Berlin. Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen steht mächtig in der Kritik. Es geht um ein Video. Redet Maaßen sich selbst ins Abseits?

Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz , hat sich in die Debatte um Hetzjagden in Chemnitz eingeschaltet – und eine heftige politische Debatte entfacht. Inzwischen gibt es Forderungen, ihn zu entlassen. Redet Maaßen sich selbst gleichsam aus dem Amt?

Was war der Auslöser?

Maaßen hatte Zweifel an den Behauptungen geäußert, dass Ausländer während der rechtsgerichteten Demonstrationen in Chemnitz durch die Straßen gehetzt worden seien.

„Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in

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werden von mir geteilt", sagte er zu „Bild" (Bezahlinhalt). Seiner Behörde lägen „keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben".

Maaßen zweifelt an Echtheit von Video

Darüber hinaus zweifelte Maaßen die Echtheit eines Videos an, das Jagdszenen auf Ausländer nahe des Chemnitzer Johannisplatzes zeigen soll: „Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist. Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken."

• Der Bundesamt für Verfassungsschutz legte am Freitag mit einer Mitteilung nach. Darin heißt es, in Chemnitz habe es „eine hohe Emotionalisierung und schnelle Mobilisierung“ gegeben, die sich auch Rechtsextremisten zu Eigen gemacht hätten. Die sozialen Medien hätten „für die Mobilisierung und die individuelle Meinungsbildung eine große Rolle“ gespielt. Und weiter: „Gerade dort finden sich aber immer wieder Fake-News und Versuche der Desinformation.“

Der Bundesverfassungsschutz prüfe „alle zugänglichen Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, um zu einer belastbaren Einschätzung der Ereignisse zu kommen. Die Prüfung insbesondere hinsichtlich möglicher ,Hetzjagden’ von Rechtsextremisten gegen Migranten wird weiter andauern“.

• Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, sagt: „Herr Maaßen sollte die Verfassung schützen, und sie nicht gefährden. Für seine Behauptung, das Video aus Chemnitz sei gefälscht, muss er dringend Beweise vorlegen“, so Göring Eckardt am Freitag. „Mit seiner wilden Spekulation hat er sich schon jetzt für sein Amt selbst disqualifiziert.“

• Linken-Chefin Katja Kipping forderte die Entlassung von Maaßen. „Anstatt die Verfassung zu verteidigen, gibt Maaßen den AfD-Versteher und missbraucht die Autorität seines Amtes, um jenen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten und zum Töten von Menschen aufriefen.“

• SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles berichtete nach einer Fraktionsklausur von einem Abgeordneten, der Augenzeuge von Hetzjagden geworden sei. „Es gibt darüber Videos. Es gibt Anzeigen. Es gibt seit dem 26. August 120 Ermittlungsverfahren“, sagte sie. Vor diesem Hintergrund seien Maaßens Äußerungen nicht nachvollziehbar. Er müsse jetzt Beweise vorlegen.

• Unions-Fraktionschef Volker Kauder forderte von Maaßen Aufklärung im Innenausschuss des Bundestages. Darauf lege er „größten Wert“, da die Parlamentarier noch keine Gelegenheit gehabt hätten, mit Maaßen zu sprechen. Sowohl Kauder als auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnten aber vor Vorverurteilungen.

• Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach Maaßen am Freitag sein volles Vertrauen aus. Er stehe im ständigen Austausch mit den Sicherheitsbehörden, sagte er auch mit Blick auf die Vorfälle in Chemnitz. „Ich habe keinen anderen Informationsstand vom Bundesverfassungsschutz, als den, den sie heute veröffentlicht gesehen haben“, so Seehofer.

In andere Richtung werden Maaßens Äußerungen von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland gedreht: Maaßen habe „klargestellt“, „dass es anders als von der Bundesregierung behauptet keine Beweise für Hetzjagden auf Ausländer in Chemnitz gibt“, sagte Gauland am Freitag in Berlin.

Maaßen hat sich mit seinen Äußerungen auf dünnes Eis begeben. Er spricht laut „Bild“ von Mord, obwohl der Haftbefehl wegen gemeinschaftlichen Totschlags erlassen worden war. Zum anderen nennt er keine Belege für seine (steile) These vom Fake-Video. Unter anderem die Tagesschau kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dem offenbar von Maaßen angesprochenen Video keinesfalls um eine Fälschung handelt.

Maaßen sprach mit „Bild“, aber nicht mit der Kanzlerin

Das Interview mit „Bild“ führte Maaßen offenbar, ohne vorher mit der Regierung über die Vorfälle in Chemnitz gesprochen zu haben. „Es hat dazu kein Gespräch der Bundeskanzlerin mit Herrn Maaßen in den letzten Tagen gegeben“, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit.

Eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums erklärte, im Ministerium lägen dazu bislang keine entsprechenden Berichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz vor. Die Auswertung des übermittelten Videomaterials durch Ermittler der sächsischen Polizei sei noch nicht abgeschlossen.

Maaßen war bereits vor einigen Wochen bei linksliberalen Politikern in die Kritik geraten, nachdem bekannt geworden war, dass er sich mit den AfD-Chefs Frauke Petry und Alexander Gauland getroffen hatte.

Von „Hetzjagd“ hatte im Bezug auf die Vorkommnisse in Chemnitz unter anderem Angela Merkel (CDU) gesprochen.

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widersprach der Kanzlerin am Mittwoch in einer Regierungserklärung im Landtag: „Klar ist: Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome.“ (dpa/rtr)

Lesen Sie hier: Hans-Georg Maaßen macht Markus Lanz fassungslos.

Das „Wir sind mehr“-Konzert in Chemnitz

In Chemnitz spielen am Montag Bands unter dem Motto „#wirsindmehr“ gegen Rechts. Mit dabei: Marteria, Kraftklub und die Toten Hosen. Als Erstes betrat der in Chemnitz geborene Dancehall-Sänger Trettmann die Bühne.
In Chemnitz spielen am Montag Bands unter dem Motto „#wirsindmehr“ gegen Rechts. Mit dabei: Marteria, Kraftklub und die Toten Hosen. Als Erstes betrat der in Chemnitz geborene Dancehall-Sänger Trettmann die Bühne. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Die Bands wollen damit ein Zeichen gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt setzen.
Die Bands wollen damit ein Zeichen gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt setzen. © dpa | Sebastian Willnow
„Toleranz ist supi cool!“: Konzertbesucher machen mit Schildern ihre Haltung klar. Die Stadtverwaltung teilte mit, dass bis zum frühen Abend rund 50.000 Besucher gekommen waren
„Toleranz ist supi cool!“: Konzertbesucher machen mit Schildern ihre Haltung klar. Die Stadtverwaltung teilte mit, dass bis zum frühen Abend rund 50.000 Besucher gekommen waren © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Herz und Hirn statt Hetze: Auch das war eine der Forderung der Besucher.
Herz und Hirn statt Hetze: Auch das war eine der Forderung der Besucher. © dpa | Julian Stratenschulte
Über Facebook hatten sich sogar weit mehr als 30.000 Besucher für die Veranstaltung angekündigt. Wegen des erwarteten Andrangs musste das Konzert auf einen größeren Platz verlegt werden.
Über Facebook hatten sich sogar weit mehr als 30.000 Besucher für die Veranstaltung angekündigt. Wegen des erwarteten Andrangs musste das Konzert auf einen größeren Platz verlegt werden. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Vor dem ersten Musik-Act wurde eine Schweigeminute für den auf einem Chemnitzer Stadtfest getöeteten Daniel H. abgehalten.
Vor dem ersten Musik-Act wurde eine Schweigeminute für den auf einem Chemnitzer Stadtfest getöeteten Daniel H. abgehalten. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Tausende Konzert-Besucher skandierten „Nazis raus!“, bevor die Bands loslegten.
Tausende Konzert-Besucher skandierten „Nazis raus!“, bevor die Bands loslegten. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Der Rapper Trettmann durfte in seiner Heimatstadt als Erster auf die Bühne.
Der Rapper Trettmann durfte in seiner Heimatstadt als Erster auf die Bühne. © dpa | Sebastian Willnow
Nicht nur mit Sprechchören, sondern auch mit Bannern und ihre Kleidung wollten viele Besucher Zeichen gegen Nazis setzen.
Nicht nur mit Sprechchören, sondern auch mit Bannern und ihre Kleidung wollten viele Besucher Zeichen gegen Nazis setzen. © Getty Images | Matthias Rietschel
Laut Stadtverwaltung waren am frühen Abend rund 50.000 Besucher zu dem Konzert gekommen.
Laut Stadtverwaltung waren am frühen Abend rund 50.000 Besucher zu dem Konzert gekommen. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Jan „Monchi“ Gorkow beim Auftritt von Feine Sahne Fischfilet.
Jan „Monchi“ Gorkow beim Auftritt von Feine Sahne Fischfilet. © dpa | Sebastian Kahnert
Tarek (links) von K.I.Z. beim Auftritt der Berliner Rap-Kombo.
Tarek (links) von K.I.Z. beim Auftritt der Berliner Rap-Kombo. © dpa | Sebastian Kahnert
Einige Zuschauer mussten ihre Kletterkünste unter Beweis stellen, um einen freien Blick auf die Bühne zu bekommen.
Einige Zuschauer mussten ihre Kletterkünste unter Beweis stellen, um einen freien Blick auf die Bühne zu bekommen. © REUTERS | HANNIBAL HANSCHKE
Maxim und der Rest von K.I.Z. setzen sich bei „Wir sind mehr“ nicht zum ersten Mal gegen Nazis ein.
Maxim und der Rest von K.I.Z. setzen sich bei „Wir sind mehr“ nicht zum ersten Mal gegen Nazis ein. © dpa | Sebastian Kahnert
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