Berlin. Die Armee versucht, Islamisten und Rechtsradikale schon vor ihrer Einstellung aufzuspüren. Es gab 15.000 Überprüfungen seit Juli 2017.

Sie kamen zu zweit. Fast fünf Stunden lang nahmen sie Frank K*. in die Mangel. Eine verhängnisvolle Begegnung, die der Soldat und vermutlich auch die zwei Mitarbeiter des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gern ungeschehen machen würden. K. ist einer von 300 Verdachtsfällen von Islamisten in der Truppe seit 2011 – einer von 200, die sich als haltlos erwiesen. Ein besonders tragischer Fall.

Damals, im September 2012, scheinen die Indizien eindeutig und ernst zu sein. Sein Auto sollte vor einem „Islamistentreff“ gesehen worden sein, seine Handydaten ließen auf Kontakte zu islamistischen Kreisen in Nordafrika schließen. Ein Salafist, ein Dschihadist?

Seit dem Fall Franco A. 2017 wird rigoroser durchgegriffen

Seit 2011 hat sich ein islamistischer Verdacht bei 24 Soldaten bestätigt. 17 Betroffene wurden vorzeitig entlassen, sieben schieden ohnehin aus der Truppe aus. In 76 Fällen konnte er nicht ausgeräumt werden, solang die Verdächtigten in der Armee waren. Aus den Augen, aber nicht aus dem Radar: Ihre Akten wandern zum Verfassungsschutz.

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    Die Zahlen des Verteidigungsministeriums belegen: Der Islamismus hat die Truppe erreicht, ihr Frühwarnsystem schlägt an, nicht nur bei Islamisten. 2011 ist ein Referenzpunkt, weil damals die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Seither „ist die Anzahl der durch den MAD bearbeiteten rechtsextremistischen Verdachtsfälle deutlich zurückgegangen“, berichtet MAD-Vizepräsident, Flotillen­admiral Michael Kulla, „noch deutlicher sank die Anzahl der erkannten Rechtsextremisten in der Bundeswehr.“

    Es gibt jedes Jahr 300 Verdachtsfälle. Vor 2011 waren es doppelt so viele. Im Schnitt werden vier Verdachtsfälle bestätigt. Seit 2010 wurden insgesamt 89 Angehörige der Bundeswehr als Rechtsextremisten bewertet, 67 vor 2011. Die meisten wurden entlassen, in drei Fällen laufen zivilrechtliche wie truppendienstgerichtliche Verfahren.

    Uwe Mundlos wurde bei der Bundeswehr befördert

    Seit dem 1. Juli 2017 werden erstmals Sicherheitsüberprüfungen für alle Bewerber – nicht nur für Rekruten – durchgeführt. Eine „Firewall“, die seither mehr als 15.000 Mal hochgezogen wurde. „Sie richtet sich nicht nur gegen potenzielle Innentäter in der Bundeswehr, sondern soll verhindern, dass Extremisten jedweder Form einen in der Bundeswehr erlernten Umgang mit Kriegswaffen für ihre Zwecke missbrauchen“, so Kulla.

    Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages.
    Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. © imago/Metodi Popow | M. Popow

    Auch der Wehrbeauftragte begrüßt die Checks. „Prinzipiell ist das gut, es erleichtert einiges bei der Bundeswehr“, glaubt Hans-Peter Bartels (SPD). Wichtig sei, dass die Prüfungen schnell abgeschlossen werden. Erhärtet sich ein Verdacht, werden die Soldaten vorzeitig aus dem Dienst entlassen: „Wir trennen uns von diesen Leuten“, so ein Ministeriumssprecher.

    Die Rigorosität ist nicht zuletzt eine Lehre aus Fehlern: Uwe Mundlos, späterer Killer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“, wurde in der Truppe befördert, obwohl er wegen seiner rechtsextremen Gesinnung aufgefallen war. Und: Es war nicht der MAD, sondern österreichische Behörden, die 2017 dem rechtsextremen Offizier Franco A. auf die Spur kamen. Er wird verdächtigt, einen Anschlag geplant zu haben.

    Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main will in Kürze entscheiden, ob ein Prozess eröffnet wird. Ein komplexes, aufwändiges Verfahren, 71 Aktenordner umfasst die Anklage des Generalbundesanwalts. „Gut, dass man Alarm gemacht und alle Steine umgedreht hat“, meint Bartels.

    Die Welt der Militärs ist anfällig für Rechtsextreme

    Wie in der Ziviljustiz gilt auch bei den Streitkräften die Unschuldsvermutung. Als Sofortreaktion wird dem Verdächtigen der Zugang zu Waffen versperrt, oft der Sold gekürzt, Franco A. darf keine Uniform tragen.

    Als die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, befürchteten viele, dass vermehrt waffenaffine Extremisten bei der Truppe unterkommen, gerade Rechte. Die Statistik legt das Gegenteil nahe: Die Bewerberauswahl ist strenger. Das ändert nichts daran, dass die Welt der Militärs anfällig für Rechtsextreme ist. Es ist kaum ein Zufall, dass es seit 2011 jährlich bloß vier Verdachtsfälle von Linksextremismus gab; nur ein einziger wurde überführt, ein Mann der „roten Flora“ in Hamburg.

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      Mit Extremisten müsse die Bundeswehr immer rechnen, „sonst bräuchte man keinen MAD“, sagt Bartels. In den Verbänden werde sensibel darauf geachtet, „seit 2017 vielleicht noch genauer“. Die Bundeswehr wolle keine Nazis in ihren Reihen. „Wenn man sie von vornherein rausfischen kann, umso besser.“ Die Bundeswehr schaue genauer hin als viele andere staatliche Organisationen, „sie ist ja auch ein sensibler Bereich“.

      Zu Unrecht verdächtigter Soldat leidet

      Darüber wacht der MAD, mit rund 1000 Mitarbeitern der kleinste, unbekannteste Geheimdienst. Er ist Spionageabwehr und Verfassungsschutz für Uniformträger in einem und wickelt vor allem die Sicherheitsüberprüfungen ab.

      Der MAD mag laut Insidern einen guten Job machen – im Fall von Frank K. allerdings mit tragischen Folgen. Nach der Befragung lebt er unter ständiger Anspannung, von Kameraden wird er geschnitten. Es dauert Monate, bis seine Unschuld feststeht, weitere Monate, bis der MAD eine Verwechslung einräumt.

      Sein Fall beschäftigt auf Betreiben der Linken-Abgeordneten Christine Buchholz Regierung und Bundestag, bis hin zum parlamentarischen Kontrollgremium. 18 Monate war der Soldat krank, Burn-out, Depressionen. Die „Sache“ verfolge ihn bis heute, sagt er. Bislang kämpft er vergeblich um eine Entschädigung.

      Der Wehrbeauftragte setzt sich für ihn ein, „das Personalmanagement der Bundeswehr sollte seinen Fall und seine Ansprüche noch einmal überprüfen.“ Buchholz zieht ein bitteres Fazit: „Wenn es hart auf hart kommt, ist ein Soldat oder eine Soldatin in der Bundeswehr allein auf sich gestellt.“

      *Name der Redaktion bekannt