Berlin. Kaukasische Netzwerke etablieren sich bei Drogenhandel und Erpressung. In Berlin stehen nun Rocker wegen Mordversuchs vor Gericht.

Es ging um Drogen, Geld und Macht. Und um eine alte Rechnung: Am Abend des 10. Mai 2017 fuhren sechs Männer vor einem Café im Berliner Stadtteil Wedding vor – mutmaßlich drei Tschetschenen, drei Kosovaren. Sie kamen mit vollautomatischen Waffen und feuerten sofort. Mehr als 20 Schüsse fielen, so steht es später in den Prozessakten. 17 Projektile durchsiebten die Fensterscheiben des Lokals. Die Tatverdächtigen stehen seit Dienstag vor dem Berliner Landgericht. Die Anklage lautet: gemeinschaftlicher versuchter Mord. Bei Schuldsprüchen drohen den Angeklagten lebenslange Haftstrafen.

Der Angriff galt dem 34-jährigen Wirt des Lokals. Er soll sich geweigert haben, Drogenlieferungen zu begleichen. Das Marihuana sei von schlechter Qualität gewesen; deshalb habe er nicht zahlen wollen. Dass in dem Kugelhagel niemand verletzt oder getötet wurde, lag wohl an einem Zufall.

Denn als Arben R. mit einer Kalaschnikow auf die Zielperson im Café anlegte, hatte sein Sturmgewehr eine Ladehemmung – im Gegensatz zur Schnellfeuerwaffe des Tschetschenen Achmed I., der in die Bresche sprang und laut Staatsanwaltschaft mit einer Maschinenpistole wahllos in die Menge schoss. Der Wirt, der mit einer Pistole zurückgeschossen haben soll, konnte fliehen.

BKA schaut gezielt auf Gruppen aus dem Nordkauskasus

Die Angeklagten, 27 bis 40 Jahre alt, werden der Rockergruppe „Guerilla Nation Vaynakh“ zugeordnet. Sie gilt als der verbliebene, bewaffnete Arm der ehemaligen Rockergang „Guerilla Nation“, die sich im Herbst 2016 nach Streitereien mit den Hells Angels aufgelöst hatte.

„Vaynakh“ ist ein tschetschenisches Wort, das den Zusammenhalt von Tschetschenen und Inguschen im Nordkaukasus bezeichnet. Markenzeichen der Gruppe sind schwarze Kutten mit weißem, stirnbandgeschmücktem Totenkopf. In der „Guerilla Nation Vaynakh“ geben Tschetschenen den Ton an. Die meisten davon verfügen über persönliche Kampferfahrung aus den Tschetschenien-Kriegen mit Russland, berichten Polizisten unserer Redaktion.

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    Ermittler sind sensibilisiert – nicht nur durch den Vorfall in Berlin. Das Bundeskriminalamt (BKA) schaut im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) gezielt auf Gruppierungen aus dem Nordkaukasus – und dort vor allem auf Täter mit tschetschenischer Herkunft. „Seit einiger Zeit fällt uns auf, dass Tschetschenen vermehrt in Delikten wie Erpressung, aber auch Drogengeschäfte verwickelt sind“, sagt Michael Nagel, Leiter der Auswertung Organisierte Kriminalität (OK) beim BKA, unserer Redaktion.

    Tschetschenen tauchen nicht gesondert in Kriminalstatistik auf

    Den Kriminalpolizisten fallen einzelne Tschetschenen vermehrt dadurch auf, dass sie das Türsteher- oder Wachdienstgewerbe nutzen, um Schutzgeld zu erpressen oder Drogengeschäfte auszubauen. „Uns ist es wichtig, die Strukturen und Netzwerke tschetschenischer Straftäter in Deutschland genauer zu kennen, um auf diese Weise zu wissen, ob und wie wir mit polizeilichen Mitteln verstärkt auf die Kriminalität durch diese Gruppe reagieren müssen.“ Man wolle „einen tiefen Einblick“ in die Szene bekommen. Doch die versteht sich als geschlossene Gesellschaft. „Tschetschenische kriminelle Gruppen agieren häufig stark abgeschottet, etwa in Clans“, sagt BKA-Ermittler Nagel.

    Wie groß die Täter-Klientel ist, lässt sich schwer abschätzen. In der Kriminalstatistik werden Tschetschenen, wie andere Gruppen aus der Region, nicht gesondert ausgewertet. Dort wird nur die Staatsbürgerschaft von Verdächtigen erfasst – im Falle der autonomen Nordkaukasus-Republik eben die russische.

    Auch zur Verbreitung der Volksgruppe in Deutschland gibt es nur vage Anhaltspunkte. Sicherheitskreise gehen hinter vorgehaltener Hand von 20.000 bis 50.000 Tschetschenen aus. Ein Hintergrund der groben Schätzung: Zwar erfragt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bei Asylsuchenden die Volkszugehörigkeit des Bewerbers. Doch die entsprechende Angabe ist freiwillig und basiert allein auf den Angaben der Betroffenen.

    Leben im Kaukasus bleibt gefährlich

    2017 registrierte das BAMF 4166 tschetschenische Asylanträge, fast 60 Prozent weniger als im Vorjahr (9850). Per Schutzstatus anerkannt wurden 7,6 Prozent der 2017 gestellten Anträge, 2016 waren es nur 4,3 Prozent. Die mit Abstand meisten Asylanträge aus Tschetschenien gingen 2013 beim Bundesamt ein: 13.603 Bewerber wollten damals nach Deutschland; am Ende lag die Schutzquote bei 1,7 Prozent.

    Die Sicherheitslage im Kaukasus hat sich nach Ende der Tschetschenien-Kriege verbessert – dennoch ist das Leben dort für viele gefährlich. Mehrfach kam es zu Angriffen durch Islamisten und Vergeltungsschlägen des Militärs. Menschenrechtler beklagen zudem die Lage von Homosexuellen. Mehrfach kam es laut Medienberichten zu Tötungen.