Hannover. Die Grünen haben mit Baerbock und Habeck eine neue Doppelspitze. Die Stimmung auf dem Parteitag in Hannover war teils euphorisch.

Das ist eine klare Ansage: „Wir wählen hier heute nicht nur die Frau an Roberts Seite, sondern die neue Bundesvorsitzende der Grünen“, ruft Annalena Baerbock, 37, am Sasmstag den Delegierten des Grünen-Parteitags zu. Man merkt: Da steht eine Politikerin mit gesundem Selbstbewusstsein.

Die Grünen wählen eine neue Parteispitze. Simone Peter und Cem Özdemir, das alte Duo, wurden am Freitagabend verabschiedet. Dieser Tag gehört den drei Kandidaten: Annalena Baerbock, Anja Piel und Robert Habeck. Die Grünen haben sich viel vorgenommen. Sie suchen einen Ausweg aus dem Frust über das Ende der Jamaika-Sondierungen. Das Motto des Parteitags: „… und das ist erst der Anfang“.

Kämpferische Rede

Und Baerbock gelingt es, dieses Gefühl der Erneuerung, des Aufbruchs bei den Delegierten zu erzeugen. „Stellen Sie sich vor, es wäre Ihr Kind“, schleudert sie den Politikern von Union und SPD entgegen, als sie über das Thema Familiennachzug für Flüchtlinge spricht. Und um auch den linken Flügel ihrer Partei mitzunehmen, pocht die Realo-Politikerin auf einen starken Sozialstaat: Man dürfe Klimaschutz und Gerechtigkeit nicht gegeneinander ausspielen, so ihre Botschaft.

„Ich weiß, was es heißt, wenn ein Kind nicht zum Kindergeburtstag kommen kann, weil die Mutter sich ein Geschenk nicht leisten kann“, sagt die Mutter von zwei Kindern, die mit ihrer Familie in Potsdam wohnt. Es ist eine leidenschaftliche, kämpferische Rede. Die Delegierten sind aus dem Häuschen, klatschen und jubeln.

Habeck hält fast philosophische Rede

Ihre Konkurrentin um den Frauenplatz im neuen Spitzenduo der Grünen, Anja Piel vom linken Flügel, betont vor allem, dass sie sich für eine gerechtere Gesellschaft einsetzen möchte. Es ist kein schlechter Aufschlag. Aber er hat nicht die Kraft von Baerbocks Spiel. Die Potsdamerin wird mit 64,45 Prozent gewählt, Piel erhält 34,78 Prozent. Viele Grüne hatten nur mit einem knappen Sieg für Baerbock gerechnet.

Neue Doppelspitze bei den Grünen

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    Ihre Rede und auch ihr Wahlergebnis sind so überzeugend, dass Robert Habeck, schon von vielen Zeitungen als der neue starke Mann der Grünen – sogar als „der neue Joschka“ – gefeiert, mit einer kleinen Verneigung beginnt: „Vielleicht habe ich ja Glück und darf der Mann an deiner Seite sein.“

    Habeck hält eine abstrakte, fast philosophische Rede. „Wir müssen die Gesellschaft vom Zentrum her denken“, ist so ein typischer Habeck-Satz. Er beklagt die „Durchökonomisierung des Privaten“. Bei den Grünen kommt das an. Die Delegierten wählen ihn mit 81,3 Prozent – ohne Gegenkandidaten.

    Praktikum im EU-Parlament

    Also Baerbock und Habeck. Zwei Realos. Zum ersten Mal in der Geschichte der Grünen – sieht man mal von der kurzen Phase ab, als Renate Künast und Fritz Kuhn an der Spitze standen – wird die Partei von zwei Realos geführt. Wer sind die neuen Chefs der Ökopartei?

    Baerbock ist eine Ostdeutsche, die aus dem Westen kommt. Geboren und aufgewachsen in Hannover, lebt sie mittlerweile in Potsdam. Sie kennt beide Seiten, und dieser Blickwinkel kann für die Grünen, die im Osten traditionell schwach sind, nur von Vorteil sein.

    Die Juristin wollte eigentlich Journalistin werden, blieb nach einem Praktikum bei den Grünen im Europäischen Parlament aber in der Politik hängen. Sie beschäftigte sich mit Sicherheits- und Außenpolitik – und in den vergangen vier Jahren als Bundestagsabgeordnete vor allem mit Klimapolitik. Als Teil des grünen Jamaika-Teams verhandelte sie mit Union und FDP, ebenso wie Habeck.

    Habeck gilt als unkoventionell

    Die neuen Bundesvorsitzenden Robert Habeck (r) und Annalena Baerbock .
    Die neuen Bundesvorsitzenden Robert Habeck (r) und Annalena Baerbock . © dpa | Bernd von Jutrczenka

    Der Norddeutsche gilt schon seit Längerem als der kommende Mann in der Ökopartei. Seinen Ehrgeiz versteckt er nicht: Der studierte Literaturwissenschaftler und Philosoph, der mit seiner Frau Paluch mehrere Romane geschrieben hat, trat schon vor einem Jahr zur Urwahl um die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl an – und erhielt nur 75 Stimmen weniger als Özdemir.

    Der Vater von vier Söhnen, der oft mit dem Adjektiv charismatisch beschrieben wird, gilt als unkonventioneller Politiker, der neben seinen philosophischen Reden auch immer mal wieder sehr direkt spricht: Das Wort „geil“ geht ihm leicht über die Lippen, was ihm in Talkshows und im Wahlkampf helfen dürfte.

    Habeck noch maximal acht Monate Minister im Norden

    Im Norden ist er bereits ein Star. Als im Mai in Schleswig-Holstein gewählt wurde, druckten die Grünen Habeck groß auf die Plakate. Der Slogan: „Mit Habeck fürs Land.“ Nur klein stand unten rechts: „Zweitstimme Grün.“

    Die Grünen holten gegen den Bundestrend 12,9 Prozent – in einem landwirtschaftlich geprägten Bundesland ohne Großstadt. Seit sechs Jahren ist er nun Superminister, seit einem halben Jahr kümmert er sich um fünf Fachbereiche: Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung. Das Ministerium wird der neue Parteichef nach maximal acht Monaten Übergangszeit abgeben.

    Viele Grüne wünschen sich, dass Habeck das, was er in Schleswig-Holstein gemacht hat, auch in der Hauptstadt schafft. Und so gibt es in Hannover besonders viel Applaus für einen Habeck-Satz, der zeigt, wie viel der Mann aus dem Norden noch vorhat: „Macht kommt von machen.“ Und er fügt an: „Deswegen sind wir hier.“