Berlin/Frankfurt (Oder). Grünen-Parteichef Robert Habeck löscht seine Konten auf Twitter und Facebook. Kann Politik ohne diese Plattformen erfolgreich sein?

Er steht in der Kälte, einen dicken Schal um den Hals gewickelt, müde sieht er aus. Neben ihm seine Parteifreunde, hinter ihm fließt die Oder, der Grenzfluss, und dahinter liegt Polen. Eigentlich wollten sich die Grünen auf ihrer Vorstandsklausur in Frankfurt (Oder) mit den Europawahlen im Mai beschäftigen. Mit Ideen, wie man Europa verteidigen und besser machen kann. Und so kraftvoll in das Jahr 2019 starten. Doch am Montagmorgen dreht sich fast alles um den Vorsitzenden Robert Habeck, der, wie er erzählt, die ganze Nacht kein Auge zugemacht hat.

Um wieder schlafen zu können, geht Habeck einen radikalen Schritt: raus aus Twitter und Facebook. Keine sozialen Medien mehr. Über einen Blogeintrag, in dem er seinen Ausstieg begründet, schreibt er:

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Zuvor hatte er in einem Video zur Wahl in Thüringen, die im Oktober ansteht, gesagt: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.“

Habeck selbst ist sein hefigster Kritiker

Das sorgte für heftigen Gegenwind. Die Aussage, schreibt Habeck im Blog, klang so, „als würde ich Thüringen absprechen, weltoffen und demokratisch zu sein. Was ich natürlich null tue.“ Er habe „wird“ gesagt statt „bleibt“ – „ein kleines Wort, ein echter Fehler“.

Robert Habeck am Montag in Frankfurt an der Oder.
Robert Habeck am Montag in Frankfurt an der Oder. © dpa | Patrick Pleul

Habeck ist selbst einer seiner heftigsten Kritiker. „Ich bin von mir selber entsetzt“, sagt der Grünen-Chef am Montagmorgen. „Ich beiß mir in den Arsch.“ Klingt wie ein Fußballspieler nach einem spielentscheidenden Eigentor.

Die Heftigkeit hat viele Gründe. Habeck ist ehrgeizig, Fehler ärgern ihn. Auch sieht er sich selbst als besonnenen Politiker, dieses Image pflegt er auch in Talkshows. Und: Er ist Wiederholungstäter. Im bayerischen Landtagswahlkampf veröffentlichte er auf Twitter ein Video, in dem er die Wähler dazu aufrief, die CSU-Alleinherrschaft zu beenden, damit man sagen könne: „Endlich gibt es wieder Demokratie in Bayern.“ Auch hier gab es Kritik, Habeck entschuldigte sich. Am Montag fragt sich Habeck: „Wie dumm muss man sein, einen Fehler zweimal zu begehen?“

Soziale Netzwerke sind für Politiker keine Spielerei mehr

Was an Habecks Schritt verwundert: Soziale Netzwerke sind keine Spielerei mehr. Sondern zunehmend wichtige Kanäle der politischen Kommunikation. In Zukunft können sie womöglich wahlentscheidend sein, vor allem vor dem Hintergrund, dass es manchmal von der Stelle hinter dem Komma abhängt, ob eine Koalition gebildet werden kann.

Habeck, der fast 50.000 Freunde auf Facebook hat und dem fast ebenso viele Menschen auf Twitter folgen, ist sich im Klaren darüber, dass er auch eine Wahlkampfwaffe aus der Hand gibt: „Kann sein, dass das ein politischer Fehler ist, weil ich mich der Reichweite und direkten Kommunikation mit doch ziemlich vielen Menschen beraube. Aber ich weiß, dass es ein größerer Fehler wäre, diesen Schritt nicht zu gehen.“

Kritik kommt von der SPD. Politiker müssten dort sein, wo Debatten stattfinden, sagt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. „Es ist richtig, sich für eine demokratische und faire Debatte im Netz einzusetzen. Schade, dass Robert Habeck sich dagegen entschieden hat.“

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    Habeck gehört zu den beliebtesten Politikern

    Ein paar Tage zuvor hatte Habeck auch schon Online-Stress: Er gehört zu den Politikern, die am meisten vom Datendiebstahl betroffen sind. Private Chats mit seiner Familie tauchten im Internet auf. Auch das trägt dazu bei, dass Habeck nun Twitter und Facebook abschwört.

    Das Jahr 2019 beginnt für die Grünen also suboptimal. Dabei war 2018 so gut gelaufen. Immer weiter steigende Umfragewerte, mit etwa 20 Prozent zweitstärkste Partei hinter der Union. Bei der Wahl 2017 hatten die Grünen nur 8,9 Prozent geholt. Während die große Koalition im Dauerkrisenmodus vor sich hin wurschtelt, fahren die Grünen in Bayern und Hessen Rekordergebnisse ein. Für Habeck und seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock, gewählt auf dem Parteitag im Januar 2018, hätte das erste Jahr nicht besser laufen können.

    Besonders Habeck machte auf sich aufmerksam. Der Mann aus dem Norden, in Schleswig-Holstein sechs Jahre stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Umwelt und Landwirtschaft, gehört mittlerweile zu den populärsten Politikern Deutschlands. In Interviews wurde er zuletzt gefragt, ob er Kanzler werden will.

    Im Osten haben es die Grünen traditionell schwer

    Wer so weit oben ist, kann tief fallen. Und es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Grünen, dass ein schöner Vorsprung noch verstolpert würde. Doch eine Frage beschäftigt viele Grüne mit Blick auf das nächste Jahr: Ist das nur ein Zwischenhoch wie 2011, als nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima die Umfragen ähnlich gut waren?

    Die Grünen-Doppelspitze: Robert Habeck und Annalena Baerbock.
    Die Grünen-Doppelspitze: Robert Habeck und Annalena Baerbock. © dpa | Bernd von Jutrczenka

    Viele Grüne sind vorsichtig. Der Hype um den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz und der anschließende Absturz – das haben sie noch deutlich vor Augen. 2019 steht für die Grünen viel auf dem Spiel. Sie wollen bei der Europawahl und im Herbst bei den schwierigen Landtagswahlen im Osten (Brandenburg, Sachsen und Thüringen) gute Ergebnisse einfahren.

    Im Osten haben es die Grünen traditionell schwer, nicht erst seit dem Aufkommen der AfD. 2016 sind sie aus dem Parlament von Mecklenburg-Vorpommern geflogen. 20 Prozent im Osten – das ist utopisch. Bundesweit wollen die Grünen weiterhin vor den Sozialdemokraten liegen. Dazu müssen sie weiter ehemalige SPD-Wähler binden, sich als „führende Kraft der linken Mitte“ etablieren, wie sie es nennen. Eine gute Online-Strategie würde da sicher helfen, vor allem, um junge Wähler anzusprechen.

    Habeck will „wieder konzentrierter sein“

    Habeck und die sozialen Medien – eigentlich war da immer der Eindruck: Er macht das vergleichsweise lässig. Habeck schreibt seit Jahren einen Blog, in dem er vor allem nachdenkt und Fragen stellt.

    Vor der Wahl in Bayern postete der Grünen-Chef etwa im sozialen Netzwerk Instagram ein Foto von seiner Sporttasche und ein paar Klamotten. Darunter schrieb er: „Moin Bayern, ich packe meine Tasche für 14 Tage Wahlkampfreise. Bisschen knapp bei Socken.“ Die anderen Parteien hatten Anfang Oktober vor allem Angst, dass der Wähler sie abstraft. Bei Habeck klang alles nach Zeltlager und großem Spaß.

    Doch der Spaß ist jetzt zu Ende. Es ist auch eine Selbstdisziplinierungsmaßnahme. Er habe sich dabei ertappt, schreibt Habeck in seinem Blog, „wie ich nach Talkshows oder Parteitagen gierig nachgeschaut habe, wie die Twitter-Welt mich denn gefunden hat“. Sein Vorsatz für 2019: „Ich möchte gern wieder konzentrierter sein, fokussierter und auf die lange Distanz geeicht, nicht auf den kurzfristigen Geländegewinn.“

    Aber es gibt ja auch noch Annalena Baerbock. Die Co-Vorsitzende hat bislang online noch keine Fehler gemacht. Und möchte Twitter und Facebook auch weiter nutzen.