Bihac/Velika Kladusa. 2015 floh eine Million Menschen über den Balkan. Seitdem blickt kaum jemand mehr dorthin. Nach drei Jahren kehrt unser Reporter zurück.

Manche erzählen, die alten Römer gaben dem Fluss seinen Namen. Una. Die Einzigartige, keine war schöner im ganzen Reich. Das klare Wasser schlängelt sich durch das Gebirge, von Kroatien bis nach Bosnien, über kleine Wasserfälle und Stromschnellen, unter Brücken, durch die Städte Martin Brod und Bihac mit Kirche und Moschee. Enzian und Edelweiß blühen an den Ufern. Die Berge sind im Sommer dicht bewachsen, eine grüne Tapete aus Eichen, Buchen und Fichten. In der Dämmerung sind die Hänge schwarz wie riesige Schatten am Himmel.

Was in diesen Tagen in den Wäldern zwischen Bosnien und Kroatien passiert – darüber gibt es zwei Erzählungen. Eine kommt von Angela Merkel. Die andere von Menschen wie Saifullah, Mitte 20, geflohen aus Afghanistan.

Flucht: Selbstgebackenes Fladenbrot und Ketchup als Proviant

Saifullah, der seinen ganzen Namen nicht nennen möchte, weil er Angst hat, die Polizei könne ihn später erkennen, hockt auf Betonboden im dritten Stock einer Ruine am Rand der Stadt Bihac. Mit einem Nudelholz rollt Saifullah Teig aus. Ein Blech hat er nicht, dafür weißlackiertes Pressholz als Unterlage. Mit dicken Ästen haben sie ein Feuer entfacht.

Ein Freund neben Saifullah wendet das Fladenbrot in der Pfanne. Die beiden bereiten Proviant für ihre Flucht vor. Brot für zehn Tage, Wasser, Decken, Kekse, eine Tube Ketchup und Akkus für ihre Handys, etwas Geld, jeder, was er hat. Manche tragen noch ihren Ausweis mit, andere nicht.

Ein Mann sitzt mit einem Handy in der Hand in einer provisorischen Hütte im Nordwesten von Bosnien und Herzegowina an der Grenze zu Kroatien.
Ein Mann sitzt mit einem Handy in der Hand in einer provisorischen Hütte im Nordwesten von Bosnien und Herzegowina an der Grenze zu Kroatien. © dpa | Danilo Balducci

Saifullah und seine Freunde sind nicht allein. Mehrere Hundert Menschen leben in dem Haus, das vor vielen Jahren ein Studentenwohnheim war und jetzt nur noch eine Gerippe aus dreckigen Mauern. Pakistaner, Afghanen, Syrer, Algerier, Iraner, fast nur junge Männer.

Matratzen liegen auf dem staubigen Boden, mit Vorhängen aus Tischdecken oder Handtüchern haben sie sich Nischen gebaut. Wenn es regnet, sammelt sich das Wasser in großen Pfützen vor den Matratzen. Zelte stehen in einer Ecke, in der anderen stinkt es nach Urin. An den Wänden klebt Ruß vom Rauch der Lagerfeuer, überall Graffiti. „Every living creature dies alone“, hat jemand auf den Beton gesprüht. Jedes Lebewesen stirbt allein.

Niemand spricht hier von Flucht, sie nennen es „Das Spiel“

Zehn Tage, dann wollen Saifullah und seine Freunde es über die Grenze von Bosnien nach Kroatien geschafft haben, das nächste Level, weiter nach Slowenien, das nächste Level. Zehn Tage – und vielleicht schon in Italien. Fast alle Menschen hier sprechen nicht mehr nur von „Flucht“. Sie sagen: „The Game“. Das Spiel. Als hätten sie dadurch ein paar Bonusleben. Jede Grenze ein neues Level. Ihr Gegner: die Polizei.

Migrants rest in a dorm destroyed during the Bosnian 1992-1995 war, in Bihac, Bosnia and Herzegovina, May 11, 2018. REUTERS/Dado Ruvic
Migrants rest in a dorm destroyed during the Bosnian 1992-1995 war, in Bihac, Bosnia and Herzegovina, May 11, 2018. REUTERS/Dado Ruvic © REUTERS | DADO RUVIC

Doch von hier, der Ruine bei der Stadt Bihac, im äußersten Westen Bosniens und nur fünf Kilometer entfernt von der kroatischen Grenze, schafft es Saifullah nicht ins nächste Level. Seit drei Monaten nicht. Viermal habe der Afghane es versucht, so erzählt er, 16 Stunden laufen sie am Tag, auch mal 18, immer durch den dichten Wald, der sie schützen soll vor der Polizei.

Sie navigieren mit den GPS-Daten, die ihnen das Handy anzeigt. Zweimal war Saifullah schon in Slowenien, zweimal in Kroatien. Immer habe ihn die Polizei erwischt. Und zurückgeschickt. So geht es vielen hier. Einen Antrag auf Asyl habe er nicht stellen können, sagt er.

Die Verzweifelten haben kaum noch Hoffnung

weltweit auf Bildschirmen, übertragen von Kamerateams. Eine Million Menschen kam aus den Lagern im Libanon, Jordanien und der Türkei über das Mittelmeer nach Griechenland und dann weiter über Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich vor allem nach Deutschland. Staaten fuhren Flüchtlinge und Migranten wie Schleuser mit Bussen zur nächsten Grenze.

Die Balkanroute war über Monate ein großer Track der Verzweifelten und Hoffenden. Dann bauten erst die Ungarn einen Zaun, später die Mazedonier und Slowenen.

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So wie in Idomeni, ein Ort zwischen Griechenland und Mazedonien. Und die Kameras verschwanden nach und nach.

Heute schaut kaum noch jemand auf den Balkan. Dabei steigt die Zahl der Flüchtlinge wieder an. Doch die Verzweifelten haben kaum noch Hoffnung.

Die Politik erzählt ihre Geschichte, die Geflüchteten eine andere

Hier, in den dichten Wäldern zwischen Kroatien und Bosnien, zeigt sich gerade, wie gut oder schlecht das Projekt „Grenzschutz“ der Europäischen Union funktioniert. Wie gut oder schlecht eine Gemeinschaft von Staaten Migration und Asyl kontrollieren kann, ohne die gemeinsamen Werte von Reisefreiheit, Handel und Humanität zu gefährden. Die Antworten? Eine Frage der Perspektive.

Fast alle Geflüchteten in Bihac sprechen nicht von „Flucht“. Sie sagen: „The Game“. Das Spiel. Als hätten sie dadurch ein paar Bonusleben. Jede Grenze ein neues Level. Ihr Gegner: die Polizei.
Fast alle Geflüchteten in Bihac sprechen nicht von „Flucht“. Sie sagen: „The Game“. Das Spiel. Als hätten sie dadurch ein paar Bonusleben. Jede Grenze ein neues Level. Ihr Gegner: die Polizei. © REUTERS | DADO RUVIC

Ende August besuchte der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic Bundeskanzlerin Merkel in Berlin. Es war einer der Termine, die im Getöse der Berliner Republik eher untergehen. Doch Merkel fand großes Lob für ihren Kollegen. Kroatien leiste „herausragende Arbeit beim EU-Außengrenzschutz“.

Die Kanzlerin wolle das „ausdrücklich würdigen“, man arbeite „eng“ und „vertrauensvoll“ zusammen. Merkel, Plenkovic und die EU erzählen ihre Geschichte – von einer Grenze auf dem Balkan, die niemand mehr unkontrolliert durchdringt. Von einer EU, die viel besser funktioniert als 2015.

Die Geflüchteten sagen, die koratische Polizei klaue ihr Geld und schlage sie

Der junge Afghane Saifullah sagt, dass kroatische Polizisten Flüchtlinge schlagen würden. Dass manche ihre Handys zerstören und ihr Geld klauen würden. Und nicht nur Saifullah sagt das, sondern fast alle hier in Bihac und in einem anderen Camp, 50 Kilometer nördlich, im Ort Velika Kladusa.

Ein junger Iraker zeigt Fotos, auf seinem Rücken und an der Schulter große rote Blutergüsse. Ein junger Pakistaner holt sein Handy raus, das Glas des Displays zersplittert. „Manchmal tauchen die Polizisten Handys auch in ein Glas Wasser, manchmal zerstören sie die Buchse für das Ladekabel“, sagt er. Ein Mann aus Libyen berichtet von einer iranischen Familie, mit der er gemeinsam die Flucht riskierte. „Als wir geschnappt wurden, klaute die Polizei der Familie ihr ganzes Geld, 800 Euro. Die Polizisten schlugen den Vater vor den Augen der Kinder“, sagt der Mann.

Kanzleramt: Vorwürfe bislang „nicht zweifelsfrei bewiesen“

Überprüfen lassen sich diese Geschichten nicht. Doch die zerstörten Handys und Fotos sind Indizien. Neven Crvenkovic vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, nimmt diese Vorwürfe „sehr ernst“. Es gebe zudem Berichte der bosnischen Polizei, in denen Flüchtlinge von Übergriffen auf kroatischer Seite berichten. Auch der Bürgermeister von Bihac und ein Arzt in Velika Kladusa bestätigen zumindest die Verletzungen.

Flüchtlingskrise: So entwickelte sich die Zahl der Asylanträge

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    Die kroatische Regierung weist die Anschuldigungen zurück. Die Grenzpolizei würde sich an das Gesetz halten und „internationale Standards“ befolgen, hieß es bisher immer. Nachfragen dieser Redaktion ließ die Regierung in Zagreb unbeantwortet. Das Bundeskanzleramt schreibt auf Anfrage, dass die Missbrauchsvorwürfe bislang „nicht zweifelsfrei bewiesen werden“ konnten.

    Gleichwohl spreche die Kanzlerin mit der kroatischen Führung über das Thema. „Nach Kenntnis der Bundesregierung ergaben alle bisher in Kroatien eingeleiteten Untersuchungen keinen Anfangsverdacht einer Straftat durch kroatische Polizisten“, schreibt das Kanzleramt.

    Balkanroute: Härte als Symbol der europäischen Asylpolitik

    Was bleibt, ist die Wirkung. So wie das umstrittene Abkommen der EU mit der Türkei und die Schließung der Balkanroute durch Staaten wie Ungarn ist auch Härte des Grenzregimes ein Symbol in der europäischen Asylpolitik geworden.

    2015 nannten viele Flüchtlinge die Kanzlerin noch „Mama Merkel“, sie hielten Plakate in die Luft mit „Merkel help us“. In der Ruine bei Bihac schimpfen sie darüber, dass Merkel die „schlagende kroatische Polizei“ finanziere. „Merkel ist haram. Big Problem“, sagt ein junger Iraker.

    Menschen wie Saifullah sagen, sie hätten Angst, irregulär die Grenze zu überqueren. Und trotzdem probieren sie es.

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    2017 registrierte Bosniens Polizei nur 755 Flüchtlinge. 2018 sind es bisher schon 13.184. In Albanien: 1049 Geflüchtete 2017, mehr als 4000 schon dieses Jahr. In Montenegro dasselbe: 2017 noch 849, jetzt 3280.

    Bosnien: Die Camps im Landesinneren sind nur halb gefüllt

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    Sie führt nicht mehr über den Norden, sondern entlang der Adria. Viele Menschen fliehen auch aus dem Iran. Mit einem Touristenvisum können sie nach Serbien reisen – und von dort weiter über Bosnien in Richtung EU. Und doch gilt auch: Die Zahlen auf der neuen Balkanroute liegen meilenweit unter denen von 2015.

    Die Träume der Flüchtlingskinder

    „Ich bin genau sieben Jahre alt. Ich komme aus Somalia. Seit fast einem Jahr lebe ich in Deutschland und es gefällt mir. Meine Schwester und ich lieben es, zu spielen und wir lieben ,Die Eiskönigin’. Ich lerne Deutsch in der Schule. Das mag ich. Mein größter Traum ist es, eines Tages ein eigenes Fahrrad zu haben. Wir haben hier in der Unterkunft Fahrräder, aber ich möchte mein eigenes. Vielleicht kann ich dann, wenn ich richtig schnell fahren, davonfliegen.“ Dieses Zitat stammt von Marianne, die mittlerweile in Berlin lebt. Sie ist Teil des Fotoprojekts „Dream Diaries“  des Uno-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR (www.unhcr.de/dream-diaries). Zwei Fotografinnen haben dafür die Träume von Flüchtlingskindern wahr werden lassen. Wir zeigen eine Auswahl dieser wunderbaren Arbeit.
    „Ich bin genau sieben Jahre alt. Ich komme aus Somalia. Seit fast einem Jahr lebe ich in Deutschland und es gefällt mir. Meine Schwester und ich lieben es, zu spielen und wir lieben ,Die Eiskönigin’. Ich lerne Deutsch in der Schule. Das mag ich. Mein größter Traum ist es, eines Tages ein eigenes Fahrrad zu haben. Wir haben hier in der Unterkunft Fahrräder, aber ich möchte mein eigenes. Vielleicht kann ich dann, wenn ich richtig schnell fahren, davonfliegen.“ Dieses Zitat stammt von Marianne, die mittlerweile in Berlin lebt. Sie ist Teil des Fotoprojekts „Dream Diaries“ des Uno-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR (www.unhcr.de/dream-diaries). Zwei Fotografinnen haben dafür die Träume von Flüchtlingskindern wahr werden lassen. Wir zeigen eine Auswahl dieser wunderbaren Arbeit. © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/Gerald Kelsall/iko/Shutterstock.com
    „Ich liebe Computerspiele. Eines meiner Lieblingsspiele heißt ,Combat Zombies’, also‚ ,Kampfzombies’. Einmal habe ich mich mit einem Freund unterhalten, ob es Zombies wirklich gibt. Er meinte, dass es Zombies wirklich gibt, aber ich habe ihm nicht geglaubt. Dann hatte ich doch ein bisschen Angst, nachts alleine zur Toilette zu gehen, denn man kann ja nie wissen. Deshalb möchte ich gerne ein Superheld werden, dann brauche ich keine Angst mehr zu haben. Ich wäre gern ein Superheld mit goldenen Armreifen, wie Wonder Woman. Ich würde die Kämpfe in Syrien beenden.“ Ayham ist acht Jahre alt und musste aus seiner Heimat Syrien fliehen. Er lebt nun in Wien (Österreich).
    „Ich liebe Computerspiele. Eines meiner Lieblingsspiele heißt ,Combat Zombies’, also‚ ,Kampfzombies’. Einmal habe ich mich mit einem Freund unterhalten, ob es Zombies wirklich gibt. Er meinte, dass es Zombies wirklich gibt, aber ich habe ihm nicht geglaubt. Dann hatte ich doch ein bisschen Angst, nachts alleine zur Toilette zu gehen, denn man kann ja nie wissen. Deshalb möchte ich gerne ein Superheld werden, dann brauche ich keine Angst mehr zu haben. Ich wäre gern ein Superheld mit goldenen Armreifen, wie Wonder Woman. Ich würde die Kämpfe in Syrien beenden.“ Ayham ist acht Jahre alt und musste aus seiner Heimat Syrien fliehen. Er lebt nun in Wien (Österreich). © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/Image Source Trading Ltd /Shutterstock.com
    Zwei niederländische Fotografinnen haben für das Uno-Flüchtlingshilfswerk Flüchtlingskinder in ganz Europa porträtiert und ihre Träume und Wünsche visualisiert. Debra Barraud (r.) fotografierte die Kinder, Annegien Schilling erstellte am Computer die Kinderträume in surreale Kunstwerke.
    Zwei niederländische Fotografinnen haben für das Uno-Flüchtlingshilfswerk Flüchtlingskinder in ganz Europa porträtiert und ihre Träume und Wünsche visualisiert. Debra Barraud (r.) fotografierte die Kinder, Annegien Schilling erstellte am Computer die Kinderträume in surreale Kunstwerke. © © UNHCR/Humans of Amsterdam
    Auch die 14-jährige alte Manaal ist Teil des Projektes: „Ich bin erst einmal in einem Flugzeug geflogen und das war, als wir aus Somalia hierher kamen. Im Flugzeug habe ich die ganze Zeit Schmetterlinge in meinem Bauch gespürt. Als wir am Flughafen ankamen, habe ich endlich meinen Papa wiedergesehen. Ich habe ihn sehr, sehr lange nicht gesehen, deshalb bin ich zu ihm gelaufen und habe ihn umarmt – so fest ich nur konnte. Vor einiger Zeit habe ich einen Film über eine Stewardess gesehen und sie hat so hübsch ausgesehen und war so clever, dass ich beschlossen habe, später auch Stewardess zu werden. Ich möchte reisen, Paris sehen und Schmetterlinge in meinem Bauch spüren.“ Manaals neue Heimat ist Amsterdam in den Niederlanden.
    Auch die 14-jährige alte Manaal ist Teil des Projektes: „Ich bin erst einmal in einem Flugzeug geflogen und das war, als wir aus Somalia hierher kamen. Im Flugzeug habe ich die ganze Zeit Schmetterlinge in meinem Bauch gespürt. Als wir am Flughafen ankamen, habe ich endlich meinen Papa wiedergesehen. Ich habe ihn sehr, sehr lange nicht gesehen, deshalb bin ich zu ihm gelaufen und habe ihn umarmt – so fest ich nur konnte. Vor einiger Zeit habe ich einen Film über eine Stewardess gesehen und sie hat so hübsch ausgesehen und war so clever, dass ich beschlossen habe, später auch Stewardess zu werden. Ich möchte reisen, Paris sehen und Schmetterlinge in meinem Bauch spüren.“ Manaals neue Heimat ist Amsterdam in den Niederlanden. © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/popcatter/Shutterstock.com
    Shoaib lebt heute in Berlin. Der Krieg zwang ihn, seine Heimat Afghanistan zu verlassen. „Ich denke schon an Fußball, wenn ich morgens aufwache. Auch wenn ich abends ins Bett gehe, denke ich an Fußball. Ich habe Fußball in Afghanistan gespielt und spiele jetzt in Deutschland. Viele Sachen haben sich in meinem Leben verändert – aber Fußballspielen ist gleich geblieben. Meistens spiele ich mit meinem Onkel und meinem Bruder. Sie passen nie den Ball, wenn sie spielen. Sie möchten diejenigen sein, die die Tore schießen. Deswegen möchte ich nicht mit ihnen in einem Team sein. Für mich ist es egal, wer das Tor schießt. Sobald einer aus dem Team das Tor macht, punktet das gesamte Team und das gesamte Team gewinnt.“
    Shoaib lebt heute in Berlin. Der Krieg zwang ihn, seine Heimat Afghanistan zu verlassen. „Ich denke schon an Fußball, wenn ich morgens aufwache. Auch wenn ich abends ins Bett gehe, denke ich an Fußball. Ich habe Fußball in Afghanistan gespielt und spiele jetzt in Deutschland. Viele Sachen haben sich in meinem Leben verändert – aber Fußballspielen ist gleich geblieben. Meistens spiele ich mit meinem Onkel und meinem Bruder. Sie passen nie den Ball, wenn sie spielen. Sie möchten diejenigen sein, die die Tore schießen. Deswegen möchte ich nicht mit ihnen in einem Team sein. Für mich ist es egal, wer das Tor schießt. Sobald einer aus dem Team das Tor macht, punktet das gesamte Team und das gesamte Team gewinnt.“ © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/Bernatskaya Oxana/Shutterstock.com
    Sie sei ein sehr starkes Mädchen (7), stark wie ein Löwe. Diese Worte stammen von Hannahs Onkel. Das Mädchen flüchtete mit ihrer Großmutter und ihrem Onkel aus Syrien nach Deutschland. Sie leben in Berlin. Hannah vermisst ihren Zwillingsbruder und ihre Eltern, die weiterhin in Syrien leben.
    Sie sei ein sehr starkes Mädchen (7), stark wie ein Löwe. Diese Worte stammen von Hannahs Onkel. Das Mädchen flüchtete mit ihrer Großmutter und ihrem Onkel aus Syrien nach Deutschland. Sie leben in Berlin. Hannah vermisst ihren Zwillingsbruder und ihre Eltern, die weiterhin in Syrien leben. © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/Maggy Meyer/Shutterstock.com
    Amr (15) musste seine Heimatland Syrien mit einem Schlauchboot verlassen und lebt mittlerweile in Wien. Er träumt von einer Welt ohne Krieg. Eines Tages will er Journalist werden, damit „ die Menschen die Wahrheit erfahren. Journalisten haben die Macht dazu“.
    Amr (15) musste seine Heimatland Syrien mit einem Schlauchboot verlassen und lebt mittlerweile in Wien. Er träumt von einer Welt ohne Krieg. Eines Tages will er Journalist werden, damit „ die Menschen die Wahrheit erfahren. Journalisten haben die Macht dazu“. © ©Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/petoei/andrea crisante/andrewvect/kasha_malasha/Shutterstock.com
    Shana ist acht Jahre alt. Auch sie kommt aus Syrien und lebt nun in Österreichs Hauptstadt. Mit der Unterstützung des UNHCR fand ihre Familie wieder zueinander. Shana glaubt an Märchen und träumt davon, als Prinzessin in einer Burg zu leben.
    Shana ist acht Jahre alt. Auch sie kommt aus Syrien und lebt nun in Österreichs Hauptstadt. Mit der Unterstützung des UNHCR fand ihre Familie wieder zueinander. Shana glaubt an Märchen und träumt davon, als Prinzessin in einer Burg zu leben. © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/Juhku/Shutterstock.com
    Die fünfjährige Avien und ihre achtjährige Schwester Farida sind aus Syrien geflohen und haben in Berlin Zuflucht gefunden. Sie lieben es, ihre Geheimnisse miteinander zu teilen, im Park zu spielen und Schmetterlinge zu jagen.
    Die fünfjährige Avien und ihre achtjährige Schwester Farida sind aus Syrien geflohen und haben in Berlin Zuflucht gefunden. Sie lieben es, ihre Geheimnisse miteinander zu teilen, im Park zu spielen und Schmetterlinge zu jagen. © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/Dimedrol68/Shutterstock.com
    Khalid ist 20 Jahre alt und 2009 aus Somalia nach Wien (Österreich) gekommen. Seit seiner Ankunft lernt er fleißig die deutsche Sprache und geht zur Abendschule, um eines Tages studieren zu können. Er träumt davon, eines Tages einen „Job mit Sinn“ zu haben. „Während des Fastenmonats Ramadan bin ich freiwillig in Kinder- und Altersheime gegangen, um mit den Menschen dort zu reden und zu spielen. So habe ich hautnah erlebt, was es heißt, anderen zu helfen. Ich wünsche mir, dass die Menschen besser miteinander auskommen, sich gegenseitig zuhören und verschiedene Meinungen wertschätzen.“ Als Kind hatte er nie die Möglichkeit gehabt, seinen Geburtstag zu feiern. Er träumt von einer Mottoparty bei der sich seine Freunde als Harry Potter oder Batman verkleiden. Seine Schwester sagt immer zu ihm: „Du bist die Tinte und das Leben ist ein Buch. Du kannst deine eigene Geschichte schreiben.“
    Khalid ist 20 Jahre alt und 2009 aus Somalia nach Wien (Österreich) gekommen. Seit seiner Ankunft lernt er fleißig die deutsche Sprache und geht zur Abendschule, um eines Tages studieren zu können. Er träumt davon, eines Tages einen „Job mit Sinn“ zu haben. „Während des Fastenmonats Ramadan bin ich freiwillig in Kinder- und Altersheime gegangen, um mit den Menschen dort zu reden und zu spielen. So habe ich hautnah erlebt, was es heißt, anderen zu helfen. Ich wünsche mir, dass die Menschen besser miteinander auskommen, sich gegenseitig zuhören und verschiedene Meinungen wertschätzen.“ Als Kind hatte er nie die Möglichkeit gehabt, seinen Geburtstag zu feiern. Er träumt von einer Mottoparty bei der sich seine Freunde als Harry Potter oder Batman verkleiden. Seine Schwester sagt immer zu ihm: „Du bist die Tinte und das Leben ist ein Buch. Du kannst deine eigene Geschichte schreiben.“ © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerrs/UNHCR/kzww/Shutterstock.com
    Ghazels Traum ist es, dass jeder Mensch Flügel hat, um fliegen zu können, den Mond zu umarmen und den Himmel zu berühren. Die zehn Jahre alte Ghazel aus Syrien lebt in Lausanne in der Schweiz.
    Ghazels Traum ist es, dass jeder Mensch Flügel hat, um fliegen zu können, den Mond zu umarmen und den Himmel zu berühren. Die zehn Jahre alte Ghazel aus Syrien lebt in Lausanne in der Schweiz. © © Humans of Amsterdam/Fetching_Tigerss/UNHCR/Claudio Divizia/Shuttershock.com
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    Von den mehr als 13.000 Flüchtlingen, die bei den bosnischen Beamten an der Grenze Asyl anmeldeten, stellte nur jeder Zehnte in den Tagen danach einen Antrag. Fast keiner will hier bleiben, sondern weiter. Die Camps im Land sind nur halb gefüllt. Die Lager in Bihac und Velika Kladusa überfüllt. Und Menschen wie Suhret Fazlic sagen, dass sie sich allein gelassen fühlen.

    Fazlic ist Bürgermeister von Bihac, verantwortlich für 60.000 Einwohner. Er lädt zum Gespräch in sein Büro im Stadtzentrum. Im April hätten 20 Geflüchtete vor der Moschee gezeltet, sagt Fazlic. „So fing es an.“ Dann wurden es Tag für Tag mehr. In Bihac passierte das, was Europa immer wieder in der Flüchtlingskrise erlebt. Eine neue Route entsteht – und damit eine Dynamik, die eine Regierung, ein Land allein nicht kontrollieren kann. Oder will.

    Europas Grenzorte spüren die Regierungsentscheidungen am stärksten

    UNHCR-Sprecher Neven Crvenković koordiniert die Hilfsarbeit für die Flüchtlinge auf dem Balkan.
    UNHCR-Sprecher Neven Crvenković koordiniert die Hilfsarbeit für die Flüchtlinge auf dem Balkan. © Christian Unger | Christian Unger

    Lange passierte auch in Bihac nichts. Die Menschen aus Pakistan, Syrien und Afghanistan schliefen auf Feldern, in der Fußgängerpassage, vor allem um die Ruine bauten sie ihr Lager auf. Fazlic sagt, er bekomme von der Regierung in der Hauptstadt Sarajevo keine Hilfe. Er hat zwei Nachteile: Zum einen gehört Fazlic nicht zur Regierungspartei. Zum anderen läuft der Wahlkampf für das Parlament – und Hilfe für Flüchtlinge sei kein Gewinnerthema, heißt es. Eher Härte. Einzelne Anwohner oder Geschäfte würden von Diebstahl berichten, sagt Fazlic. Manchmal waschen Flüchtlinge ihre Kleidung in der Una, ein paar Mal kam es zu Schlägereien. „Doch angesichts der Ausnahmesituation und der Anspannung ist es friedlich“, sagt der Bürgermeister.

    Einmal seien sogar ein paar Hundert Flüchtlinge aus der Ruine ins Stadion gekommen und hätten die lokale Fußballtruppe angefeuert. Europas Grenzorte wie Bihac, Idomeni oder Calais spüren die Entscheidungen der Regierungen in den Hauptstädten als erstes. Und am stärksten.

    Bürgermeister Fazlic protestierte gegen „Nichtstun der Politik“

    Bihac kennt Krieg und Flucht. Die Osmanen lieferten sich hier Schlachten mit den Habsburgern. 1941 marschierte die Wehrmacht in die Stadt ein. In den Balkankriegen war das bosnische Bihac von serbischen Truppen umzingelt. Heute herrscht Frieden in dem Land – und die Flüchtlinge sind trotzdem da.

    Wie es weitergehe, wisse auch Bürgermeister Fazlic nicht. Vor einigen Wochen fuhr er gemeinsam mit vier anderen Bürgermeistern aus der Region in die Hauptstadt. Vor dem Sitz der Regierung protestierten sie, gaben Interviews, beklagten „Nichtstun der Politik“. Geholfen habe das nicht, sagt Fazlic. Bisher.

    Ein leerstehendes Hotel als Unterkunft für Familien, Ältere und Verletzte

    Hilfsorganisationen wie Danish Refugee Council und UNHCR haben mit Geld der EU ein leerstehendes Hotel als Unterkunft für Familien und Kinder, aber auch Verletzte und Ältere eingerichtet. Zumindest die Schwachen sollen besser geschützt sein.

    Bedingung: Die Familien müssen in Bosnien Asyl beantragen. Nicht unwahrscheinlich, dass sie nach kurzer Zeit dennoch alleine oder mit Hilfe von Schleusern aus dem Hotel in Richtung Grenze verschwinden.

    Ejaz will übermorgen los. Der Mann aus Pakistan ist 40 Jahre alt. Er steht vor der Ruine bei Bihac. Vor vier Monaten habe Ejaz seine Familie in der Heimat verlassen müssen, seine Frau, die zwei Söhne, die Tochter. Er berichtet von einer Fehde, sein Onkel und dessen Sohn seien ermordet worden.

    Das „Spiel“ in den Wäldern kann tödlich enden

    Zum vierten Mal wird Ejaz die Flucht versuchen. Zum vierten Mal spielt er das „Game“, um das nächste Level zu erreichen. Jetzt wartet Ejaz vor einer Wand mit Steckdosen auf Strom, um sein Handy aufzuladen. „Seit vier Tagen funktioniert die Elektrizität nicht“, sagt er.

    Neben Ejaz geben Helfer Essen aus, Sanitäter vom Roten Kreuz säubern eiternde Wunden oder verteilen Aspirin. An der Wand bei den Waschcontainern hängt eine Karte. Sie zeigt die Berge, den Fluss Una, die Straßen und Brücken.

    Auf der Karte sind die Wälder um Bihac grün eingezeichnet, gesprenkelt mit roten Punkten. Dort, so warnt die Karte Menschen wie den Afghanen Saifullah und den Pakistaner Ejaz, liegen noch Minen aus dem Balkankrieg. Dort kann das „Spiel“ tödlich enden.