Berlin. Der aktuelle Beitragssatz zur Pflegeversicherung reicht in drei Jahren nicht mehr. Hat Gesundheitsminister Jens Spahn einen Ausweg?

Seit Jahresanfang zahlen die Deutschen höhere Pflegebeiträge. Die meisten merken das gar nicht, weil sie gleichzeitig weniger für die Arbeitslosenversicherung abgeben müssen. Die Einsparsumme ist hier exakt so groß wie die Zusatzbelastung dort – 0,5 Prozent des Bruttolohns, ein Nullsummenspiel also.

Doch bereits jetzt ist klar: Das Beitragsplus in der Pflege wird nur für kurze Zeit ausreichen. Die Regierung rechnet damit, dass das Polster spätestens in drei Jahren aufgebraucht ist. Und dann?

Es gibt drei Möglichkeiten:

  • Erstens:

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  • Zweitens: Der Staat finanziert die Pflege in Heimen und durch ambulante Dienste in Zukunft stärker als heute durch Steuermittel.
  • Drittens: Das deutsche Pflegesystem wird komplett umgekrempelt. Die Debatte darüber steht noch am Anfang. Doch die Zeit drängt.
  • Pflegenotstand: Darum muss die Bundesregierung mehr dagegen tun

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      Beitragssatz könnte bis 2045 auf 4,25 Prozent steigen

      Experten der Bertelsmann-Stiftung rechnen damit, dass die Deutschen ab 2025 deutlich höhere Pflegebeiträge zahlen werden, wenn es bis dahin keine andere Lösung gibt: Um die wachsende Zahl pflegebedürftiger alter Menschen zu versorgen, muss demnach der Beitragssatz bis zum Jahr 2045 von heute 3,05 auf künftig 4,25 Prozent steigen. Das wären für ein heutiges Durchschnittseinkommen fast 550 Euro mehr im Jahr.

      Eingerechnet dabei ist, dass es mehr Pflegekräfte geben soll und

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      Und: dass bis zum Jahr 2045 fünf Millionen Menschen in Deutschland Pflege benötigen werden. Im Jahr 2017 waren es 3,3 Millionen Hilfsbedürftige.

      Es gibt noch keinen Plan für die Jahre nach 2022

      Die Kostenexplosion in der Pflege ist keine böse Ahnung, sie ist Gewissheit. Gesundheitsminister Jens Spahn weiß das. Und er weiß auch: Es gibt keinen Plan für die Jahre nach 2022. Deshalb wird es Zeit, einen zu entwickeln.

      „Wir brauchen jetzt schon eine Grundsatzdebatte darüber, was danach passiert“, sagt der CDU-Politiker. Wenn die Beiträge nicht immer weiter steigen sollen, „dann wird man auch über andere Finanzierungsmodelle nachdenken müssen“.

      Zum Beispiel durch Steuermittel. Gegenüber der „Bild“-Zeitung hat Spahn bereits laut über eine weitere Möglichkeit nachgedacht: „Wir müssen noch einmal ganz neu austarieren, was die Familien selbst leisten können und wo sie Unterstützung brauchen.“

      Mit anderen Worten: Das Geld wird knapper, ohne die Hilfe der Familien geht es schon heute nicht – und erst recht nicht in Zukunft.

      SPD fordert eine Bürgerversicherung für alle

      Bei der SPD denken sie ebenfalls über mehr Steuergelder für die Pflege nach – doch erst in einem zweiten Schritt. Vorrangig ist etwas anderes: „Wir werden die steigenden Kosten in der Pflege auf Dauer nur finanzieren können, wenn auch Beamte und Privatversicherte in Zukunft Beiträge in die gesetzliche Pflegeversicherung einzahlen“, sagte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach unserer Redaktion.

      Diese Gruppen profitierten vom Pflegesystem, zahlten aber zum Teil deutlich niedrigere Beiträge. „Wir brauchen eine Bürgerversicherung in der Pflege.“

      FDP will Förderung privater Pflegevorsorge

      Die Chancen dafür stünden gut: „Allein deshalb, weil sich immer mehr Beamte und Selbstständige mit kleinen Einkommen die steigenden Beiträge für die private Pflegeversicherung im Alter nicht mehr leisten können.“

      Die FDP dagegen sieht die Lösung in entgegengesetzter Richtung: „Das umlagefinanzierte System ist allein nicht zukunftsfähig“, sagt FDP-Pflegeexpertin Nicole Westig. Die Liberalen fordern deswegen den Aufbau einer kapitalgedeckten Säule zur Pflegefinanzierung und die Förderung privater Pflegevorsorge.

      Zwei Drittel denken, das Thema Pflege werde vernachlässigt

      Mit seiner Idee,

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      war Spahn dagegen im vergangenen Jahr auf Widerstand gestoßen.

      Bereits jetzt zahlen Kinderlose 0,25 Prozentpunkte mehr von ihrem Bruttolohn für die Pflegeversicherung. Die SPD lehnt eine Ausweitung dieser Ungleichbelastung ab: Es gebe viele Gründe, warum Menschen kinderlos blieben. Sie dafür zu bestrafen, sei falsch, sagt Lauterbach.

      Die neue Grundsatzdebatte über die Zukunft der Pflege kommt zu einem Zeitpunkt, da die Stimmung derjenigen, die heute schon mit oder von der Pflege leben, denkbar schlecht ist. In einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Deutschen Pflegetags unter Pflegekräften, Ärzten, Pflegebedürftigen, Angehörigen sowie Vertretern von Kassen und Verbänden zeigt sich: Viele haben das Gefühl, gute Pflege sei der Gesellschaft nur wenig wert.

      Besonders alarmierend: Trotz der zahlreichen Pflegereformen der vergangenen Jahre haben zwei Drittel den Eindruck, dass die Politik das Thema Pflege von Jahr zu Jahr mehr vernachlässigt.