Brüssel. Die EU-Kommission will die Auto-Industrie zu mehr Klimaschutz zwingen. Sie vermeidet gleichzeitig aber Quoten für Elektrofahrzeuge.

Die EU-Kommission hat mit neuen Vorschlägen zu den Abgasgrenzwerten von Autos massive Besorgnis in der deutschen Autoindustrie ausgelöst. Die geplanten Vorgaben stellten eine „extreme Herausforderung“ dar, die Anforderungen seien teils überspannt und belasteten die europäischen Autobauer stärker als ihre Wettbewerber in den USA oder Asien, erklärte der deutsche Branchenverband VDA. Ob die Zielwerte erreichbar seien, „ist aus heutiger Sicht mehr als fraglich.“

Umweltverbänden gehen die geplanten Auflagen zur Minderung des Kohlendioxidausstoßes dagegen nicht weit genug, sie nannten die Vorschläge mit Blick auf die europäischen Klimaziele eine „Mogelpackung“.

Autobauer liegen weit über Vorgaben

Die Kommission hatte am Mittwoch ihren mit Spannung erwarteten Vorschlag für die Abgasgrenzwerte im kommenden Jahrzehnt vorgelegt. Bliebe es bei der Dominanz des Verbrennungsmotors, dann ließen sich die CO2-Vorgaben ab 2030 wohl nur noch mit Zwei-Liter-Autos erreichen – doch hinter den Auflagen steckt das Kalkül, in Europa binnen weniger Jahre dem im Betrieb emissionsfreien Elektroauto zum Durchbruch zu verhelfen.

Der Plan: Der Flottengrenzwert von 95 Gramm CO2 pro Kilometer, der bereits verbindlich ab 2021 vorgeschrieben ist, soll bis 2030 um zusätzliche 30 Prozent unterschritten werden. Für 2025 soll ein Zwischenziel von minus 15 Prozent gelten. Allerdings: Schon der CO2-Grenzwert für 2021 ist nur mit einem Durchschnittsverbrauch von vier Litern pro 100 Kilometer erreichbar.

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    Die Hersteller liegen derzeit noch weit darüber, statt der angepeilten 95 Gramm CO2 liegt der Flottenemissionswert im Schnitt bei etwas über 120 Gramm; verfehlen die Autobauer die Vorgaben, drohen milliardenschwere Sanktionen. Auch die Überschreitung der geplanten neuen Grenzwerte soll Geldstrafen zur Folge haben. Energie-Kommissar Arias Cañete betonte, die Einhaltung der Ziele werde künftig strenger kontrolliert.

    Anreizsystem für E-Auto-Produktion

    Dazu würden Verbrauchsanzeigen für alle Neuwagen vorgeschrieben. Die Kommission hofft, mit diesen Vorgaben die Autohersteller praktisch zu zwingen, bis 2030 möglichst 30 Prozent der Neuwagen mit Elektro- oder anderen alternativen Antrieben auf die Straße zu bringen; anders sind die Flottengrenzwerte kaum erfüllbar.

    Auf die ursprünglich angedachte verbindliche Quote für Elektroautos verzichtete die Kommission. Stattdessen ist ein Anreizsystem geplant: Wenn die Unternehmen ihren Anteil an abgasarmen oder abgasfreien Modellen rasch steigern, sollen sie beim Erreichen der CO2-Ziele Bonuspunkte bekommen. Kommissar Cañete versicherte, bis 2025 könne die Massenproduktion sauberer Elektroautos in Europa erreicht sein. Er mahnte, dazu müssten die Hersteller die Preise senken, die derzeit vor allem wegen der hohen Batteriekosten höher sind als bei Autos mit Verbrennungsmotor.

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      Zur Förderung des Stromerabsatzes will die EU mit 800 Millionen Euro den Ausbau des Ladesäulennetzes vorantreiben; die fehlende Infrastruktur ist bislang eines der großen Hindernisse für den E-Auto-Verkauf. Zudem sollen 200 Millionen Euro in die Batterieentwicklung fließen. Cañete sagte, die Neuregelung werde nicht nur den Klimawandel bekämpfen und die Luft in Europas Städten verbessern, sondern Verbrauchern wegen geringerer Spritkosten auch Hunderte von Euro an Einsparungen bringen.

      Autobranche muss sich komplett neu aufstellen

      Auf die Autohersteller rollen indes höhere Kosten für die Entwicklung neuer Technologien zu. Die Autobranche ist besorgt, weil die Kommission sie auf unsicheres Neuland zwingt: Bislang wurden die CO2-Minderungsziele durch die Optimierung bestehender Antriebstechnologie erreicht, großen Anteil daran hatten Dieselfahrzeuge.

      Der jetzt vorgezeichnete Umstieg auf die Elektroauto-Technologie sei dagegen mit großen Unwägbarkeiten behaftet, heißt es in der Branche. Ob die Stromautos von den Kunden angenommen und die Infrastruktur rechtzeitig erweitert werde, sei völlig unklar, warnte der VDA. Im ersten Halbjahr 2017 betrug der Anteil von E-Autos bei den Neuverkäufen in ganz Europa gerade einmal 1,2 Prozent.

      Die Branche hatte deshalb ein CO2-Minderungsziel von 20 Prozent bis 2030 vorgeschlagen – und sich vergeblich gegen ein verbindliches Zwischenziel für 2025 gewehrt, das wegen der kurzen Zeit als schwer erreichbar gilt. Auch in der Kommission wurde noch in dieser Woche heftig um die Grenzwerte gestritten; unter den Kommissaren hatten sich zwei Lager gebildet – noch strengere Vorgaben forderte unter anderem die Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska, der deutsche Haushaltskommissar Günther Oettinger warnte dagegen vor einer Überforderung der Fahrzeugbauer.

      EU-Kommissar sieht sich durch Lobbyisten nicht unter Druck

      Bis zuletzt hatten auch Lobbyisten der Autoindustrie einerseits, von Umweltverbänden andererseits versucht, Einfluss zu nehmen. Kommissar Cañete kommentierte das milde: „Ich bin nicht unter Druck gesetzt worden, wir haben unsere Arbeit frei erledigt.“

      Die Bundesregierung hatte sich zuletzt öffentlich zurückgehalten; den widersprüchlichen Wortmeldungen von Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) war in Brüssel nur wenig Beachtung geschenkt worden. Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries (SPD) und Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) hatten im Vorfeld mit Kommissar Cañete gesprochen. Theoretisch kann die Bundesregierung jetzt auf Änderungen des Gesetzentwurfs dringen, weil die Vorschläge noch von den Regierungen der EU-Staaten im EU-Rat und vom EU-Parlament abgesegnet werden müssen. Für eine Entschärfung der Pläne stehen die Zeichen allerdings nicht gut. Eine Allianz von sieben EU-Staaten hatte im Vorfeld sogar noch strengere Grenzwerte gefordert.