Berlin. Bundesländer haben ihre Abschiebehaft abgeschafft oder ausgelagert. Nun brauchen alle Plätze. Doch ein Ausbau ist teuer und dauert.

Das neue Gefängnis baut Bayern dort, wo es aus Sicht der Landesregierung hingehört: in Passau, direkt an die deutschen Grenze. Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern sollen „grenznah gesichert“ werden. Schleuserkriminalität will die bayerische Justiz dort ahnden, „wo sie geschieht“. 2019 beginnt der Bau des Gefängnisses, 2022 soll es fertig sein. Geschätzte Kosten: 106 Millionen Euro. Mit Platz für rund 450 Gefangene, 200 davon sind für Abschiebungen aus der Haft heraus reserviert. Der Trakt ist räumlich abgetrennt von den anderen Insassen. Die geplante Justizvollzugsanstalt (JVA) in Passau sei „bundesweit einzigartig“, da Strafvollzug und Abschiebehaft kombiniert würden, wirbt die Regierung auf Nachfrage dieser Redaktion.

Die Polizei hat bis Ende November insgesamt gut 22.000 Menschen aus allen Bundesländern in ihre Heimatländer zurückgeschickt. 2016 waren es insgesamt 25.375. Der Anteil ist nicht gestiegen – sondern leicht zurückgegangen. Das liegt aber auch daran, dass 2016 viele abgelehnte Asylbewerber nach oft kurzen und eindeutigen Verfahren abgelehnt und in Länder wie Serbien oder Albanien zurückgeschickt worden sind. Spätestens aber seit dem Anschlag des abgelehnten Asylbewerbers Anis Amri Ende 2016 in Berlin ist die politische Losung klar: Innenminister fast aller Bundesländer heben hervor, man wolle „konsequent“ abschieben. Vor allem islamistische „Gefährder“, also Personen, denen die Sicherheitsbehörden eine schwere Straftat wie einen Anschlag oder Mord zutrauen.

Bei Fluchtgefahr droht Haft

Derzeit gibt es für Abschiebungen rund 400 Plätze in den Gefängnissen in ganz Deutschland. Zu wenig, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). CSU-Innenpolitiker Stephan Meyer fordert 1200 Plätze. Derzeit leben rund 30.000 Menschen zwischen Passau und Flensburg, die sich irregulär hier aufhalten. Manche von ihnen tauchen ab, bei anderen besteht Fluchtgefahr, doch sie können nicht direkt abgeschoben werden, da etwa Unterlagen aus dem Heimatland noch fehlen. Wieder andere gelten als gefährlich. Es sind Ausnahmefälle in der deutschen Asylpolitik. Für diese Personengruppen wollen viele Bundesländer die Plätze in Abschiebehaftanstalten erweitern – doch bis diese einsatzbereit sind, wird es dauern.

Abschiebungen sind oft kompliziert und langwieig.
Abschiebungen sind oft kompliziert und langwieig. © dpa | Patrick Seeger

Eine Umfrage dieser Redaktion zeigt, dass neun Bundesländer noch gar keine eigene Haftanstalt für Personen hat, die ausgewiesen werden sollen. Etwa Schleswig-Holstein, das Saarland, aber auch Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Dort heißt es, man kooperiere mit anderen Bundesländern, habe Verträge über Kontingente geschlossen und wende das Instrument der Abschiebehaft ohnehin nur in Ausnahmefällen und für jeweils kurze Dauer an.

Hessen arbeitet mit Rheinland-Pfalz zusammen und Schleswig-Holstein mit Hamburg. Das Saarland etwa hatte bis Ende Oktober 2017 insgesamt 97 Menschen in der Abschiebehaft im rheinland-pfälzischen Ingelheim untergebracht. Abschiebefälle werden abgeschoben – nicht ins Ausland, sondern erstmal in Bundesländern, in denen es derzeit spezielle Haftanstalten gibt: Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz.

Ausbau in mehreren Bundesländern

Dabei hatten mehrere Bundesländer früher eigene Abschiebehaftplätze. Nur hatten sie diese über die Jahre geschlossen, weil vor 2014 die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland nicht stark gestiegen und in manchen Jahren sogar gesunken war. So besaß beispielsweise Berlin eine eigene Abschiebehaftanstalt – noch bis November 2015. Danach nutzte die Hauptstadt die Einrichtung in Brandenburg mit. Doch auch die ist mittlerweile geschlossen.

Mehrere Bundesländer planen nun eigene Gefängnisse. Hessen will eine Einrichtung für mindestens 50 Abschiebeplätze in Darmstadt bauen. Brandenburg arbeite „mit höchster Priorität“ an der Wiedereröffnung einer Haftanstalt in Eisenhüttenstadt, heißt es im dortigen Justizministerium. Baden-Württemberg baut die Abschiebehaft in Pforzheim von derzeit knapp 40 auf 80 Plätze aus. Sachsen-Anhalt baut 30 Plätze in Dessau. Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern einigten sich im Dezember über den Bau einer gemeinsamen Abschiebehaft mit 60 Plätzen in Glückstadt. Und auch Berlin plant nun eine neue Haftanstalt, die laut Landesregierung bereits dieses Jahr fertig sein soll. Nur Thüringen, Bremen und Rheinland-Pfalz sehen sich schon jetzt gut ausgestattet.

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    Die Mehrheit reist freiwillig aus

    Die Mehrheit der abgelehnten Asylbewerber in Deutschland wird allerdings nicht abgeschoben – viele reisen freiwillig aus, auch gefördert mit Geld vom Bund. Die Bundesregierung hat dafür im Februar 2017 ein zusätzliches Programm aufgelegt, die „Starthilfe Plus“. Bis Ende November hatten in 2017 fast 28.000 Menschen Deutschland freiwillig verlassen, knapp 10.000 von ihnen mit der neuen Starthilfe, in der Regel sind es 1200 Euro für einen Neuanfang in Kabul, Kiew oder Tunis. So schreibt die thüringische Landesregierung unter Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf Nachfrage dieser Redaktion, man halte die freiwillige Ausreise für „das humanere, erfolgreichere und letztlich auch günstigere Mittel“ beim Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern.

    Doch manche Asylbewerber reisen nach einer Ablehnung ihres Antrags nicht freiwillig zurück, sondern tauchen ab, entziehen sich der Polizei. Behördenmitarbeiter oder Polizisten in fast jedem Bundesland berichten von solchen Fällen. Bei anderen besteht Fluchtgefahr, doch Ausweisdokumente aus dem Heimatland fehlen noch. Auch sogenannte „Gefährder“ können nun aufgrund einer Gesetzesverschärfung inhaftiert werden, bis sie abgeschoben werden, etwa auch dann, wenn sie bisher eine Duldung hatten, die eine Abschiebung verhinderte. Das schärfere Gesetz ist eine Konsequenz aus dem Anschlag in Berlin. 2017 hat die Bundespolizei mehr als 50 Islamisten abgeschoben, 40 davon waren als „Gefährder“ von der Polizei eingestuft.

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      Teuer und zeitaufwendig

      Doch der Bau neuer Abschiebeknäste ist teuer, die Planung aufwendig. Das hat vor allem einen Grund: Wer zurückgeschickt werden soll, darf in der Regel nicht mit Kriminellen wie Drogendealern, Mördern oder Betrügern in eine Anstalt. Das hat der Europäische Gerichtshof so entschieden, spezielle Standards sind aber auch Leitlinie vieler Landesregierungen. Denn wer als Asylbewerber abgelehnt wurde, hat keine Straftat begangen. Die Abschiebehaft solle nur in Ausnahmefällen greifen, heben viele Ministerien hervor. Zweck sei nicht die Strafe, sondern die „Sicherung der Ausreise“. Manche Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen sprechen gar nicht offiziell von Abschiebehaft, sondern von einer Unterbringungseinrichtung.

      Freizeitraum und Internet

      Viel Geld wird nun investiert, für wenige Fälle. So ist der Anteil der Inhaftierungen zur Rückführung in der deutschen Asylpolitik gering, auch das zeigt die Nachfrage bei den Bundesländern. Sachsen-Anhalt hatte bis Mitte Dezember 2017 im vergangenen Jahr 639 Menschen abgeschoben, nur 39 saßen in Haft. Berlin schob fast 1600 Personen ab, nur fünf saßen zu diesem Zeitpunkt in einer Anstalt, in Thüringen von 600 Abschiebefällen nur 16. In Hessen waren es von insgesamt 908 abgeschobenen Personen bis Ende Oktober 2017 immerhin 184, in Hamburg von 1118 immerhin 106. In Niedersachsen saßen von insgesamt 1.634 Menschen 215 zum Zeitpunkt ihrer Abschiebung in Haft.

      Für die Architekten der Ministerien bedeuten die Auflagen für die besonderen Gefängnisse: Zellen mit Raum für eigene Kleidung statt Gefangenenanzug, Zugang zu Internet, Freizeiträume und Orte für Besuche. Die Menschen werden zudem enger durch Sozialarbeiter betreut, das Personal der JVA braucht eine besondere Schulung. All das kostet, all das braucht Zeit.