Tunis/Berlin. Ankara schlägt Washingtons Warnungen in den Wind und geht gegen die mit den USA verbündete Kurdenmiliz YPG in der Provinz Afrin vor.

Im Syrienkonflikt droht eine gefährliche Eskalation. Trotz nachdrücklicher Warnungen der USA bekräftigt die Türkei ihre Entschlossenheit, militärisch gegen die Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens vorzugehen. Eine türkische Operation gegen die YPG könnte zu einer direkten militärischen Konfrontation mit den USA führen, die in der Region mit Militärbeobachtern präsent sind und in der YPG einen wichtigen Verbündeten im Kampf gegen die IS-Terrormiliz sehen.

Die türkischen Streitkräfte haben in den vergangenen Tagen starke Panzer- und Artillerieverbände in den Provinzen Hatay und Kilic an der syrischen Grenze zusammengezogen. In der Nacht zum Freitag nahm die türkische Armee mehrere Kurdendörfer jenseits der Grenze unter massiven Artilleriebeschuss. Verteidigungsminister Nurettin Canikli sagte am Freitag im TV-Sender A Haber, noch hätten die türkischen Streitkräfte zwar die Grenze nicht überquert, aber die Militäroperation habe mit dem Artilleriebeschuss „de facto begonnen“. Der Minister bekräftigte: „Alle Terrornetzwerke im Norden Syriens werden eliminiert, es gibt keine andere Lösung.“

Syrische Kurden kämpfen gegen die Terrormiliz IS

Die Türkei sieht in der YPG den syrischen Ableger der international als Terrororganisation geächteten PKK. Die syrischen Kurden haben in den vergangenen Monaten mit militärischer Unterstützung der USA die Terrormiliz IS aus Nordsyrien weitgehend vertrieben und dort eine eigene Autonomiezone geschaffen. Die Kurdenmiliz kontrolliert auch die Enklave Afrin, gegen die sich der türkische Aufmarsch richtet. Die Türkei will die YPG aus Afrin vertreiben und so Pläne zur Bildung eines durchgehenden kurdischen Gebiets in Nordsyrien verhindern. In Ankara spricht man in diesem Zusammenhang von einem „Terrorkorridor“.

Die Sprecherin des Washingtoner State Departments, Heather Nauert, hatte am Donnerstag an die Türkei appelliert, in Nordsyrien nicht militärisch einzugreifen. „Wir wollen, dass sie sich auf den Kampf gegen ISIS (den IS) konzentrieren“, sagte die. Dessen ungeachtet bekräftigte der türkische Verteidigungsminister am Freitag die Absicht Ankaras, gegen die YPG vorzugehen: „Die Bedrohung gegen die Türkei wächst von Tag zu Tag, wir werden die Operation durchführen und den Terror bekämpfen.“

Offensive könnte auch neue Konflikte mit Russland auslösen

Zusätzliche Brisanz bekommen die türkischen Pläne durch eine Warnung aus Damaskus: Die syrische Regierung kündigte an, sie werde türkische Bomber und Kampfflugzeuge abschießen, wenn sie in den syrischen Luftraum eindringen. „Wir warnen die türkische Führung“, sagte der syrische Vize-Außenminister Faisal al-Mikdad: „Wir werden eine Militärintervention in Afrin als Angriff auf die Souveränität Syriens ansehen.“ Die geplante Offensive könnte auch neue Konflikte mit Russland heraufbeschwören, das im Syrienkonflikt auf der Seite des Regimes von Präsident Baschar al-Assad steht. Verteidigungsminister Canikli sagte, die Türkei stimme sich über die Militäroperation mit Russland ab. In Afrin sind rund 300 russische Soldaten stationiert. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete am Freitag, Russland habe begonnen, sein Militär aus Afrin abzuziehen.

Afrin, in etwa so groß wie das Saarland, ist einer der drei Kantone Rojavas, des quasi-autonomen kurdischen Gebietes im Norden Syriens. Bislang ist die Region vom Krieg verschont geblieben. In Afrin leben ungefähr eine Million Menschen, darunter Zehntausende Bürgerkriegsflüchtlinge.

USA wollen Syrien nicht Russland überlassen

In den syrischen Kurdengebieten ist die PYD die herrschende Kraft. Ihre Milizen, die Volksverteidigungseinheiten YPG und ihre Frauenkampfverbände, die YPJ, waren in den vergangenen Jahren die effizientesten und verlässlichsten Partner des Westens im Kampf gegen den IS. Ein von ihnen dominiertes Bündnis nahm unter anderem im Oktober vergangenen Jahres Rakka ein, die Hauptstadt der Dschihadisten in Syrien. Die kurdischen Milizen werden von amerikanischen Spezialkräften beraten und von den USA massiv aufgerüstet.

Dutzende Tote bei Explosion in Dschihadisten-Hochburg in Syrien

weitere Videos

    Nach dem faktischen Ende des Kalifats planen die USA nun nach US-Medienberichten den Aufbau einer Grenztruppe, deren Rückgrat die kurdischen Kräfte sein sollen. Der Plan dürfte auch dem amerikanischen Bestreben geschuldet sein, das Feld in Syrien nicht Russland und dem Iran zu überlassen.

    Amerikaner haben mehrere Stützpunkte in Syrien

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die USA wegen der geplanten Grenztruppe scharf: „Ein Land, das wir einen Verbündeten nennen, besteht darauf, eine Terrorarmee an unserer Grenze zu bilden“, sagte er am Montag in Ankara. Die türkische Armee werde in Kürze „alle Terror­nester“ in Afrin und Manbidsch auslöschen. Die Stadt Manbidsch, östlich von Afrin am Euphrat gelegen, wurde im Sommer 2016 von den kurdisch dominierten Kräften zurückerobert. Kurze Zeit später rückten türkische Truppen in Syrien ein und verhinderten so einen Zusammenschluss der kurdischen Gebiete östlich und westlich des Euphrat.

    Der türkische Angriff auf Afrin macht die ohnehin komplizierte Situation in der Region noch unübersichtlicher. Die Amerikaner haben mehrere Stützpunkte in der Region. Erdogan hat den Nato-Partner bereits davor gewarnt, sich bei einer Offensive einzumischen. „Andernfalls übernehmen wir keine Verantwortung für unerwünschte Vorfälle.“ Im August vergangenen Jahres hatten sich protürkische Rebellen und US-Soldaten in der Nähe von Manbidsch ein kuzes Feuergefecht geliefert.

    Vertriebene in Syrien kämpfen mit der Kälte

    weitere Videos

      Syrien will türkische Kampfflugzeuge abschießen

      Die Kurden geben sich entspannt. „Die Türken haben derzeit Probleme mit jedem. Aber sie können nicht gegen alle kämpfen“, sagte der PYD-Funktionär Salih Müslim im Gespräch mit dieser Zeitung. Seine Partei hat die Vereinten Nationen um Unterstützung gebeten. Sollte die türkische Armee angreifen, sei man aber nicht auf Hilfe angewiesen, beteuert Müslim: „Wir werden uns selbst verteidigen können. Wir haben keine Furcht.“

      Nesrin Abdullah, die Kommandantin der YPJ, wurde noch deutlicher: „Jeglicher Angriff von türkischer Seite wird mit stählerner Faust gebrochen werden“, teilte sie mit. Dem IS sei es nicht gelungen, die kurdischen Kräfte zu besiegen, das werde auch der türkischen Armee nicht gelingen. „Unsere Stärke ist gewachsen, und der türkische Staat sollte wissen, dass Afrin sein Grab wird.“ Allerdings warnt sie auch: Eine friedliche Lösung des Syrienkonflikts würde durch einen türkischen Angriff unmöglich gemacht: „Es würde zu einem schweren Krieg kommen.“