Berlin. Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller fordert von der neuen Bundesregierung Fortschritte beim Verbraucherschutz.

Mit Blick auf die im

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versprochenen Vorhaben der Bundesregierung sei das Glas eindeutig halb voll, sagt der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller. Dennoch: Es bleibt einiges zu tun. Wir haben ihn zum Weltverbrauchertag gefragt, was genau er sich von der neuen schwarz-roten Koalition erhofft.

Der Weltverbrauchertag fällt in diesem Jahr auf den ersten Arbeitstag der neuen Bundesregierung. Was möchten Sie Frau Merkel mit auf den Weg geben?

Müller: Für uns steht die Musterfeststellungsklage ganz oben auf der Prioritätenliste. Eine Art „Sammelklage“, mit der die Verbraucher leichter Recht bekommen können. Die Musterfeststellungsklage würde uns Verbraucherzentralen und den Bundesverband sowie andere anerkannte Verbraucherverbände in die Lage versetzen, stellvertretend für viele Verbraucher Klagen einzureichen.

Interessanterweise steht im Koalitionsvertrag, dass das Gesetz dazu schon zum 1. November in Kraft treten soll. Das bedeutet für die neue SPD-Justizministerin Katarina Barley, dass sie in den nächsten Tagen den Gesetzentwurf auf den Weg bringen muss.

Sind Sie da zuversichtlich?

Müller: Glauben Sie mir, wir haben in den letzten Tagen dafür bereits geworben. (lacht)

Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands.
Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. © Gert Baumbach | Gert Baumbach

Wird die Klage durch den Umweg über den Verbraucherverband für den Verbraucher nicht umständlicher?

Müller:Wenn es bei einem Streit um Summen von 50, 200 oder auch 500 Euro geht, lohnt sich der Weg vor Gericht für die allermeisten Menschen nicht und sie lassen das Klagen sein. Wenn aber mehrere hundert oder mehrere tausend Verbraucher betroffen sind, entsteht trotz kleinerer Summen für die Einzelnen insgesamt ein immenser volkswirtschaftlicher Schaden.

Außerdem führen die Verjährungsfristen oft dazu, dass Verbraucher, die im Recht sind, ihren Anspruch nicht geltend machen können. Mit der Musterfeststellungsklage wollen wir auch erreichen, dass diese Fristen ausgesetzt werden, sobald es eine Klage gibt.

Haben Sie außerdem ein Thema im Auge, das die Verbraucherzentrale in den nächsten Monaten besonders beschäftigen wird?

Müller:Es gibt nicht das eine Thema. Aber ich glaube, Verbraucher haben vor allem drei Bedürfnisse, die sie in verschiedenen Märkten artikulieren und auf die wir achten sollten. Erstens sollte niemand der Zahlmeister sein für Produkte und Dienstleistungen, aber auch nicht für Entscheidungen der Politik, die Verbrauchern nicht helfen oder die sie nicht haben wollen. Zweitens muss die Politik dafür sorgen, dass das Verbraucherleben einfacher wird. Und drittens wollen Verbraucher frei und selbstbestimmt entscheiden können.

Es geht darum, dass Menschen Rechte haben und auch zu ihrem Recht kommen. Das ist in Deutschland ausgesprochen kompliziert, auch im Vergleich mit anderen Ländern.

Wo wir wieder bei der Musterfeststellungsklage wären.

Müller:Genau, sie ist ein Beitrag, um das Verbraucherleben zu erleichtern.

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    Diese könnte auch verhindern, dass Ansprüche von getäuschten Diesel-Käufern verjähren.

    Müller:Das hoffen wir, es kommt aber auf die Ausgestaltung des Gesetzes an. Ich denke, dass der Diesel-Skandal für sehr viele Menschen – Autofahrer wie auch Menschen, die unter schlechter Luftqualität leiden – ein ganz entscheidendes Thema bleiben wird.

    Wenn ich außerdem noch ein Thema nennen müsste, auf das es demnächst besonders ankommt, wäre es die private Altersvorsorge. Vieles war mit der Riester-Rente gut gemeint, aber zu schlecht gemacht und für Verbraucher wenig attraktiv. In Skandinavien, aber auch in Großbritannien und in den Niederlanden ist die private Altersvorsorge viel verbraucherfreundlicher geregelt.

    Kann Deutschland beim Verbraucherschutz vom Ausland lernen?

    Müller:Zumindest ist Deutschland beim Verbraucherschutz nicht der Musterknabe, für den er in anderen Bereichen gehalten wird. Es gibt zum Beispiel viele europäische Länder, in denen es schon Sammelklagen gibt, die es ermöglichen, dass Verbraucher von anerkannten Verbraucherverbänden Unterstützung bekommen.

    Aber denken Sie auch an Ihren nächsten Einkauf im Supermarkt. Wir sehen in Großbritannien und Frankreich, dass Informationen auf Lebensmitteln farblich hinterlegt sind. In Deutschland brauchen sie beim Einkaufen schon fast eine Lupe und ein Mathematik-Studium, um alle Informationen zu verstehen und einordnen zu können. Auch da würden wir uns eine einfachere Lösung wünschen.

    Immer wieder in der Kritik stehen auch Mobilfunk- und Internetanbieter. Die Verbraucherzentrale Berlin hat vor kurzem mitgeteilt, dass sie der häufigste Beschwerdegrund seien. Was machen die Provider so schlecht?

    Müller:Telekommunikationsthemen gehören seit Jahren konstant zu den beratungsstärksten Themen in den Verbraucherzentralen. Das liegt sicherlich daran, dass viele Telekommunikationsunternehmen ihren Kundenservice nicht so ausgebaut haben, wie das erforderlich wäre. Weil das ein sehr umkämpfter Markt ist, wird sehr intensiv um Neukunden gerungen, aber viele Bestandskunden haben das Gefühl: „Um mich kümmert sich eigentlich keiner.“

    Wo können Sie da ansetzen?

    Müller:Beim Umgang mit Drittanbietern etwa, wenn der Kunde auf einmal ungewollte Kosten auf seiner Rechnung findet. Auch bei komplizierten AGBs und Werbeversprechen, bei denen der Kunde am Ende oft nicht wissen kann, was er da unterschreibt. Und auch beim Roaming gibt es noch etwas zu tun. Viele denken, mit der Regelung seien auch die Kosten für Anrufe ins Ausland verbraucherfreundlich geregelt worden – das ist aber nicht der Fall.

    Es sind schon eine Reihe verbraucherfreundliche Regelungen im Telekommunikationsmarkt getroffen worden, aber es sind auch noch viele Punkte offen.

    Die neue Regierung will auch die Digitalisierung vorantreiben. Welche Verbraucherthemen sollte sie dabei im Auge haben?

    Müller: Für viele ist die Digitalisierung ein Segen, weil es meine Möglichkeiten erweitert. Weil ich vielleicht günstiger einkaufen oder mehr Informationen bekommen kann. Aber es gibt auch viele Menschen, die sich fragen: Welchen Informationen kann ich eigentlich vertrauen? Da können wir als Verbraucherzentralen oder Stiftung Warentest zeigen, wo man anbieterunabhängige Informationen bekommt.

    Wir weisen die Politik darauf hin, dass viele Verbraucher gerade im Internet verletzlicher sind als in anderen Bereichen ihres Lebens. Das Schutzniveau muss hier höher sein. Das betrifft zum Beispiel ganz konkret die Fragen, welche Algorithmen über mich Entscheidungen treffen werden und ob es Möglichkeiten gibt, diese zu kontrollieren. Das ist auf jeden Fall ein Thema für die neue Regierung.