Berlin. Horst Seehofer hat seine Strategie vorgestellt, die ein Auseinanderdriften der Lebenslagen verhindern soll. Daran regt sich Kritik.

Die Deutschlandkarte zeigt dunkelrote Flecken. Es sind Regionen, in denen die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu anderen Orten hoch ist. In denen die Kommunen weniger Steuern einnehmen und Familien weniger Geld im Monat im Portemonnaie haben. In manchen Gegenden im Osten und Süden brauchen Menschen im Notfall bis zu einer Stunde, um mit dem Auto ins nächstgelegene Krankenhaus zu fahren.

Und auf der Karte breiten sich kräftige, grünblaue Flecken aus, Orte, an denen nur wenige Menschen arbeitslos sind. In denen die Einwohnerzahl wächst und nicht schrumpft und in denen die Mieten hoch sind statt niedrig. Deutschland ist ein Land – und doch leben die Menschen in ganz unterschiedlichen Verhältnissen. Das will Minister Horst Seehofer mit den Karten zeigen. Es gibt laut Innenministerium „überhitzte Metropolen“ und „verödende ländliche Regionen“. Viele Menschen ziehen vom Land in die Stadt, viele pendeln.

Seehofer sagt: „Die Menschen sollen dort leben können, wo sie leben möchten.“ In seiner Rede im Bundestag stellte er seine Strategie vor, um die Verhältnisse in Deutschland gerechter zu gestalten. Erstmals seit seinem Amtsantritt gibt Seehofer den Heimatminister.

Angebote bei Pflege und in Schulen wachsen

Es ist nicht so, dass es den Deutschen schlecht ginge – egal ob Nord, Ost, Süd oder West. Nur wenige suchen einen Job, die Wirtschaft wächst, die Kriminalität ist niedrig. In einer bisher nicht öffentlichen Studie hat das Ministerium 1500 Personen befragt. Viele der Interviewten sagen, sie fühlen sich besser mit schnellem Internet versorgt, die Angebote bei Pflege von Älteren und die Ausstattung an Schulen und Kindergärten wachsen.

Das Namensschild von Horst Seehofer (CSU) zu Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt auf dem Kabinettstisch.
Das Namensschild von Horst Seehofer (CSU) zu Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt auf dem Kabinettstisch. © dpa | Kay Nietfeld

Doch aus Sicht des Seehofer-Ministeriums teilt sich Deutschland in drei Teile: einen reichen Süden, einen ärmeren Osten und das Gebiet im Norden und Westen der Republik, wo sich in den kommenden Jahren entscheiden wird: Wohin kippen diese Bundesländer wie etwa Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen? Setzt sich Wohlstand oder Armut durch? Interessant ist der Blick in eine Statistik der Landesämter: Im vergangenen Jahr war in Bremerhaven – also in einer West-Stadt – die Gefahr am größten, in Armut abzurutschen, in München am geringsten. Vor allem Alleinerziehende sind gefährdet. Zwar schließen die Einkommen in Ostdeutschland zu Westen auf, das Armutsrisiko ist dort jedoch insgesamt immer noch höher.

Ministerium sieht Zusammenhalt gefährdet

Auch in der Umfrage des Seehofer-Ressorts zeigt sich, dass die Menschen in Ostdeutschland ihre Lebenslage zwischen Sicherheit, medizinischer Versorgung und Lage am Arbeitsplatz schlechter bewerten als Menschen in Westdeutschland. Nur der teure Wohnraum und die Angebote für Ältere besorgte die Befragten im Westen mehr. Allerdings zeigt sich auch: Die Ostdeutschen fühlen sich insgesamt besser als vor zehn Jahren.

Das Fazit des Bundesministers: Die große Mehrheit der Deutschen empfindet „Heimat“ als wichtig – und doch erlebt jeder diese Heimat anders. Die starken Unterschiede würden dauerhaft auch den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährden, heißt es im Ministerium. Gerade in Zeiten, wo der Populismus und Radikalität in einer Gesellschaft wachse.

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und hat in seinem Ministerium eine Abteilung mit 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufgebaut. Kern des Konzepts ist jedoch kein eigener Etat. Und auch eigene Projekte für mehr Wohnungen in Metropolen, mehr Jobs in ländlichen Regionen oder bessere Arbeitsbedingungen hat Seehofer. All diese Hebel für mehr Gerechtigkeit in Deutschland liegen nicht in seiner Verantwortung – sondern im Bereich andere Ministerien, der Landesregierungen oder der Behörden in den Kommunen.

Seehofer hat einen Plan: Er will, dass jedes Projekt der Bundesregierung überprüft wird auf Standort und der Frage, wie es gleichwertigere Lebensverhältnisse schaffen kann. Gründet also ein Ministerium eine neue Behörde, soll nicht der Ort mit der besten Lobby den Wettbewerb gewinnen. Will ein Ministerium in ein neues Institut etwa für Forschung investieren, soll das nicht nur in München, Frankfurt oder Hamburg entstehen, sondern auch in kleineren Städten. Auch Unternehmen will Seehofer dazu animieren, ihre Betriebsstätten stärker in Ostdeutschland aufzubauen.

Die Karriere von Horst Seehofer

Er ist Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat im Kabinett Merkel IV: Der CSU-Politiker Horst Seehofer kann auf eine Jahrzehnte lange politische Karriere zurückblicken. Wir zeigen Bilder des CSU-Politikers.
Er ist Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat im Kabinett Merkel IV: Der CSU-Politiker Horst Seehofer kann auf eine Jahrzehnte lange politische Karriere zurückblicken. Wir zeigen Bilder des CSU-Politikers. © Reto Klar | Reto Klar
Seehofer wurde am 4. Juli 1949 in Ingolstadt geboren. Nach der Mittleren Reife tritt er 1969 in die Junge Union ein, 1971 wird der Diplom-Verwaltungswirt Mitglied der Christlich Sozialen Union (CSU).
Seehofer wurde am 4. Juli 1949 in Ingolstadt geboren. Nach der Mittleren Reife tritt er 1969 in die Junge Union ein, 1971 wird der Diplom-Verwaltungswirt Mitglied der Christlich Sozialen Union (CSU). © picture alliance / Andreas Geber | dpa Picture-Alliance / Andreas Gebert
Am 21. April 1989 wird Seehofer zum Nachfolger des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesarbeitsministerium, Stefan Höpfinger (l.), ernannt.
Am 21. April 1989 wird Seehofer zum Nachfolger des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesarbeitsministerium, Stefan Höpfinger (l.), ernannt. © Bundesarchiv | Reineke, Engelbert
Von 1992 bis 1998 ist er Gesundheitsminister.
Von 1992 bis 1998 ist er Gesundheitsminister. © picture-alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Torsten Silz
Von 1980 bis 2008 ist er Mitglied des Deutschen Bundestag. Von 1994 bis 2008 stellvertretender Vorsitzende der CSU und von 1998 bis 2004 der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Von 1980 bis 2008 ist er Mitglied des Deutschen Bundestag. Von 1994 bis 2008 stellvertretender Vorsitzende der CSU und von 1998 bis 2004 der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. © imago/photothek | Nicole Maskus
Nach der Bundestagswahl 2005 wird Horst Seehofer in der großen Koalition Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Nach der Bundestagswahl 2005 wird Horst Seehofer in der großen Koalition Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. © Getty Images | Andreas Rentz
Das Amt bekleidet er von 2005 bis 2008.
Das Amt bekleidet er von 2005 bis 2008. © Getty Images | Miguel Villagran
Seit 2008 hat er den Parteivorsitz der CSU inne.
Seit 2008 hat er den Parteivorsitz der CSU inne. © REUTERS | REUTERS / RALPH ORLOWSKI
Im Oktober 2008 wird er vom Bayerischen Landtag zum Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern gewählt.
Im Oktober 2008 wird er vom Bayerischen Landtag zum Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern gewählt. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / Eva Chloupek
Horst Seehofer mit seiner Ehefrau Karin Seehofer (2 v.l.) und den drei gemeinsamen Kindern Andreas, Ulrike und Susanne beim Neujahrsempfang des Bayerischen Ministerpräsidenten 2018 im Kaisersaal der Münchner Residenz. Aus einer außerehelichen Beziehung hat er eine weitere Tochter, die 2007 geboren wurde.
Horst Seehofer mit seiner Ehefrau Karin Seehofer (2 v.l.) und den drei gemeinsamen Kindern Andreas, Ulrike und Susanne beim Neujahrsempfang des Bayerischen Ministerpräsidenten 2018 im Kaisersaal der Münchner Residenz. Aus einer außerehelichen Beziehung hat er eine weitere Tochter, die 2007 geboren wurde. © imago | Spöttel Picture
„Ich gehe ständig an die Grenze dessen, was man sich körperlich zumuten kann“, sagte er einmal.
„Ich gehe ständig an die Grenze dessen, was man sich körperlich zumuten kann“, sagte er einmal. © dpa | Tobias Hase
2002 erlitt er eine Herzmuskelentzündung, die ihn fast das Leben kostete. Privat habe er kaum Zeit für Freunde, Familie, Hobbys.
2002 erlitt er eine Herzmuskelentzündung, die ihn fast das Leben kostete. Privat habe er kaum Zeit für Freunde, Familie, Hobbys. © dpa | Michael Kappeler
Am 12. März 2018 präsentierten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzende Seehofer und der damalige kommissarische SPD-Vorsitzende und jetzige Finanzminister Olaf Scholz, den gemeinsam unterzeichneten Koalitionsvertrag in Berlin. Es gibt wieder eine große Koalition.
Am 12. März 2018 präsentierten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der CSU-Vorsitzende Seehofer und der damalige kommissarische SPD-Vorsitzende und jetzige Finanzminister Olaf Scholz, den gemeinsam unterzeichneten Koalitionsvertrag in Berlin. Es gibt wieder eine große Koalition. © dpa | Bernd von Jutrczenka
Für das Kabinett Merkel IV wird Seehofer am 14. März 2018 zum neuen Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat ernannt. Der Höhepunkt in seiner Karriere.
Für das Kabinett Merkel IV wird Seehofer am 14. März 2018 zum neuen Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat ernannt. Der Höhepunkt in seiner Karriere. © REUTERS | REUTERS / HANNIBAL HANSCHKE
Dieses Foto sorgt kurze Zeit später für Aufsehen. Der Heimatminister präsentiert seine Mannschaft – und es sind ausschließlich Männer zu sehen.
Dieses Foto sorgt kurze Zeit später für Aufsehen. Der Heimatminister präsentiert seine Mannschaft – und es sind ausschließlich Männer zu sehen. © picture alliance / /Bundesminist | dpa Picture-Alliance / -
Der Streit zwischen Seehofer und Merkel über den Umgang mit Flüchtlingen an der deutschen Grenze eskaliert Ende Juni. Auch bei einem Krisengespräch im Kanzleramt können die beiden die Wogen zunächst nicht glätten.
Der Streit zwischen Seehofer und Merkel über den Umgang mit Flüchtlingen an der deutschen Grenze eskaliert Ende Juni. Auch bei einem Krisengespräch im Kanzleramt können die beiden die Wogen zunächst nicht glätten. © dpa | Paul Zinken
Innenminister Seehofer bleibt in der Fragen nach Abweisungen an der Grenze hart – Merkel auch.
Innenminister Seehofer bleibt in der Fragen nach Abweisungen an der Grenze hart – Merkel auch. © dpa | Ralf Hirschberger
Doch nach einem weiteren Krisengespräch wird man sich einig. Die Union will Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze einrichten.
Doch nach einem weiteren Krisengespräch wird man sich einig. Die Union will Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze einrichten. © Reto Klar | Reto Klar
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Ziel ist es, „strukturschwache Regionen“ zu fördern

Seit Ende September hat eine „Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ ihre Arbeit aufgenommen. Seehofer ist Vorsitzender, Familienministerin Franziska Giffey (SPD) seine Stellvertreterin. In der Kommission ist nicht nur der Bund, sondern auch die Länder sowie kommunale Spitzenverbände vertreten. Konkrete Vorschläge zur Angleichung gleichwertiger Lebensverhältnisse sollen bis Mitte 2019 erarbeitet werden.

Geht es nach Seehofer, soll jedes Ministerium der Regierung diese „Heimat“-Strategie verfolgen. Das zeigt, wie sehr der Innenminister abhängig ist, dass andere Kabinettsmitglieder mitmachen. Zugleich wächst bei Kritikern die Frage, ob ein solches Projekt nur einzelne „Leuchttürme“ etwa in ländlichen Regionen produziert – am Ende gegen starke Trends von Landflucht, demografischer Wandel und Fachkräftemangel wirkungslos bleibt.

Und mit dem Ziel, „strukturschwache Regionen“ zu fördern, hat Seehofer das Rad nicht neu erfunden. Millionen-Hilfen, Sonderprogramme und Sonderwirtschaftszonen hatten auch vergangene Regierungen als Ziel. Schwarz-Gelb hatte 2009 angekündigt, „die Lebensverhältnisse in Deutschland bis 2019 bundesweit weitgehend anzugleichen“. Heute ist klar: Ein Schritt in die Richtung ist getan – das Ziel aber nicht erreicht.

Und auch bisher war das Thema auf der Agenda der Koalition. Aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung heißt es dazu, dass man sich der besonderen Verantwortung gegenüber den strukturschwachen Regionen bewusst sei. Allein im vergangenen Jahr seien beispielsweise rund 400 Millionen Euro in die neuen Bundesländer geflossen, um Forschung im Bereich Technologie zu fördern.

Kritik an bisherigen Förderprogrammen

Auch das Wirtschaftsministerium investiert im kommenden Jahr 71 Millionen Euro in die Industrieforschung, 65 Millionen Euro gehen davon nach Ostdeutschland. Und aktuell liegt der Rentenwert im Osten noch 4,2 Prozent unter dem Westniveau. Bis 2025 soll das Niveau angeglichen sein. All das zeigt: Der Fokus zumindest der Regierung auf den Osten ist nicht neu.

Und auch Regierung und Opposition sind sich einig: Ungleiche Lebenslagen sind zu bekämpfen. „Wenn der Bus nur zweimal am Tag fährt, die Schule und das letzte Jugendzentrum und die Stadtbibliothek geschlossen sind, keine Tagespflegeeinrichtung und ein nächster Hausarzt in erreichbarer Nähe sind, spüren Menschen die Einschränkung ihrer Teilhabe hautnah. Dagegen müssen wir was tun“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, unserer Redaktion.

Horst Seehofer: Seine prägendsten Zitate

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    Haßelmann warnt: Die aktuellen Förderprogramme würden häufig nicht dort ankommen, wo sie gebraucht würden. Und bis spätestens 2020 müsse die Regierung ein neues Konzept erarbeiten. Die EU hat angekündigt, Fördergeld für ländliche Räume und strukturschwache Städte kürzen zu wollen. Damit könnten deutschen Städten und Kommunen Milliarden fehlen. „Deshalb braucht es einen Neustart in der Förderpolitik“, sagt Haßelmann.

    Bessere Bahnanbindungen und Breitbandausbau

    Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, sagt unserer Redaktion, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den Städten und den Kommunen verbessern müsste, sodass Wohnraum, der auf dem Land zur Verfügung steht, besser genutzt werden könne. Beispiele für solche Investitionen sieht Landsberg in besseren Bahnanbindungen, dem Breitbandnetzausbau sowie die Verbesserung der medizinischen Versorgung auf dem Land. Entscheidend aus Sicht der Kommunen wird sein, wie stark der Bund ihnen künftig dabei hilft, die aufgebauten Schulden schnell abzubauen.

    Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte, hebt im Gespräch mit unserer Redaktion hervor, dass es unrealistisch sei, „von der Lausitz bis nach Bayern wie auch von Flensburg bis nach Stuttgart gleiche Löhne und damit auch gleiche Renten“ zu erreichen. „Es kann uns in der Politik daher nicht darum gehen, dass alles überall gleich ist. Es muss aber überall gut sein.“