Jerusalem. Nach Trumps Jerusalem-Entscheidung eskaliert die Gewalt im Westjordanland und im Gazastreifen: Mindestens 760 Verletzte und ein Toter.
An der Stelle, wo der Leidensweg Jesu – die Via Dolorosa – eine Biegung macht, bahnt sich plötzlich ein schwarzer Pulk einen Weg durch die Massen. Bis hierher sind die Palästinenser vom Tempelberg, den sie Haram al-Sharif (Deutsch: edles Heiligtum) nennen, geströmt, doch jetzt ist Schluss.
Die israelischen Polizisten in ihren dunklen Uniformen schlagen, treten und drängeln sie zurück, in voller Kampfmontur und mit Tränengaswerfern im Anschlag. Auslagentische gehen zu Bruch, Ladenbesitzer reißen ihre Türen zu. „Tizdayen mipo“ – verschwindet, schreien die Beamten, immer wieder prügeln sie auf einzelne Protestierende ein.
Von der Terrasse des österreichischen Hospizes filmen entsetzte Touristen die Szenerie. Die arabischen Frauen auf dem Platz rufen „Allahu akbar“, Gott ist größer, als sie in die Gassen neben den Mauern der Pilgerherberge abgedrängt werden.
„Hiye, hiye, hiye, al-Quds al-falastiniyye“, skandiert die Masse. Jerusalem ist palästinensisch – das ist die Nachricht, die im Sinne der Araber und Muslime von der heiligen Stadt ausgehen soll an diesem Freitag, dem – von den Palästinenserführern erklärten – zweiten von mindestens drei „Tagen des Zorns“. 24 Stunden,
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Intifada, das heißt so viel wie Abschütteln. Für die Israelis geht es darum, dass an diesem Freitag nicht wie vor 30 und 17 Jahren ein Volksaufstand ausbricht.
Trumps Entscheidung für viele Beobachter völkerrechtswidrig
Der Anlass zum Aufbegehren kam dieses Mal nicht aus Gaza oder Jerusalem, sondern aus Washington, wo
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Das orientiert sich zwar an gewissen Fakten – im Westen der Stadt sind seit Jahrzehnten unter anderem das israelische Parlament und die meisten Ministerien untergebracht.
Doch nach bisherigem internationalem Konsens sollte der
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erst im Rahmen einer Zwei-Staaten-Lösung endgültig geklärt werden. Trumps Entscheidung zu diesem Zeitpunkt ist für viele Beobachter völkerrechtswidrig und das Ende aller Hoffnungen auf Palästina mit einer Hauptstadt Ost-Jerusalem, die auf Arabisch al-Quds, die Heilige, heißt.
An drei Seiten sind Trupps der Grenzpolizei postiert
An diesem Freitag haben sich Reporter aus aller Herren Länder am Damaskus-Tor, am Ausgang der Altstadt, postiert. Unter den hellen Kalksteinzinnen von der Mauer Sultan Suleimans I. aus dem 16. Jahrhundert, wo wochentags fliegende Händler Taschentücher und frische Feigen feilbieten, stehen Dutzende Kamerateams und erklären den Zuschauern in ihren Ländern, was hier nun geschieht – oder passieren könnte.
Auf Podesten an drei Seiten sind Trupps der Grenzschutzpolizei Magav postiert. Die durchgehend sehr jungen Soldaten tragen M16-Maschinenpistolen vor der Brust und die Panzerung um Rumpf und Hals fest geschlossen. Bei Anschlägen in den vergangenen zwei Jahren sind an dieser Stelle über ein Dutzend Menschen gestorben. Die ständige Lebensgefahr mag zumindest teilweise das rigorose Auftreten der Beamten erklären. Auf die Frage, warum sie zugeschlagen haben, sagt ein Polizist schlicht: „Weil wir es nun mal so machen.“ Mit brutaler Härte.
Palästinensischer Vater resigniert, Tochter will Veränderung
Am Damaskus-Tor kommt Wael Abu al-Hara mit seiner Tochter Dina die Stufen herunter, vorbei an den Reportern, auf dem Weg in die Altstadt. Die Familie wohnt im Ost-Jerusalemer Stadtteil Abu Tur, über die Entscheidung des US-Präsidenten denkt er: „Immerhin weiß die Welt jetzt, dass auch Amerika keinen Frieden will, dass sie hier nicht vermitteln.“
Der Vater von vier Töchtern hat den Oslo-Friedensprozess und die zweite Intifada erlebt, er findet: „Es hat alles nichts gebracht.“ Doch seine Älteste widerspricht: „So geht es nicht weiter.“ Sie will nicht jeden Tag den Checkpoint der Israelis passieren, um zu ihren Vorlesungen in die Universität von Bethlehem zu kommen, sie will eine Familie gründen in Ost-Jerusalem, wo Araber wenn überhaupt mit viel Geduld und nach dem Aufbringen hoher Gerichtskosten ein Haus bauen können. Sie will nicht vom Willen eines anderen Volks abhängig sein und nicht in einer Stadt wohnen, die ihr nicht gehört, sagt sie.
Junge Generation glaubt, der Kampf könnte sich lohnen
70 Prozent der Palästinenser sind unter 30 Jahre alt, sie haben die Frustrationen der niedergeschlagenen Intifada nicht erlebt. Viele von ihnen denken, der Kampf könnte sich lohnen. Deswegen sind es besonders junge Männer, die aufbegehren, während die Älteren mit frustrierten Mienen vor ihren Geschäften stehen.
„Wegen Trump, wegen der Juden“, schreit ein halbstarker Junge, der in den Altstadtgassen vor den Polizisten flüchtet, auf die Frage, warum es nun wieder eskaliert, warum die Polizisten sie weggedrängt und verprügelt haben. Wie seine Freunde trägt er einen raspelkurzen Boxerhaarschnitt, Turnschuhe und enge Jeans, ein martialischer Look.
Jede kleine Veränderung kann Aufstand entfachen
Die größte Sorge der Palästinenser gilt al-Aqsa, dem Tempelberg, der drittheiligsten Stätte des Islams, von wo der Prophet Mohammed zum Himmel aufgestiegen sein soll. Im Sommer haben sie hier mehrheitlich friedlich für den Abbau von neu installierten Metalldetektoren und Kameras protestiert. Das Einknicken der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war ein kleiner Triumph.
Die Israelis wissen, dass jede Veränderung des Status quo Auslöser für einen neuen Aufstand sein kann, deswegen dürfen die wenigen nicht-muslimischen Besucher hier auch nicht beten, deswegen hat die israelische Polizei am Freitagmorgen entschieden, den Zugang für die gläubigen Muslime nicht zu beschränken. Ein arabisch-sprechender drusischer Polizist lässt sich nur die Ausweise zeigen. Wer die erste Sure des Korans nicht aufsagen kann, ist kein Muslim und kommt nicht herauf. In der Nähe vom Eisen-Tor zum Tempelberg, dem Heiligtum der Muslime, in der Straße vor dem Zugang zur Klagemauer, der heiligsten Stätte der Juden, haben die Brüder Mohammed und Dida Maswadi ihr Geschäft.
Das sind die heiligen Stätten Jerusalems
„Es wird ein paar Tage Stress geben“
Ein orthodoxer Jude mit Schläfenlocken und Fedorahut kommt vorbei, ein christliches Paar aus Russland betrachtet die Waren. Es ist ein multi-religiöses Sortiment, in dem jüdische Menoras und Kippas neben christlichen Rosenkränzen und muslimischen Gebetsketten liegen.
„Es wird ein paar Tage Stress geben“, fürchten die jungen Männer und benutzen wie die meisten Araber den Ausdruck „Maschakil“. Auch sie sind die Kontrollen und Fremdbestimmung leid, auch sie wollen ihre ganz persönliche Souveränität. Deshalb können sie den Zorn der Massen gut verstehen, doch am Ende brauchen sie für den Erfolg ihres Geschäfts vor allem: Ruhe.
Auf den nächsten Freitag gefasst machen
„Wir haben die Leute ohne Beschränkung auf den Tempelberg gelassen. Wir schreiten nur ein, wenn es größere unerlaubte Demonstrationen und Gewalt gibt“, sagt Polizeisprecher Micky Rosenfeld auf den Stufen am Damaskustor bei einer ersten Bilanz.
Bis zum Nachmittag wurden bei Unruhen im Gazastreifen und dem Westjordanland mindestens 760 Menschen verletzt und ein Palästinenser getötet. Die israelische Polizei habe scharfe Munition eingesetzt heißt es. Rund 150 Menschen hätten Schusswunden erlitten, teilt das palästinensische Gesundheitsministerium mit. Auch in Ägypten, im Libanon, in Jordanien, in der Türkei und im Iran gab es Demonstrationen.
Aber in Jerusalem bleibt es vergleichsweise ruhig. Rosenfeld sagt: „Wir müssen das Wochenende abwarten und uns dann wieder vorbereiten.“ Auf den nächsten Freitag.