Berlin. Frankreichs Präsident Macron träumt von einer europäischen Armee. In der Praxis wirft die Idee viele Fragen auf. Die Skepsis ist groß.
General Eberhard Zorn ist Europäer und frankophil, geboren im Saarland, der Großvater stammt aus dem Elsass. In Paris war Zorn zur Ausbildung, in der deutsch-französischen Brigade Bataillonskommandeur. Heute ist der 58-Jährige Generalinspekteur der Bundeswehr.
Was hält der oberste deutsche Militär von der „echten europäischen Armee“, die der französische Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel als „Vision“ beschwören? Für den General ist es eine Aufgabe von „Jahrzehnten“, wie er dem Deutschlandfunk sagte.
Die Skepsis ist unüberhörbar
„Realistisch gesehen“ läuft es nach seiner Darstellung auf eine engere Kooperation der nationalen Armeen hinaus. Der oberste Militär spricht wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nicht von einer europäischen Armee, sondern von einer „Armee der Europäer“. Das ist ein Gegenentwurf. Die Skepsis ist unüberhörbar, nicht nur in Berlin, auch in Brüssel bei Nato und EU.
Vieles ist noch strittig, gerade zwischen Deutschen und Franzosen: wofür eine solche Armee kämpfen soll, wer sie in Marsch setzen würde, wie viel Mitsprache dem Bundestag bliebe, außerdem Zeitplan, Schrittfolge und Beschaffung.
Macron strebt wohl eine Interventionsarmee an
„Wenn so etwas geschieht, dann sicherlich schrittweise“, sagte der Grünen-Wehrexperte Tobias Lindner unserer Redaktion. Starten könne man vielleicht mit den Bereichen Transport, Logistik und Sanität. Lindners Eindruck ist, dass sich jeder unter dem Begriff europäische Armee „etwas anderes vorstellt“.
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. Gemeint ist wohl eine Interventionsarmee. Für eine einstige Kolonialmacht ist das selbstverständlich. In Deutschland gilt eher eine Kultur der militärischen Zurückhaltung. Macron sagt, Europa müsse sich verteidigen „mit Blick auf China, auf Russland und sogar auf die Vereinigten Staaten“.
Großer Argwohn in der Bundeswehr
In der Bundeswehr ist der Argwohn groß, dass die Franzosen bloß ihre Partner in Kampfeinsätze in Afrika hineinziehen wollen. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Der Bundestag hat das letzte Wort. In Frankreich ist der Präsident der Oberbefehlshaber. Wie soll man auf einen gemeinsamen Nenner kommen?
Bis heute haben sich die EU-Mitgliedstaaten gegen jeden Souveränitätsverlust in der Außen- und Sicherheitspolitik gewehrt. In der Außenpolitik gilt noch immer das Prinzip der Einstimmigkeit. Eine Europaarmee setzt mithin eine Gesamtstaatlichkeit voraus, weiß Zorn. Die Staaten müssten Souveränitätsrechte abgeben und ihre Streitkräfte einer übergeordneten Organisation unterstellen. „Das sehe ich eher als Vision.“
Gedenken an den Schauplätzen des Krieges
In Europa herrscht militärisches Wirrwarr
Für Macron liegt die Zukunft so fern nicht. Er peilt eine solche Armee zu Beginn des kommenden Jahrzehnts an. Einen Vorteil hätte sie. Die Europäer könnten Waffen gemeinsam entwickeln, beschaffen, betreiben und einsetzen.
Bisher herrscht ein Wirrwarr, wie der frühere BND-Vizepräsident Rudolf Adam am Vergleich mit den USA aufzeigt: Die USA betreiben ein Panzermodell, Nato-Europa 17. Die GIs haben zwei Typen von schweren Haubitzen, die Europäer 26. Sechs Kampfflugzeugmodellen der USA stehen 20 in Europa gegenüber. Investitionen kommen traditionell der jeweiligen nationalen Industrie zugute.
Auch hier stoßen Kulturen aufeinander: Privater Wettbewerb (das deutsche Modell) gegen staatliches Eigentum oder Einflussnahme. Offen ist auch die Atomfrage. EU-Experten in Brüssel sind skeptisch, wie ernst gemeint die französischen Avancen sind.
Was ist mit den französischen Atomwaffen?
Ein ranghoher Diplomat sagt: „Wenn man über eine europäische Armee spricht, muss man auch über die französischen Atomwaffen und den französischen Sitz im UN-Sicherheitsrat sprechen. Aber davon hört man nichts von Paris.“
Wenn Macron in vertraulichen Gesprächen dazu gefragt werde, reagiere er ausweichend, berichten unabhängig voneinander zwei EU-Politiker, die ihn gefragt hatten.
Prinzipiell ist das Potenzial der Europäer groß. Die 27 EU-Staaten geben rund 200 Milliarden Euro im Jahr für ihre Streitkräfte aus und kommen auf 1,5 Millionen Soldaten. Wenn von der Leyen an eine „Armee der Europäer“ denkt, hat sie die deutsch-französische Brigade vor Augen oder das deutsch-niederländische Korps. „Das Miteinander funktioniert, es klappt – und es ist heute schon Realität“, so Zorn.
Nato reagierte vergrätzt auf Macrons Visionen
Erst vor Jahresfrist hat es die EU als historischen Schritt gefeiert, dass sich 25 Staaten zu einer verstärkten Zusammenarbeit (Pesco) entschlossen haben und damals mit 17 ausgewählten Projekten begonnen haben.
Da geht es etwa um ein von Deutschland federführend geplantes Medizinisches Kommando, das die Fähigkeiten der Armeen bei der medizinischen Versorgung besser koordinieren soll, oder eine intensive Abstimmung bei der militärischen Ausbildung für Kriseneinsätze. Das ist der Weg, der in Brüssel konsensfähig ist und die Nato nicht vergrätzt. Die hatte irritiert auf Macrons Visionen reagiert.
Von Armee spricht von der Leyen nicht
Am Montag haben die Außen- und Verteidigungsminister weitere 17 Projekte beschlossen. Dazu zählt eine stärkere Kooperation der Geheimdienste, etwa bei der Ausbildung, oder die Stärkung der Cyberabwehr-Kapazitäten. Von der Leyen sprach in Brüssel von „großen Schritten und großer Dynamik“ auf dem Weg zur Armee der Europäer.
„Wir fangen an, die europäische Verteidigungsunion jetzt zu gründen“, sagte sie. Von Macrons europäischer Armee sprach die Ministerin nicht.