Berlin. Die Nachfrage nach Cannabis zur medizinischen Behandlung ist stark gestiegen. Seit zwei Jahren gelten für Patienten niedrigere Hürden.

Patienten mit Multipler Sklerose oder chronischen Schmerzen können sich in Deutschland seit zwei Jahren medizinisches Cannabis regulär beim Arzt verschreiben lassen. Die Entscheidung vom damaligen Bundesgesundheitsministerium unter Hermann Gröhe (CDU) war eine Sensation im deutschen Gesundheitswesen. Immer mehr Patienten wollen inzwischen Cannabis-Therapien – und Ärzte, Apotheken und Krankenkassen erleben einen ungebremsten Andrang. Firmen kommen aus dem Ausland nach Deutschland in der Hoffnung auf das große Geschäft.

Wie Cannabis wirkt, ist schon lange bekannt. Es kann etwa Spastiken bei Multipler Sklerose oder chronische Schmerzen lindern. Bei Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapien oder beim Tourette-Syndrom ist die medizinische Wirkung hingegen nur gering belegt, wie die Bundesärztekammer betont. Bis zur Liberalisierung war medizinisches Cannabis in Deutschland eine Nische, nur rund 1000 Kranke hatten eine Ausnahmegenehmigung.

Nachfrage nach Cannabis verdreifacht


Innerhalb eines Jahres hat sich die Nachfrage verdreifacht. Das zeigen Zahlen des Apothekerverbands ABDA, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Demnach gaben im vergangenen Jahr Apotheken rund 145.000 Einheiten cannabishaltiger Zubereitungen und unverarbeiteter Blüten auf Basis von etwa 95.000 Rezepten ab. In den knapp zehn Monaten 2017 von der Freigabe im März bis zum Jahresende waren es 27.000 Rezepte und 44.000 Einheiten. Die Kosten tragen die gesetzlichen Krankenversicherungen.

Auch wurden im vergangenen Jahr gut 53.000 Packungen Fertigarzneien mit Cannabis-Stoffen abgegeben, ein Plus von einem Drittel. Laut Andreas Kiefer, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts, legten die Zahlen nahe, dass deutlich mehr Patienten mit medizinischem Cannabis versorgt würden. „Aber wir wissen nicht, ob alle Patienten, die von medizinischem Cannabis profitieren könnten, Zugang dazu haben.“ Zahlen zu Cannabis-Patienten gibt es nicht, laut Schätzungen könnten es rund 15.000 sein.

Krankenkassen bewilligen zwei Drittel der Anträge

Bei den vier großen Krankenkassen – AOK-Bundesverband, Barmer, Techniker und DAK-Gesundheit – gingen 2018 insgesamt 19.600 Anträge auf Erstattung der oft teuren Cannabis-Therapien ein. Rund zwei Drittel der Anträge bewilligten die Kassen, in den übrigen Fällen fordern sie meist Informationen nach. Einige Fragen blieben offen, erklärt der AOK Bundesverband – etwa jene, welche Diagnose eine Cannabis-Verordnung ermögliche. So inhalieren Patienten Cannabisblüten bei vielen Erkrankungen, etwa gegen Depressionen oder Schmerzen bei Multipler Sklerose.

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    Doch eine klare Indikation für die Anwendung von Blüten gibt es nicht. Gelten für Medikamente üblicherweise hohe Zulassungshürden, wurde Cannabis zur Verordnung erlaubt, während der Gesetzgeber die Wirksamkeit noch begleitend erforschen lässt. Das ruft Kritiker auf den Plan. In einem Fachbeitrag der Barmer Krankenversicherung heißt es, die medizinische Anwendung von Cannabis sei zwar seit mehr als 4700 Jahren bekannt, “aber in vielerlei Hinsicht auch auf einem vorwissenschaftlichen Stand stehen geblieben.“

    Deutschland ist auf Import von Cannabis angewiesen

    Beim Cannabis-Anbau kommt Deutschland derweil kaum hinterher. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat den Anbau von 10,4 Tonnen Medizin-Cannabis an Firmen ausgeschrieben. Das ist deutlich mehr als zunächst geplant (6,6 Tonnen), doch Klagen gegen die Regeln verzögern die Vergabe. Die erste Ernte wird Ende 2020 erwartet, hieß es zuletzt.

    Davon profitieren Exporteure aus den Niederlanden und Kanada, die Cannabis nach Deutschland bringen. Der kanadische Konzern Tilray möchte Cannabisblüten ab sofort allen hiesigen Apotheken zur Verfügung stellen. Seit Januar sitzt der

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    Isreal strebt auf den deutschen Markt

    Mehr als 18 Tonnen medizinisches Cannabis werden laut Gesundheitsministerium pro Jahr produziert. Aber besitzt Isreal genug Ressourcen für den Export? Dadi Segal, Chef des Pharmaunternehmens Panaxia, ist optimistisch: „Wir produzieren 50.000 Produkte pro Monat, im Safe liegen drei Tonnen Cannabis, und wir sind bereit für mehr.“ Sollte die Nachfrage aus dem Ausland steigen, könne Panaxia, einer der größten Produzenten Israels, in drei Tagesschichten arbeiten. Der deutsche Markt sei sehr interessant, sagt Segal. „Wir sind mit mehreren Firmen im Gespräch, die an medizinischem Cannabis aus Israel interessiert wären.“

    In Deutschland spüren einige Pharmafirmen die schnell steigende Nachfrage. So ist der Kölner Verarbeitungsbetrieb „Cannamedical“ bislang auf Exportländer wie Kanada angewiesen. Lieferprobleme ließen sich schwer ausgleichen, sagt Chef David Henn. Er würde Lieferanten aus Israel begrüßen. “Die geografische Nähe würde den Export einfacher und schneller machen.“ (dpa/mein)