Berlin. Fachleute und Ministerien haben ein Modell für eine Grundrente entwickelt. Profitieren könnte, wer trotz lebenslanger Arbeit arm ist.

Ursula von der Leyen war die Erste, die es versucht hat. Als die CDU-Politikerin das Amt der Bundessozialministerin innehatte, nahm sie sich das Thema Altersarmut vor. Sie ließ einen Vorschlag entwickeln, wie die Renten von Geringverdienern aufgestockt werden können. Das Ziel: Wer lange in die Rentenkasse eingezahlt hatte, sollte ­keine Grundsicherung im Alter beziehen. Das war vor sechs Jahren.

Seither gab es viele Versuche, eine solche Aufstockung von Minirenten möglich zu machen. Sie hießen „Zuschussrente“, „Lebensleistungsrente“, „Solidarrente“ und schließlich „solidarische Lebensleistungsrente“. Nach von der Leyen versuchte sich auch Andrea Nahles (SPD) an dem Thema.

Beide scheiterten – am Widerstand in der eigenen Koalition, an den Bedenken der Deutschen Rentenversicherung und auch am Geld. Denn niedrige Renten aufzustocken, das kostet. Die Schätzungen reichen von wenigen Hundert Millionen bis hin zu einigen Milliarden Euro im Jahr.

Ziel: 10 Prozent über der Grundsicherung

Hubertus Heil (SPD) ist jetzt der nächste Bundessozialminister, der sich an dem Thema versucht. Dieses Mal heißt das Projekt „Grundrente“ und ist im Koalitionsvertrag so umschrieben, dass „die Lebensleistung“ von Menschen honoriert werden soll, „die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben“.

Das Ziel: Sie sollen „ein regelmäßiges Alterseinkommen zehn Prozent oberhalb des Grundsicherungsbedarfs“ bekommen. Voraussetzung soll sein, dass jemand 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hat und trotzdem auf Grundsicherung angewiesen – also „bedürftig“ ist.

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Heil will das Thema zu Beginn des neuen Jahres angehen. Schon jetzt haben sich die zuständigen Fachleute zusammengesetzt und überlegt, wie man die verschiedenen Systeme der Rente und der Grundsicherung verknüpfen kann.

Schwer vereinbare Prinzipien

Das Problem: Die Rente funktioniert nach dem Prinzip einer Versicherung und berücksichtigt bei der Auszahlung – grob gesagt – nur das, was vorher eingezahlt wurde.

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Die Grundsicherung dagegen folgt dem Prinzip der Fürsorge und zahlt dann, wenn jemand das Geld braucht. Auch weil sich diese Prinzipien so schwer kombinieren lassen, sind alle bisherigen Versuche gescheitert.

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Nun aber scheint ein Weg gefunden zu sein, wie sich die Grundrente trotzdem umsetzen lassen könnte. Am vergangenen Mittwoch diskutierten Fachleute aus Heils Ministerium, aus den Sozialministerien der Länder, von den Gewerkschaften, den Arbeitgebern, den Kommunen und der Rentenversicherung verschiedene Modelle.

Die größte Zustimmung erhielt nach Angaben aus Teilnehmerkreisen „Modell zwei“, und zwar in der „Variante eins“. Bei der abschließenden Sitzung der Expertengruppe Mitte Januar könnte dies dann die Empfehlung der Experten an Minister Heil werden – auch wenn es nicht wortwörtlich den Plänen entspricht.

Voraussetzung sind 35 Jahre Beitragszeiten

Konkret schlagen die Fachleute vor, dass die Rentenversicherung zusammen mit dem offiziellen Rentenbescheid eine Bescheinigung ausstellt, die den Anspruch auf die Grundrente dokumentieren soll. Voraussetzung sind 35 Jahre Beitragszeiten, dazu Zeiten der Kindererziehung oder Zeiten, in denen Angehörige gepflegt wurden.

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    Diese Informationen können automatisch an die Ämter in den Städten und Gemeinden übermittelt werden, die die Grundsicherung auszahlen. Sie sollen den Anspruch auf die neue Grundrente prüfen und dann einen entsprechend hohen Zuschlag auf die Grundsicherung auszahlen.

    „Angelehnt an den Koalitionsvertrag könnte die Höhe dieses Zuschlags ein Viertel der Regelbedarfsstufe 1 betragen“, heißt es in der schriftlichen Vorlage für das Modell, das unserer Redaktion vorliegt. Konkret wären das 106 Euro Zuschlag – denn die Regelbedarfsstufe 1 für die Grundsicherung im Alter beträgt ab 1. Januar 2019 exakt 424 Euro.

    Grundsicherung liegt im Schnitt bei 800 Euro

    Das politische Ziel „zehn Prozent oberhalb der Grundsicherung“ wäre damit erreicht – denn die Grundsicherung, die je nach Stadt und Gemeinde unterschiedlich hoch ausfällt, liegt im bundesweiten Durchschnitt bei rund 800 Euro. Sie umfasst außer dem Regelbedarf noch die jeweilige Miete, die Heizkosten und die Beiträge für Kranken- und Pflegeversicherung.

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    Der ursprüngliche Gedanke, die lebenslange Einzahlung in die Rentenkasse durch eine höhere Rente zu belohnen, fände sich in dem von den Experten favorisierten Modell dagegen nur noch mittelbar wieder. „Noch stimmiger wäre es, zehn Prozent auf die Rentenhöhe aufzuschlagen“, hieß es in den Kreisen der Fachleute. Das hätte einen direkten Bezug zur persönlichen Lebensleistung der Rentner.

    Grundrente würde mit Steuern finanziert

    Einen großen Vorteil habe das favorisierte Modell: „Man braucht keine neuen Verwaltungsstrukturen.“ Und noch etwas ist aus Sicht der Rentenversicherung, der Kommunen und der Sozialpartner wichtig: Die Grundrente wäre eine Fürsorgeleistung,

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    . Kommunen und Rentenbeitragszahler müssten die Kosten nicht tragen.

    Wie sinnvoll die Pläne für die Grundrente überhaupt sind, ist nach wie vor umstritten. Die Zahl der Rentner, die von der neuen Grundrente profitieren könnten, ist relativ gering. Derzeit erhalten etwa 550.000 Rentner Grundsicherung. Nach Angaben der Rentenversicherung kommen dabei „drei Viertel aus staatlichen Fürsorgesystemen“.

    Was bedeutet: Sie haben kaum oder nie in die Rentenkasse eingezahlt. Bleiben weniger als 150.000 Rentner, von denen vermutlich auch nicht alle tatsächlich die geforderten 35 Beitragsjahre vorweisen können. Minister Heil jedenfalls sagt zur Grundrente: „Das ist eine Frage des Respekts vor der Lebensleistung.“