Kanäle. Wie viele in der Parteizentrale dazukommen, will die AfD nicht verraten. Netzwerke wie Facebook seien wichtig, heißt es da nur, ihr Einfluss jedoch nicht messbar. „Die AfD-Mitglieder teilen, was ihnen wichtig ist, von selbst.“

Tatsächlich hat die AfD online die aktivste Anhängerschaft: Der „Spiegel“ zitierte vor der Europawahl aus einer Studie des US-Wissenschaftlers Trevor Davis, der zufolge mit Abstand der größte Teil von erfolgreichen Facebook-Posts deutscher Parteien von der AfD kommt. 85 Prozent aller weiterverbreiteten Beiträge deutscher Parteien waren danach AfD-Posts – 1,8 Millionen allein seit dem vergangenen Oktober. Auf Platz zwei folgt, mit großem Abstand, die Linke mit 75.000 weiterverbreiteten Beiträgen. Dazu passt, dass die AfD, anders als andere Parteien, im Europawahlkampf kaum Geld ausgab für Werbung auf Facebook.

Doch am Online-Kommunikationsstil der AfD will sich keiner der politischen Mitbewerber orientieren. Grünen-Generalsekretär Kellner warnt zudem davor, sich nach Rezo bei Influencern anzubiedern. „Man muss als Partei mit relevanten Akteuren reden, dazu gehören auch Youtuberinnen und Youtuber“, sagt Kellner. „Aber ich bin dagegen, Unterschiedliches gleich zu behandeln.“ Klassische Medien, so Kellner, „könnten ruhig selbstbewusster auftreten“. (mit cho)