Berlin. 15 Jahre sind seit den Reformen durch die Hartz-Gesetze vergangen. Die SPD will sie überwinden. Die Bilanz jedoch: überwiegend positiv.

Nicht weniger als einen „Sozialstaat für eine neue Zeit“ will die SPD an diesem Wochenende entwerfen. Auf einer Klausurtagung soll der Parteivorstand eine Reihe von Vorschlägen beschließen, die das soziale Netz dichter knüpfen sollen.

Damit wollen die Sozialdemokraten bei den anstehenden Wahlen punkten. Im Mittelpunkt steht dabei das „Bürgergeld“. Es soll an die Stelle des Arbeitslosengeldes II treten, besser bekannt als Hartz IV.

Ziel der SPD ist es,

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, wie es Parteichefin Andrea Nahles ausdrückt. Das soll für den Inhalt und den Namen gelten.

Was aber haben die Arbeitsmarktreformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bewirkt, die die Repu­blik stark verändert haben? Ein Rückblick und Ausblick:

Warum gab es die Hartz-Reformen?

Anfang der 2000er-Jahre galt Deutschland als „kranker Mann Europas“. Die Wirtschaft wuchs nicht mehr, die Zahl der Arbeitslosen stieg auf mehr als vier Millionen. Entsprechend größer wurden die Sozialausgaben.

Zugleich kam 2002 ans Licht, dass die damalige Bundesanstalt für Arbeit die Zahl der Stellenvermittlungen gefälscht hatte. Beides – die wirtschaftliche Lage und der Vermittlungsskandal – führten zu Schröders Agenda 2010. Ein Teil dieser Reform­gesetze betraf den Arbeitsmarkt. Zu diesen Gesetzen wiederum zählten die Hartz-Gesetze, die 2005 in Kraft traten.

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Was war der Inhalt der Reformen?

Zu den Arbeitsmarktreformen gehörten beispielsweise die Lockerung des Kündigungsschutzes oder die Erleichterung der Leiharbeit. Kern aber waren die vier „Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Sie basierten auf Vorschlägen des damaligen Arbeitsdirektors des VW-Konzerns, Peter Hartz.

Deshalb hießen sie „Hartz I“ bis „Hartz IV“. Darin wurden die Minijobs neu geregelt (Hartz II), der Umbau der Bundesanstalt zur Bundesagentur für Arbeit (Hartz III) und die Zusammenführung der Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe (Hartz IV).

Was war der wesentliche Teil der Hartz-Gesetze?

Das aus Sicht der Arbeitslosen wichtigste Gesetz war Hartz IV. Damit wurde eine neue Leistung, das Arbeitslosengeld II, eingeführt. Das Neue daran: Die Arbeitslosenhilfe fiel ersatzlos weg. Sie war ein Zwischenschritt zwischen dem Arbeitslosengeld und der Sozialhilfe.

Namensgeber der Reformen Peter Hartz (links) und der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schroeder. Foto: Michael Urban/ddp
Namensgeber der Reformen Peter Hartz (links) und der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schroeder. Foto: Michael Urban/ddp © ddp | Michael Urban

Das hatte gravierende Folgen: Der Maßstab für die Arbeitslosenhilfe war das letzte Arbeitseinkommen. Seither wird nach dem ebenfalls einkommensorientierten Arbeitslosengeld I nur noch das Arbeitslosengeld II gezahlt. Arbeitslose landen damit unmittelbar in der Grundsicherung, dem untersten sozialen Netz.

Enzo Weber, Arbeitsmarktexperte am renommierten Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit, hält die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für richtig. „Sozialhilfeempfänger waren damals abgehängt vom Arbeitsmarkt. Es gab keine Bemühungen, sie wieder in Arbeit zu bringen“, sagt er.

Mit dem Hartz-IV-Gesetz und der Zusammenlegung der beiden Leistungen habe sich das verändert: „Es gab wieder Betreuung und Vermittlung in den Arbeitsmarkt.“ Allerdings gehe es vielen Arbeitslose durch die Zusammenlegung finanziell schlechter.

Haben die Hartz-Gesetze gewirkt?

Arbeitsmarktexperte Weber zieht eine insgesamt positive Bilanz. „Auch wenn einzelne Maßnahmen im Rückblick ­sicher diskussionswürdig sind: Insgesamt haben die Hartz-Reformen sehr viel gebracht“, sagt Weber.

Die Arbeitslosigkeit sei in den vergangenen Jahren insgesamt stark gesunken, vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen sei zurückgegangen. Diese Entwicklung habe nur zum Teil mit der seit 2005 deutlich besseren Konjunktur zu tun. „Dass Arbeitslose schneller und besser in Jobs kommen, hat auch mit einer deutlich besseren und reformierten Arbeitsvermittlung zu tun“, sagt Weber.

Der Begriff „Hartz“ bedeute nicht nur, Arbeitslosen weniger zu zahlen und ihnen mehr Druck zu machen. „Es gab auch strukturelle Veränderungen in Arbeitsagenturen und Jobcentern. Die Vermittlung und Betreuung ist effektiver geworden.“

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    Parallel hätten die anderen Reformen den Arbeitsmarkt flexibler gemacht. Leiharbeit, befristete Stellen und Minijobs nahmen deutlich zu. „Das kann man sicher beklagen“, so Weber. „In der damaligen Arbeitsmarktsituation führte es aber auch dazu, dass mehr Menschen in Beschäftigung kamen.“

    Die sogenannte atypische Beschäftigung sei schon vor den Hartz-Reformen angestiegen, habe aber anschließend noch einen Schub bekommen. Inzwischen würden Leiharbeit und Minijobs aber nicht mehr zunehmen.

    War es richtig, mehr Druck auf Arbeitslose auszuüben?

    Die Überschrift über dem ersten Kapitel des Sozialgesetzbuchs II, in dem die Hartz-Reformen stehen, lautet „Fördern und Fordern“. Neben der schnelleren und besseren Jobvermittlung, dem Fördern, sollten Arbeitslose mehr Druck bekommen.

    Man könne nicht genau sagen, was stärker gewirkt habe, sagt Experte Weber. Sicher sei aber: „Wenn großzügigere Leistungen für Arbeitslose schneller auslaufen, dann verkürzt sich die Dauer der Arbeitslosigkeit. Das ist durch wissenschaftliche Untersuchungen gut belegt.“

    Sollte Hartz IV reformiert werden?

    Die SPD will das System umkrempeln. Wer lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt habe, solle länger Arbeitslosengeld bekommen und nicht mehr so schnell in der Grundsicherung landen. Arbeitsmarktexperte Weber sieht das skeptisch und würde sich bei den Reformen auf die Grundsicherung konzentrieren.

    So könne man die Sanktionen etwas lockern: „In der heutigen Arbeitsmarktsituation, in der Fachkräfte gesucht werden, könnte man den Menschen aber mehr Wahlmöglichkeiten geben, wenn sie zum Beispiel einen bestimmten Job nicht annehmen möchten“, sagt Weber.

    Man könnte ihnen freistellen, sich statt des Jobs für eine Weiterbildung zu entscheiden. Änderungen könnte es auch bei der Anrechnung von Vermögen geben, bevor Grundsicherung gezahlt wird. Weil die allermeisten Empfänger ohnehin unter der Grenze für das Schonvermögen lägen, könne man die Prüfung der Vermögensverhältnisse ganz abschaffen.